Dass die Hochkultur der Maya wegen einer Dürre kollabierte, ist eine verbreitete Ansicht. Doch eine Ausstellung in Speyer widerspricht dem. Ein Gespräch mit dem Maya-Forscher Nikolai Grube über die Rätsel der “Mais-Menschen”. Vierter Teil unserer Interview-Reihe “Nerdalarm”.
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Video: Prof. Nikolai Grube von der Universität Bonn führt durch die von ihm wissenschaftlich beratene Maya-Ausstellung in Speyer.
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F.A.Z.: Herr Professor Grube, warum ist die Hochkultur der Maya in Mittelamerika denn nun zwischen 700 und 950 nach Christus kollabiert? Welche neuen Erkenntnisse haben Sie in den letzten Jahren gewonnen?
Nikolai Grube: Gut, dass sie den Zeitrahmen so weit abstecken. Das ist wichtig, weil das eben kein Kollaps von heute auf morgen war. Es war ein Prozess, der sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte erstreckt hat. In der Ausstellung sprechen wir verschiedene Thesen an. Die meisten lassen sich relativ schnell widerlegen, darunter auch die Dürre-Hypothese, die im Moment unter vielen Kollegen Anhänger hat, wohl weil das Thema “Klimawandel” im politischen Diskurs derzeit so gut etabliert ist. Es ist auch unbestreitbar, dass es in dem betreffenden Zeitraum eine Klimaveränderung gegeben hat, es hat Trockenperioden gegeben, Dürreperioden. Sie können aber nicht erklären, warum die ersten Städte, die verlassen worden sind, ausgerechnet jene waren, die an den Ufern von Seen und Flüssen lagen. Und die Städte, die am weitesten von der Ressource Wasser entfernt waren, waren diejenigen, die am längsten ausgehalten haben. Ein weiteres Argument ist, dass wir in allen Gesellschaften der Welt nach großen Katastrophen feststellen, dass sie sich bald danach wieder erholen oder zumindest ein Teil der jeweiligen Gesellschaft, die Reichen, die Etablierten, der Adel. Bei den Maya ist das aber eben nicht passiert – was mich und eine Gruppe von Kollegen darüber nachdenken lässt, welche anderen Gründe es gegeben haben könnte. Auffällig ist, dass die ersten Bereiche, die verlassen wurden, die Königspaläste waren. Als erstes brach die höfische Kultur zusammen, das politische Zentrum der Maya. Das ging teilweise so schnell, dass die Handwerker ihre Artefakte, ihre Skulpturen nicht mehr fertigstellen konnten, der Adel ließ Trinkgefäße und andere Gebrauchsgegenstände in den Palästen zurück. Das alles spricht dafür, dass es interne, politische Gründe für den Untergang der Maya-Kultur gegeben hat.
In der Ausstellung in Speyer machen Sie sich für die Theorie einer Städterivalität stark.
Ja, ich sehe den entscheidenden Faktor im Auseinanderbrechen der beiden großen Machtzentren: Tikal und Calakmul. Das waren die beiden Städte, die in der klassischen Maya-Zeit das Tiefland dominiert und mit einem Netzwerk von Vasallen-Staaten dafür gesorgt haben, dass eine Art von politischem Gleichgewicht zwischen diesen beiden Supermächten, diesen Hegemonialgruppen entstand und beibehalten wurde. Als Tikal aber mächtiger wurde und als es der Stadt gelang, den König von Calakmul gefangen zu nehmen, wurde dieses Gleichgewicht aus dem Lot gebracht. Calakmul verlor derart dramatisch an Macht, dass viele der Vasallenstaaten sich lösen konnten und ein Prozess in Gang kam, den wir in der politischen Anthropologie “Balkanisierung” nennen: das Zerbrechen von Infrastruktur, das Aufbrechen von lokalen Konflikten. Denn das siegreiche Tikal verfügte allein nicht über ausreichend Infrastruktur, um die hinzugewonnenen Gebiete zu sichern. Das wiederum ließ dort die Idee aufkommen: Wir könnten uns auch lösen und unseren Vasallenstatus, der immer auch mit Tribut verbunden war, ablegen. Sodass tatsächlich im achten Jahrhundert eine Gründung von vielen kleinen Staaten zu beobachten ist. Wie Pilze sprießen kleine politischen Einheiten aus dem Boden, gleichzeitig bekämpft man sich gegenseitig, es gibt eine Eskalation von Gewalt und Kriegen – eine ähnliche Entwicklung wie nach dem Zusammenbrechen des früheren Jugoslawien oder der Sowjetunion.
Wie genau erklären Sie sich die Fluchtartigkeit des Verlassens? Lag dem eine Vertreibung zugrunde?
Ja, die Herrscher wurden wohl vertrieben und mussten ihre Haut retten. Man muss sich das so vorstellen, dass es bei den Maya viele Adelsfamilien gab, die miteinander konkurrierten. Aber eine hatte die wahre Macht. In dem Moment, in dem es die Möglichkeit gab, den Gottkönig zu stürzen, weil sein Machtverlust durch zusammenbrechende Handelsnetze und ähnliches offensichtlich wurde, wurden er und sein Hof wahrscheinlich in internen Aufständen und Konflikten vertrieben. Was nach dem Zeitpunkt des Verlassens geschah, wohin die Vertriebenen gingen, wissen wir noch nicht.
Ist diese Fluchtartigkeit auch im Vergleich zu anderen alten Kulturen ungewöhnlich?
Diese Form von Untergang und fluchtartigem Verlassen ist sehr ungewöhnlich. Auch, wenn ich an das Buch von Jared Diamond denke, „Kollaps“, fällt mir kein weiteres Beispiel ein.
In Ihrer Ausstellung spielt das Konzept des göttlichen Königs eine große Rolle. Vieles lief auf diese eine charismatische Figur zu. War es deswegen von so großer Tragweite, dass dieses Konzept zerbrach?
Ja, da ist zum ersten Mal die Fassade abgebröckelt.
In der Ausstellung erwähnt wird auch das Konzept des Sternenkrieges: Wenn die Sterne in einer bestimmten Konstellation stehen, ist aus Sicht der Maya die Zeit für einen Krieg gekommen oder günstig. Schließen sich diese beiden Konzepte nicht gegenseitig aus?
Ich bin skeptisch, ob es den Sternenkrieg nach diesem engen Verständnis gegeben hat – obwohl die Hieroglyphe für „Krieg“ aus einem Stern besteht. Letzteres war wohl der Grund dafür, dass eine der großen frühen Maya-Forscherinnen, Linda Schele, von „star wars“ gesprochen hat. Die Durchsetzung von Machtinteressen hat aber wohl eine größere Rolle gespielt als die Sterne. Man kann im Maya-Tiefland Kriege eigentlich auch nicht nach den Sternen planen. Dafür spielt die Witterung eine zu große Rolle, und wenn wir uns anschauen, wann Kriege wirklich stattgefunden haben, fallen sie alle in die Trockenzeit, in Neumondperioden, in denen es schön dunkel war. Was noch wichtig zum Thema “Krieg” ist: Es ging bei den Maya nie um Zerstörung und Auslöschung des Feindes, sondern im Vordergrund stand, den Angegriffenen zu einem Vasallen zu machen und sich letztlich seiner Arbeitskraft zu bedienen.
In einer ARD-Dokumentation, an der sie beteiligt waren, wurde der Untergang der Maya auf eine machtbesessene Königin zurückgeführt. In der Ausstellung scheint sie keine große Rolle mehr zu spielen.
Wir konnten in der Ausstellung leider nicht alle Aspekte darstellen. Von den 200 Königen, die wir kennen, waren nur acht Frauen. Die mächtigste Königin, von der wir wissen, ist “Sechs Himmel”, das war so eine Art Margaret Thatcher, sehr machtbewusst, sie hat ihren Raum überaus entschieden definiert.
In der Dokumentation war ihre Rolle stark dramatisiert. Ist das nicht ein grundsätzliches Problem für die Maya-Forschung, dass es für durchhaltbare Geschichts-Dramaturgien eigentlich noch zu früh ist?
Es ist schon ein Problem, aber ein Problem, das es auch in der Ägyptologie oder in anderen Altertumswissenschaften in ihrer Frühzeit gab. Wir schöpfen mit unseren Bildern und Metaphern noch aus der Frühzeit der Ägyptologie. Die vielen Neuentdeckungen in der Forschung sind eigentlich gar nicht in unser populäres Verständnis von Ägypten eingeflossen. Und in der Maya-Forschung stehen wir gerade da, wo die Ägyptologie vor hundert Jahren war. Naja, ein bisschen weiter sind wir schon, aber wir sind eine sehr junge Wissenschaft. Natürlich ist es immer gefährlich, mit starken Bildern zu arbeiten, auf der anderen Seite: Was sollen wir denn sonst machen?
Jede neue Entdeckung kann eine Anpassung des Systems notwendig machen?
Ja genau (lacht). Das macht unsere Wissenschaft aus und das macht sie auch so spannend. Als ich angefangen habe, mich für Archäologie zu interessieren, noch als Kind, war ich ganz breit angelegt. Ich bin in Köln groß geworden, da war natürlich römische Archäologie angesagt, die Ausgrabungen in der Kölner Altstadt fand ich ungeheuer spannend. Mir wurde aber auch bald klar: Das ist halt noch eine römische Villa mit noch einem Mosaik darin, aber eigentlich kennt man das schon.
Wie sind Sie zu den Maya gekommen?
Auf die Maya bin ich zum ersten Mal aus Zufall gestoßen, durch das Lesen von Cerams “Götter, Gräber und Gelehrte”. Damals war ich elf Jahre alt. Das letzte Kapitel heißt “Das Buch der Treppen”, dort gab es vier oder fünf Seiten über die Maya. Vor allem aber stand dort, dass ihre Schrift noch nicht entziffert ist. Das hat in mir eine Flamme ausgelöst: Das will ich machen. Ich hatte schon damals Spaß daran, schwierige lateinische Texte zu entziffern, auf Vasen und ähnlichem. Und was die Maya angeht: Noch in den siebziger Jahren gab es kaum Erkenntnisse. Die Forschungsergebnisse des Russen Knorosow waren noch nicht bis in den Westen durchgedrungen. Ich habe dann mit einem kleinen Zeichenkatalog begonnen und schon in der Schulzeit bestimmte Muster erkennen können. Ich bin in Kontakt getreten mit einem Professor aus Tübingen, der mich zu sich eingeladen und mir Bücher gegeben hat. Das war für mich eine tolle Anerkennung. Ich habe dann auch meinen amerikanischen Kollegen geschrieben und angefangen, erste Publikationen zu machen. So bin ich dann in die Maya-Forschung hineingerutscht.
Das klingt so ähnlich wie die Laufbahn von David Stuart, der ja schon als Teenager eine wichtige Figur in der Maya-Forschung war.
Ja, wir kamen sehr früh zusammen. In den achtziger Jahren waren wir mit Linda Schele eine Gruppe von Leuten, die sich in den Zeiten vor Email und Fax regelmäßig Briefe geschrieben hat über unsere Entzifferungen. In dieser Zeit haben wir im Grunde das ganze Syllabal entziffert.
Gibt es denn heute noch neue Textträger zu entdecken?
Auf jeden Fall. Das Kerngebiet in Südmexiko und Guatemala würde ich auf die Größe von Nordrhein-Westfalen und Hessen schätzen. Da mag es noch Dutzende versunkene Städte im dichten Urwald geben. Hier haben vor mehr als tausend Jahren Millionen Menschen gelebt. Die Städte waren nicht dicht besiedelt, das waren eher Gartenstädte, das sieht man auch gut in der Ausstellung, aber auf dem Land war die Bevölkerungsdichte sehr hoch, höher als irgendwo in Europa zu dieser Zeit.
Digitale Rekonstruktion einer Maya-Siedlung (Ausschnitt) © Historisches Museum der Pfalz/ Rekonstruktion: Fritz Göran Vöpel
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Wie ist die Universität Bonn, an der Sie unterrichten, zu Ausgrabungen in der vor Jahren wiedergefundenen Maya-Stadt Uxul gekommen?
Ich hatte mir immer gewünscht, in dieser Region zu graben. Mein Kollege Iván Sprajc aus Slowenien, mit dem ich seit langem in engem Kontakt stehe, hat Uxul auf einer Expedition nach mehreren Wochen des Durchkämmens gefunden. Er kletterte auf die dortige Pyramide und rief mich an.
Anschließend ist wahrscheinlich die Finanzierung entscheidend.
Ja, die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat das Vorhaben über sieben Jahre hinweg unterstützt und diese Forschung, die auch in die Speyerer Ausstellung eingeflossen ist, möglich gemacht.
Wie viele Stelen haben Sie in Ihrer Karriere gefunden oder vor Ort ausgelesen?
In Uxul gibt es 22 Stelen. Wie viele es insgesamt waren, kann ich nicht sagen. Mich interessieren alle Stelen, ich habe auch alle gelesen.
Wie viele sind bisher entdeckt worden?
Schriftträger insgesamt gibt es 12.000, Stelen und Keramik. Aber die Zahl wächst wirklich wöchentlich.
Gibt es immer noch neue Zeichen zu entdecken?
Ja, das kommt immer wieder vor. Leider wissen wir immer noch nicht, wie viele Schriftzeichen es wirklich gibt, im Moment stehen wir bei etwa 800. Aber wir haben bei der Arbeit an unserem in den nächsten Jahren an der Universität Bonn entstehenden “Wörterbuch des Klassischen Maya” gerade herausgefunden, dass die Zeichenkataloge, die bereits existieren, im Grunde falsch aufgebaut sind, weil sie von einer falschen Vorstellung von Maya-Schriftzeichen ausgehen. Maya-Schriftzeichen sind komplexer als vielfach angenommen. Aus diesem Grund wird die Zeichenzahl in unserem Katalog reduziert sein.
Die Entschlüsselung der Maya-Schrift ist ja ein ungemein spannendes Stück Forschungsgeschichte, sehr gut dargestellt in der Dokumentation „Der Maya-Code“, in der Sie auch eine Rolle spielen. Es dauerte lange, bis man entdeckte, dass die Maya-Schrift sowohl aus Logogrammen als auch aus Silbenzeichen besteht und dass die gleiche Silbe durch ganz verschiedene Zeichen dargestellt werden kann. Was sind die Gründe für die jeweilige Zeichenverwendung? Sind sie ästhetischer Natur?
Ja, es ging bei den Maya darum, schön zu schreiben und mit möglichst viel Aufwand, genau das Gegenteil eigentlich von dem, was wir heute unter Schrift verstehen. Es hat in den größtenteils nicht erhaltenen oder verbrannten Büchern wohl auch eine Schnellschrift gegeben, dafür gibt es auf den Keramiken Hinweise. Da sie aber nicht überliefert ist, kennen wir sie nicht. Wir kennen nur die großen, offiziellen Verlautbarungen.
Auf der anderen Seite muss das faszinierend sein: Sie finden im Urwald eine neue Stadt und können sich die Geschichte derselben aufgrund von Stelen, die dort herumstehen, weitgehend erschließen.
Ja, das ist faszinierend. Wir wissen sofort, wie die Stadt heißt, welche Könige dort gelebt haben, wir wissen über die Daten Bescheid.
Was sagt die Schrift noch über die Kultur der Maya aus?
Ich glaube, aus ihr spricht ein tiefer Respekt vor der Bildlichkeit, vor der Welt, die in Bildern enthalten ist. Für die Maya waren Bilder nicht nur Bilder, sondern das Abbild war der Gegenstand; man hatte einen Teil der Seele des Gegenstandes. Indem ich eine Schrift verwende, die sehr ikonisch ist, in der es auch sehr viele Kopfvarianten gibt, von Tieren, von Göttern, holt man diese Lebensenergie in die Schrift hinein. Die Maya-Schrift ist eine belebte Schrift gewesen, eine wirklich heilige Schrift. In den Texten waren die Götter und die Könige, um die es ging, enthalten, mit allem Respekt, mit allem Pomp.
Und zugleich durften sich die Schreiber und Steinmetze offenbar eine große Freiheit in der Ausgestaltung nehmen.
Ja, weil sie so hoch angesehen waren und eigene künstlerische Überzeugungen vertraten.
Wie viele Logogramme gibt es unter den 800 Zeichen, wie viele Silbenzeichen?
Ich würde schätzen, 250 Silbenzeichen und der Rest Logogramme.
Was war das letzte neue Zeichen, das Sie eingearbeitet haben?
Ein Zeichen für Opfertod, das zeigt einen Kopf, der in der Mitte gespalten ist, davor eine Obsidian-Klinge.
Das Maya-Lexikon, das gerade an Ihrem Lehrstuhl entsteht, wird das umfangreichste seiner Art sein?
Es wird nicht nur ein Lexikon der Schrift, sondern auch eines der Sprache sein. Wir wollen zeigen: Die Maya-Schrift gibt Sprache wieder, so ähnlich wie Ägyptisch oder Hethitisch. Wir erstellen ein sprachbasiertes Lexikon mit Vorkommensnachweis, es basiert auf dem Gesamtvorkommen sämtlicher Inschriften. Man wird das Lexikon frei im Internet aufrufen und eine Suche anfragen können wie: Ich möchte alle Inschriften haben, in denen das Wort “Haus” vorkommt, in einer bestimmten Konstellation. Um das beantworten zu können, müssen wir vorher aber noch viele Schritte gehen. So sind immer noch nicht alle Zeichen entziffert. Was machen wir mit denen, die noch nicht verstanden sind? Auch die müssen irgendwie erschlossen werden in einem Lexikon wie dem unseren und das geht nur, indem wir neue Konventionen erfinden. Außerdem wollen wir wissen: In welchem Zeithorizont kommt ein bestimmtes Zeichen vor? Wann tauchen positionelle Verben zum ersten Mal in der Maya-Schrift auf? Wie hat sich die Grammatik entwickelt? All das können wir auf dem amerikanischen Kontinent nur in der Maya-Sprache nachvollziehen. Daraus wiederum können spannende Kulturvergleiche entstehen, Vergleiche mit Sprachen der alten Welt.
Welche Rätsel der Maya-Kultur sind noch ungelöst, was wird die Forschung der kommenden Jahre beschäftigen?
Eine ganz simple Frage: Wie haben die Menschen auf dem Land gelebt, weit weg von den Städten? Hat es Grenzen gegeben? Wusste die Landbevölkerung genau: Ich gehöre zu diesem oder jenem Staat? Wie konnten sie Finsternisse voraussagen? Woher kommt der 260-zählige Ritualkalender? Warum hat es in der Präklassik, 300/400 vor Christus riesige Städte gegeben, aber keine Könige, keine Gräber? Warum setzt die Gründung der Königsdynastien erst um das Jahr 150 ein? Wie sahen die Beziehungen der Maya zu der Metropole Teotihuacán in der Nähe des heutigen Mexico City aus? Das letzte aktuelle Paradigma, das sich gerade verändert, ist, dass die Maya in Teotihuacán durchaus präsent waren. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die Stadt das Maya-Gebiet beeinflusst hat. Jetzt sehen wir: Es hat ein Stadtviertel gegeben in Teotihuacán, wo Maya gelebt haben, die Hauswände sind mit Maya-Schrift bemalt, und unter den neuen Ausgrabungen meines Kollegen Sergio Chávez befinden sich 50 Schneckentrompeten mit Maya-Motiven. Das ist sensationell. Ich habe gerade Bilder bekommen und schreibe an einem Artikel darüber. Das wirft ein ganz neues Bild auf die Maya-Beziehungen.
Wie reagieren die Nachfahren der Maya, deren Zahl auf 8 Millionen geschätzt wird, auf die Rekonstruktion ihrer Geschichte, die ihnen ja von den spanischen Eroberern genommen wurde?
Die Reaktionen sind sehr stark, gerade in Guatemala gibt es eine ganz ausgeprägte Maya-Bewegung, die sich in Opposition gegen die Diktatur und den mit ihr verbundenen Völkermord formiert hat. Das begann schon lange vor unserer Arbeit als Wissenschaftler. 1992, mit der 500-Jahresfeier anlässlich der Entdeckung Amerikas und der Verleihung des Friedensnobelpreises an Rigoberta Menschú, wurde diese Bewegung auch weltweit allgemein sichtbar als politische Kraft. Die Bewegung ist ganz stark auch auf dem Land. Die Bevölkerung dort sucht nach ihren Wurzeln und grenzt sich ab von den Nicht-Maya. Meine Kollegin Linda Schele und ich gehörten zu den ersten, die angesprochen wurden, mitzuarbeiten. Seit 1989 führen wir Workshops zur vorspanischen Geschichte durch. Wir lesen gemeinsam Hieroglyphentexte, sprechen über Maya-Astrologie, die Rolle der Frau in der Maya-Gesellschaft oder über die Legitimation von Macht.
Das Gespräch führte Uwe Ebbinghaus
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Die Ausstellung “Maya – das Rätsel der Königsstädte” ist noch bis zum 23. April im Historischen Museum der Pfalz in Speyer zu sehen.