Immer mehr junge Menschen in Deutschland wollen unbedingt Psychologie studieren, obwohl die Einstiegshürden sehr hoch sind. Was macht den Studiengang so attraktiv?
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Der Überflieger unter den Studienfächern ist in diesem Jahr mit großem Abstand Psychologie. Allein die Uni Hamburg verzeichnete über 4400 Bewerbungen auf vergleichsweise magere 143 Studienplätze, die Uni Mainz meldete 24 Bewerbungen auf einen Platz. Den psychologischen Fakultäten rennen die Erstsemester die Türen ein, während die Neubewerbungen an deutschen Universitäten allgemein zurückgehen. Trotz hoher NC’s von 1,0 (Uni Leipzig) oder 1,3 (FSU Jena) bleibt die Anzahl der Bewerbungen hier nicht nur gleichbleibend, sie steigt sogar weiter an. Aus diesem Grund bewerben sich die Interessenten meist an mehreren Universitäten gleichzeitig, um die Chance auf einen Studienplatz zu erhöhen.
Annelie Rodestock hatte sich neben Leipzig, ihrer Heimatstadt, an weiteren fünf Universitäten beworben, darunter auch Jena – an der Friedrich-Schiller Universität wurde sie schließlich angenommen. „Der Kontakt mit Menschen hatte bei mir oberste Priorität“, erklärt Rodestock ihre Wahl des Studienganges. Psychologie sei ein sehr abwechslungsreicher Studiengang, der viele Entwicklungen für die Zukunft betreffe. Während des Bachelors lernen die Studenten vor allem allgemeine Thematiken wie Methodenlehre oder Statistik. Erst im Master erfolgt die berufliche Ausrichtung, zum Beispiel in die Wirtschafts- oder Kriminalpsychologie. Für diejenigen, die in die Klinische Psychologie gehen wollen, wartet im Anschluss an den Master noch eine vierjährige Ausbildung. „Psychologie gewinnt in unserer Gesellschaft immer mehr Akzeptanz“, meint Rodestock und führt aus: „Wir befinden uns im digitalen Zeitalter, in dem wir die tagtäglichen Reizüberflutungen nicht abschalten können. Das Zwischenmenschliche und damit die Psychotherapie aber kann von der Technik nicht ersetzt werden.“ Die ersten Veränderungen in diese Richtung sind bereits in Unternehmen sichtbar. Immer mehr Firmen holen sich Psychologen ins Team oder schicken interne Arbeitnehmer in Fortbildungen, um die steigende Zahl an psychischen Erkrankungen wieder in den Griff zu bekommen.
Auch Professor Holger Horz sieht die beruflichen Aussichten als einen Grund, dass sich so viele Bewerber für das Studienfach interessieren. Im Berufsfeld der Psychologie läge die Arbeitslosenquote bei zwei Prozent, erklärt er, das sei nahezu Vollbeschäftigung. Horz ist unter anderem Studiendekan des Fachbereichs Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt, an welcher Psychologie bei den über 8000 Erstsemestern dieses Wintersemesters ebenfalls die höchste Bewerberzahl in Relation zu den verfügbaren Studienplätzen aufwies. Die hohen Bewerberzahlen waren für ihn jedoch keine Überraschung, im Gegenteil. „Die Bewerbungen in Psychologie liegen immer jenseits jeder Vergleichbarkeit“, sagt Horz. Teilweise kommen 40 Bewerber auf einen Studienplatz. Als die Auswahlverfahren noch nicht zentral, zum Beispiel über die Plattform hochschulstart.de liefen, kamen sogar bis zu 80 Bewerber auf einen Platz.
Diese Plattform wird von der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) betrieben und regelt die zentrale Vergabe sowohl für bundesweit zulassungsbeschränkte Studiengänge wie Medizin oder Pharmazie als auch für ausgewählt örtlich zulassungsbeschränkte und zulassungsfreie Studiengänge von über 160 Universitäten. Hier setzen die Studenten ihre Prioritäten für die Universitäten – in Annelie Rodestocks Fall Leipzig auf Platz Eins und Jena auf Platz Vier. Die Bewerbungen gehen alle gleichzeitig raus, und sobald der Bewerber eine Zusage bekommt und seinen Studienplatz annimmt, verfallen die restlichen Bewerbungen. Damit haben die Bewerber auf der Warteliste die Möglichkeit zügig nachzurücken. Horz weist aber auch darauf hin, dass die hohen Bewerberzahlen ein durch und durch deutsches Phänomen seien. In keinem anderen EU-Land sei Psychologie so gefragt wie in Deutschland, die Studiengänge seien teilweise zulassungsfrei, weshalb viele deutsche Studenten, die an den NC-Anforderungen im eigenen Land scheiterten, Psychologie im Ausland studierten.
Die Realität sieht anders aus
Die Idee, die Bewerber vom Fach “Psychologie” vor dem Studium haben, ist allerdings eine grundlegend andere als danach, weiß Alexia Dalski, ebenfalls Psychologiestudentin an der FSU Jena und in ihrem ersten Mastersemester. „Psychologie ist ein Beruf, der in den Medien stark präsent ist und positiv dargestellt wird“, sagt sie. Viele stellten sich vor, einfach durch Zuhören die Probleme anderer Menschen lösen zu können. Das sei eben ein „cooler Job“. Die Realität sehe jedoch ganz anders aus. „Wir arbeiten sehr wissenschaftlich, allein um all die Klischees abzubauen, die über Psychologie existieren“, sagt Dalski. So würden viele Studien gelesen und auch selbst durchgeführt, zahlreiche Regeln und Konventionen seien zu beachten und – gerade an der FSU – viele Stunden des Statistikunterrichts zu bewältigen. Fünf Semester Statistik sind für die Studenten verpflichtend und flößen den Erstis bereits vor Studienbeginn Respekt ein, allein bei der ersten Prüfung fallen gut ein Fünftel durch.
„Im Grunde“, fasst Dalski zusammen, „ist es ein Potpourri verschiedener Faktoren, die Psychologie zum Trendstudiengang machen.“ Neben den attraktiven Jobaussichten und dem guten Ruf, den die Psychologie mittlerweile in der Gesellschaft hat, sei die grundlegende Idee, sich selbst zu verstehen und anderen helfen zu wollen, tief im Mensch verankert. Diese soziale Komponente mache das Fach vor allem für Frauen so attraktiv. Im Jahrgang von Annelie Rodestock gibt es nur 20 Männer – und mehr als einhundert Frauen. „Psychologie verspricht eine hohe Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt Horz, „ansonsten sind die Möglichkeiten, selbständig zu werden, gesichert.“ Frauen hätten meist die besseren Abschlüsse und würden dementsprechend die Einstiegshürden leichter meistern. Dennoch sieht Horz darin auch eine gefährliche Entwicklung: „Unsere Absolventen sind kurz gesagt zu jung, zu weiblich und zu erfolgreich.“ Die Absolventinnen müssten später Supervision für eine für sie komplett fremde, soziale Schiene leisten. „So gesehen bräuchten wir für einen gesellschaftlichen Ausgleich in der Psychologie eine Männerquote“, sagt Horz.
Leistungsdruck vom ersten Tag an
Vor allem, um sich einen Masterplatz zu sichern, stehen Psychologiestudenten unter einem hohen Leistungsdruck. Normalerweise soll ein Bachelorabschluss in Deutschland für den Arbeitsmarkt qualifizieren. Ein Master ist nicht zwangsläufig nötig, um sich einen Job zu sichern, weshalb Universitäten grundsätzlich nur für zwei Drittel der Bachelorabsolventen einen Masterplatz anbieten. Da in Deutschland die berufliche Ausrichtung in Psychologie jedoch erst im Master stattfindet, ist dieser verpflichtend, um eine vollständige Ausbildung zu erhalten. „Ohne einen Master bekommst du als Psychologe einfach keinen Job“, sagt Dalski. In diesem speziellen Fachgebiet müssten demnach mindestens genauso viele Masterplätze wie Bachelorplätze angeboten werden – eigentlich noch mehr, da viele deutsche Psychologiestudenten aus dem Ausland für den Master wieder nach Deutschland kommen – um am Ende eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Das erhöht den Leistungsdruck auf die Studenten vom ersten Tag an.
So hoch die Erwartungen der Unis an ihre Studenten sind, deren Erwartungen an das Studium sind es nicht minder. „Ich habe mich damals unglaublich aufs Studium gefreut“, sagt Alexia Dalski rückblickend, „ich war engagiert und fand alles toll.“ Nach den ersten Prüfungen kam die Ernüchterung, denn im Grunde geht es auch im Trend-Studienfach Psychologie erst einmal viel ums Auswendiglernen. Besonders enttäuschend war für Dalski, dass alles, was man zusätzlich an Vorlesungen zu besuchen wünschte, sich als zu viel erwies. Der Zeitpan in Psychologie sei noch enger getaktet als in anderen Studienfächern. „Inhaltlich jedoch haben sich meine Erwartungen voll und ganz erfüllt“, sagt sie und fügt abschließend hinzu: „Mir war klar, dass Psychologie ein anspruchsvoller Studiengang ist, nichtsdestotrotz bin ich überrascht, wie viel Arbeit dahinter steckt. Aber ich freue mich darauf, zu lernen und zu vertiefen, was mir wirklich Spaß macht.“