Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Studieren mit Depression

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Martin ist 24 und steht kurz vor dem Abschluss seines Masterstudiums. Was die Sache erschwert: Er leidet an Depression, hat immer wieder Panikattacken. Jeder Tag ist eine doppelte Herausforderung für ihn.

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Meistens kommt es plötzlich, ohne jede Vorwarnung. Martin* wacht dann morgens auf und alles ist grau – selbst wenn draußen die Sonne scheint. An solchen Tagen will er am liebsten nur im Bett bleiben, die Decke über den Kopf ziehen und schlafen. Schlafen, solange bis die Leere verschwindet und die Farben zurückkehren. Es gibt nur ein Problem: An der Universität interessiert es niemanden, ob Martins Depression zurück ist. Die Vorlesung beginnt trotzdem pünktlich um 9 Uhr, der neue Stoff wird trotzdem durchgenommen, egal ob er anwesend ist oder nicht. Das Mühlrad dreht sich weiter, ob mit oder ohne ihn.

Martin weiß das und es macht seine Situation nicht besser. Im Gegenteil, es verstärkt eher noch den Gedanken, in ein gigantisches Loch zu starren. Mit jedem Tag den er versäumt, wird die Angst größer, wächst das Gefühl zu versagen, nutzlos zu sein, für niemanden etwas wert. Sein Kopf wird dann zu seinem schlimmsten Feind. Anstatt ihm zu helfen, sich auf sein Studium zu konzentrieren, für Klausuren zu lernen, oder ihn einfach wie viele anderen Studenten die Zeit an der Universität genießen zu lassen, terrorisiert er ihn mit einem Gefühl der tiefen Hoffnungslosigkeit – einer Hoffnungslosigkeit, vor der es, so sagt Martin, scheinbar kein Entrinnen gibt. „Ich hasse meine Depression. Und gleichzeitig ist sie ein Teil von mir.“ Sich selbst nicht dafür zu hassen, dass man so ist wie man ist? „Es gelingt mir nicht immer“, gesteht Martin.

Wie alles begann

Er kann sich noch gut daran erinnern, wie alles begann. „So richtig los ging es eigentlich im dritten Bachelorsemester. Was der genaue Auslöser war, weiß ich bis heute nicht.“ Die Klausuren standen vor der Tür, Martin war gut vorbereitet. Er ist ohnehin ein guter Student, eigentlich keiner, der sich um Klausuren Sorgen machen müsste. Sein Abitur hat er damals mit 1,3 bestanden, der Notendurchschnitt im Studium war immer überdurchschnittlich. Geholfen hat ihm das alles im dritten Semester nicht. Je näher die Klausuren kamen, desto mehr wuchs in ihm das Gefühl, diesmal zu versagen. Gleichzeitig wurde die Welt um ihn herum immer grauer. „Es hat sich angefühlt wie die Einfahrt in einen langen, dunklen Tunnel, bei dem man das Ende nicht sieht, sich schnell aber auch nicht mehr daran erinnern kann, wie es bei der Einfahrt draußen aussah“, erzählt er.

Zwei Wochen vor den Klausuren, sagt Martin, schaffte er es morgens dann kaum noch aus dem Bett. Ans Studieren war schon gar nicht mehr zu denken. Stellenweise lag er stundenlang einfach nur da, bis er überhaupt aufstehen konnte. Mit jedem Tag, der verging, wurden gleichzeitig das Gefühl schlimmer, die Verzweiflung größer, die Gedanken dunkler.

Dass es Hilfsangebote gab, habe er noch aus den Einführungsveranstaltungen im ersten Semester gewusst, erklärt Martin. Zum Arzt oder zur psychologischen Beratungsstelle seiner Universität sei er damals trotzdem nicht gegangen – ein Fehler, wie er heute sagt, doch das Gefühl der Scham überwog. Auf keinen Fall wollte er den offiziellen Stempel „psychisch krank“ aufgedrückt bekommen. Gleichzeitig sei da auch die Sorge gewesen, dass ihn keiner richtig ernst nehme oder er sich, noch schlimmer, alles nur einbilde. Am Ende, so Martin, seien es seine Eltern gewesen, die ihn durch die Klausurzeit gebracht hätten. „Ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Ich weiß nicht einmal genau, was sie gemacht haben. Wahrscheinlich hat es geholfen, dass sie einfach stur versucht haben, mich abzulenken und mich auf positive Gedanken zu bringen.“

Bis heute wissen außer seinen Eltern nur einige engste Freunde Bescheid, wie es wirklich in ihm aussieht. An der Uni, sagt Martin, sind sie ahnungslos – er will es so. Die Vorstellung, dass jemand von seinen Problemen wissen könnte, sei ihm peinlich. Außerdem, erzählt Martin, seien psychische Erkrankungen und besonders eine Depression, von der er in seinem Fall sicher ausgeht, in der Gesellschaft seiner Meinung nach oft immer noch mit einem Stigma belegt. „Ich will nicht, dass mich Leute komisch anschauen und mich nur noch als ‘den mit der Depression’ wahrnehmen“. Mindestens ebenso unangenehm ist ihm der Gedanke, dass hinter vorgehaltener Hand über ihn gelästert werden könnte. „Selbst mein bester Freund hat mir in schwachen Momenten einmal an den Kopf geworfen, ich sollte mich doch einfach mal zusammenreißen und mehr lachen, dann würde es mir bestimmt besser gehen.“ Hilfreich seien solche Aussagen nicht, doch Martin macht anderen keinen Vorwurf. Er wisse, wie schwer es für Freunde oder die Familie oft sein könne, mit einem Depressiven umzugehen. Auch deshalb möchte er in der Öffentlichkeit nicht durch diese Brille gesehen werden.

Studieren mit Depression

„Studieren mit Depression und Angststörungen ist eine gewaltige Herausforderung“, erklärt mir Martin, als ich ihn nach seinem Alltag an der Universität frage. „Selbst Dinge, die anderen als vollkommen natürlich erscheinen, können mich wie lähmen.“ Einen Dozenten nach der Vorlesung ansprechen sei zum Beispiel so etwas oder nach der Uni mit der Vor- und Nachbereitung beginnen. „Wenn es mir nicht gut geht, dann kann ich oft stundenlang nicht anfangen, manchmal auch gar nicht. Es kommt mir dann alles so sinnlos vor und ich frage mich, warum ich überhaupt noch etwas tue.“

Am schlimmsten seien die „Attacken“, wie er sie nennt, wenn sie urplötzlich unter dem Tag aufträten. Wie aus dem Nichts überkomme ihn dann eine Wolke aus negativen Gedanken, mitunter kämen ihm die Tränen. „Mein Gehirn macht dann einfach zu.“ Sein ganzes Leben erscheine ihm in solchen Momenten hoffnungslos. „Du bist unnütz, du hast keinen Platz auf dieser Welt verdient“ – das seien die Gedanken, die ihm dann durch den Kopf schössen. Oft helfe ihm in solchen Situationen nur, schnell das Weite zu suchen und nach Hause zu gehen. Der Anblick normaler oder glücklicher Menschen – für Martin in diesen Momenten eine Überforderung.

Medikamente gegen die Depression möchte er nicht nehmen, er habe Angst vor den Nebenwirkungen und davor, ein Leben lang Tabletten nehmen zu müssen. Immerhin, im Laufe der Zeit hat Martin einige Strategien entwickelt, die ihm den Alltag erleichtern.  „Sport hilft, da komme ich auf andere Gedanken oder kann gar nicht groß nachdenken, weil es so anstrengend ist.“ Auch Freunde treffen oder Meditationsübungen könnten dazu beitragen, dass es einem besser gehe. Ein Allheilmittel sei dies alles jedoch nicht. „Es gibt Tage, da kann ich machen, was ich will, und nichts hilft.“

Die Zeit danach

Sein Masterstudium will Martin auf jeden Fall noch beenden, wie es danach weitergeht, weiß er noch nicht. Eigentlich wäre es für ihn längst an der Zeit, sich auf Jobs zu bewerben oder nach einer Promotionsstelle umzusehen. Er sehe ja, was seine Kommilitonen um ihn herum machten. Doch dafür, erzählt er, fehle ihm aktuell die Kraft: „Meine oberste Priorität muss es gerade sein, dass ich mein Studium gut beende, ohne dabei wahnsinnig zu werden.“

Was noch dazu kommt: Martin hat Angst vor der Zeit nach dem Studium. Wie soll er im Job bestehen oder mehrere Jahre Promotion hinter sich bringen, wenn er schon im Studium so schwer mit sich selbst zu kämpfen hat? „Ich kann mir nicht richtig vorstellen, wie das gehen soll. Natürlich ist es dumm, wenn man während des Studiums immer wieder ausfällt, weil im Kopf irgendwas nicht richtig tickt. Aber es ist halt auch kein Problem, wenn ich mal für ein oder zwei Wochen nicht auftauche. In der Vorlesung merkt das niemand.“ Im Berufsleben sei das jedoch nicht mehr so einfach möglich. Die Vorstellung, wegen seiner Erkrankung nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst zu enttäuschen, nagt dabei schwer an ihm. „Klar wäre ich gerne so wie alle anderen, also optimistisch und sorgenfrei. Ein Typ, der Bock auf die Zeit nach der Uni hat.“ Doch was er auch tue, es gelinge ihm im Moment nicht.

„Vielleicht fahre ich nach dem Master auch erst einmal lange in den Urlaub und beginne dann eine Therapie“, überlegt er gegen Ende unseres Gesprächs. Eine Freundin hätte ihm dazu geraten, auch seine Eltern fänden die Idee nicht schlecht. Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, die Lücke im Lebenslauf lasse sich dann schon erklären. Entschieden hat Martin sich noch nicht.

* Der Name wurde von der Redaktion geändert, inzwischen liegt auch ein ärztlicher Befund über Martins Krankheit vor.

 

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