Pop-Anthologie

Taxi: „Campari Soda“

Ein Psychiater sitzt im Flugzeug, schaut aus dem Fenster und wird nachdenklich. Dann schreibt er ein Lied darüber, das erst 29 Jahre später berühmt wird.

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Dominique Grandjean

Im Flugzeug zu sitzen und die Welt immer kleiner werden und schließlich hinter den Wolken verschwinden zu sehen, kann einen leicht ins Sinnieren bringen. Denn so, wie die Häuser und Straßen sich dem Blick des Passagiers langsam, aber sicher entziehen, so entschwindet auch der Passagier selbst der Wahrnehmung der Welt. Steigt auf in nebulöse Sphären, bis er sich ernsthaft fragen kann, ob es zwischen ihm und der diesseitigen Welt noch irgendeine Verbindung gibt. «Es isch als gäbs mich nüme me», sang Dominique Grandjean 1977 in einem Lied über das Fliegen. Die Ballade heißt «Campari Soda», denn kaum ein Getränk würde besser zu solch melancholischen Betrachtungen passen als der tiefrote und bittere italienische Likör.

Noch einen Campari mit Sodawasser und klingelnden Eiswürfeln, noch einen Blick in das sonnenbeschienene, goldene Wolkenmeer in der Tiefe. Dann zurücklehnen und spüren, wie das Flugzeug hin und wieder in leichte Turbulenzen gerät und davon ein bisschen wackelt. Die Turbinen unter den Tragflächen verrichten tonlos ihren Dienst, zu hören ist nur das Summen des Ventilators. Und irgendwann die Durchsage des Co-Piloten: «On your left you can see Málaga through the dust.» Das ist die Szene dieses träumerischen Kultsongs, der selbst mehr zum Träumen einlädt als er eine Handlung hat.

Als Dominique Grandjean «Campari Soda» komponiert, ist er Assistenzarzt in der psychiatrischen Universitätsklinik am Stadtrand von Zürich. In seiner Freizeit schreibt er Lieder, die er bald aufzunehmen beginnt – im Keller von Dieter Meier, der mit Yello ein paar Jahre später internationale Bekanntheit erlangen wird und heute Rindfleisch und Rotwein aus Argentinien vertreibt. Doch Grandjean muss merken, dass ein einziger Mann in einem Keller nicht die Musik produzieren kann, die ihm vorschwebt. Eine Band muss her. Kurzerhand stellt er eine Truppe zusammen und nennt sie Taxi. Die nimmt ein Album auf, von der bald nur noch «Campari Soda» in Erinnerung bleibt.

Die Platte heißt ebenso wie die zitierte Zeile aus «Campari Soda» und ist vollständig in Grandjeans charmanter Zürcher Mundart gehalten. Die elf Nummern erzählen mit großem Sprachwitz kleine Alltagsanekdoten wie die des Spießers Hugo. Auf «Hugo-Hugo» hören wir, wie einer das Missbehagen seiner Jugend gegen einen Stationswagen austauscht, sobald er kann, und auf einem Parcours joggen geht, statt Parkuhren aufzubrechen. Da ist aber auch der «Glückspilz», dessen Leben so langweilig wie geradlinig verläuft, und noch nicht einmal in der «Babalu Bar» passiert viel Nennenswertes. Die Gäste sitzen zusammen und unterhalten sich bei einem Zweier Rotwein über «jenes, dieses, das».

Das sind Lieder aus einer und über eine Stadt, die Ende der siebziger Jahre in bürgerlicher Ruhe und Ordnung vor sich hinschlummert. Die Unruhen von 1968 waren schon beinahe wieder vergessen, und die Demonstranten von damals hatten sich zum größten Teil als «Hugos» herausgestellt, Festanstellung und Stationswagen inklusive. Das Zürcher Schauspielhaus und die städtische Oper genossen hohes Ansehen, aber Jugendkultur gab es noch keine. Dominique Grandjeans Taxi, Dieter Meiers Assholes und eine ganze Reihe von Punkbands (zum Beispiel die in London berühmt gewordenen Kleenex) machten in dieser Hinsicht gerade erst einen Anfang.

Im Unterschied zu ihren Mitstreitern hatten Taxi aber nur wenig Erfolg, die LP «Es isch als gäbs mich nüme me» verkaufte sich als nur gerade 600 Mal. Das heißt, so viele Platten wurden gepresst. Wie viele davon tatsächlich gegen Bares eingetauscht wurden, ist nicht überliefert, es dürften aber deutlich weniger gewesen sein. Etwas besser lief es mit Hertz, der Nachfolgeband von Taxi, die dadaistische Lieder über den Gotthardtunnel, Postbeamte und einen sozialdemokratischen Bundesrat namens Willy Ritschard machte. Peter Fischli vom Künstlerduo Fischli/Weiss gestaltete Plattencover und die Bandmitglieder traten als Kartoffelsäcke verkleidet auf die Bühne und sang nur noch hochdeutsch. Doch auch Hertz schaffte den Durchbruch nicht.

Es war die Schweizer Fluggesellschaft Swiss, die «Campari Soda» zu seinem Kultstatus verhalf. Die Ballade war in einem Werbespot am Fernsehen zu hören. Daraufhin beschloss das Label, den Song als Single zu lancieren. Und auf CD schaffte es das Stück mit dem sehnsüchtigen Tenorsaxofon, dem altmodischen Synthesizersound und Grandjeans dünner Stimme dann auf einmal in die Schweizer Hitparade. Mit 29 Jahren Verspätung. Ob die nachdenkliche Musik dem Verkauf von Flugtickets ebenso zuträglich war?


Musikvideo: „Campari Soda“ von Taxi

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Ich nime no’n Campari Soda
Wit unter mir lit’s Wolkemeer
De Ventilator summet lislig
Es isch als gäbs mich nüme me

Ich gsen durs Feischter zwei Turbine
S’Flugzüg wankt liecht i de Luft
Durs Mikrophon seit de Co-Pilot
«On your left you can see Málaga through the dust»

Ich nime no’n Campari Soda
Wit unter eus lit’s Wolkemeer
De Ventilator summet lislig
Es isch als gäbs mich nüme me

Ich nime no’n Campari Soda
Wit unter mir lit’s Wolkemeer
De Ventilator summet lislig
Es isch als gäbs mich nüme me