Für ihren Masterabschluss im Fach Ethnologie musste unsere Autorin für vier Monate „ins Feld“. Hier berichtet sie von den letzten Tagen ihres Forschungsaufenthalts und ihrem „Feldaustritt“, dem Abschied von Kenia.
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Das Moskitonetz ist wieder im Schrank verstaut, meine Forschungspläne, die Liste potenzieller Gesprächspartner und die Kiswahili-Vokabeltabellen, welche vier Monate lang in meinem Zimmer in der Jomo Kenyatta University of Agriculture and Technology in Juja hingen, sind weggeräumt. Mit ein paar Mangos und großen Avocados im Gepäck habe ich mich gegen die ersten Tage zurück in der deutschen Kälte gewappnet. Der letzte prüfende Rundgang durch den Bungalow, der während der Feldforschung für meinen Masterabschluss in Ethnologie meine Heimat war, fiel nicht leicht.
Nun bin ich wieder zuhause in Deutschland. Vergessen habe ich nichts in Kenia, dafür aber eine Menge mitgenommen: Drei volle Notizbücher, fünfundvierzig Seiten Feldreport, etwa zwanzig Stunden Interviewmaterial auf dem Diktiergerät, Fotos, und natürlich unzählige neue Erfahrungen, Eindrücke und Erinnerungen, die ich nun gemeinsam mit dem Datenmaterial in den nächsten drei Monaten verarbeiten und in meiner Masterarbeit verpacken werde. Im Juni dann soll das etwa achtzigseitige Werk mit dem Titel „Sporterziehung und Wertevermittlung in Kenia am Beispiel der Organisation NGUVU Edu Sport e.V.“ abgabebereit sein.
Die Wärme Kenias
Dafür muss ich nun zunächst eine geeignete Gliederung finden, alle Notizen sichten und ordnen, die Interviews zu einem großen Teil transkribieren, Bücher in der ethnologischen Bibliothek meiner Universität für den theoretischen Teil der Arbeit wälzen und diesen schließlich mit der Analyse meiner empirischen Ergebnisse zusammenführen.
Wie sehr mich mein Feld überrascht hat, wird auch Teil meiner Masterarbeit sein, und zwar in dem obligatorischen Kapitel, in dem ich über meine Methoden und meine eigenen Gefühle und Empfindungen während der Feldforschung Rechenschaft ablegen muss. Ich hätte nicht gedacht, so herzlich in das Team und im Forschungsort aufgenommen zu werden, als Weiße und als Frau noch dazu. Auch über meine eigene Person hinaus präsentierten sich die Jungs der “NGUVU Edu Sport e.V.”-Mannschaft tatsächlich als Paradebeispiel für Teamgeist und Integrationsbereitschaft. Die Früchte, die das Projekt trägt, zeigen, dass sein Modell weit zielführender ist, als ich vor meinem Feldeintritt vermutet habe.
Wie sehr mir das Leben in Afrika bereits fehlt, werde ich allerdings nicht in meiner Abschlussarbeit thematisieren. Deutschland empfing mich mit grauen und müden Gesichtern und der kältesten Woche des Winters, sodass mich der Temperatursturz von etwa dreißig Grad erst einmal ziemlich zermürbte. Ich vermisse aber nicht nur die Wärme Kenias, sondern auch die der Menschen, die vielen lärmenden Kinder um mich herum, die tausend Sterne am Nachthimmel, meine Freunde in Juja, die saftigen Mangos und klebrigen Softdrinks. Immerhin werde ich nun nicht mehr angestarrt, sobald ich ein Geschäft betrete, da ich jetzt wieder nur ein Mzungu unter vielen bin. Und auch die Käsebrote, auf die ich mich seit Wochen schon freue, erleichtern mir den kulturellen Übertritt ein wenig.
Die letzten Tage im Feld waren vollgestopft. Ein Programm des “NGUVU Edu Sport”-Projekts, das Gegenstand meiner Masterarbeit ist, begann erst im neuen kenianischen Schuljahr und damit am Ende meiner Forschung. Da ich die sogenannte “NGUVU Edu Sport”-Straßenfußballliga, die jeden Freitag mehrere Schulen aus Juja zu einem Turnier ohne Gewinner und Verlierer, aber dafür mit einem Fairplay-Ranking-System zusammenführt, gerne in meine Arbeit aufnehmen wollte, hatte ich zu diesem späten Forschungszeitpunkt nochmal ein eues Aktionsfeld zu bewältigen.
Gehen mit Glück
Gleichzeitig hatte ich Termine mit allen Gesprächspartnern, die mir zur Vervollständigung meiner Liste noch fehlten, zu koordinieren, Abschieds- und Dankesgeschenke für alle, die mir mit meiner Forschung geholfen haben, zu besorgen und einige Dinge von der utopisch langen Liste zu erledigen, die ich eigentlich während der vier Monate in Kenia hatte abhaken wollen. Zumindest einmal wollte ich einen Blick ins Nairobi National Museum geworfen haben.
Und dann hieß es am Ende Abschied nehmen: von meinem „Gatekeeper“, dem deutschen Projektleiter, dem ich meine ganze Feldforschung zu verdanken habe, meinen Mitbewohnern, liebgewonnenen Freunden aus Juja, meiner Lieblingsobstverkäuferin, der Vermieterin, den Babas, Mamas und Omas aus den Familien der Teammitglieder und natürlich von der Projektmannschaft, meinem Kernforschungsgegenstand, selbst.
Am letzten Wochenende gab die Mannschaft sogar eine kleine Abschiedsparty für mich, im Hof der Großmutter eines Teammitglieds. Wir kochten alle gemeinsam ein letztes Mal klassisch kenianisch mit Ugali, dem allgegenwärtigen Maisbrei, Sukuma Wiki, einer Spinatart, Reis, Bohnen und Wassermelone. Dann gab es Geschenke – ich hatte in Deutschland Erinnerungsfotos für jedes Kind drucken lassen, und auch die Mannschaft überreichte mir feierlich ein gerahmtes Foto von uns allen mit dem Versprechen, ab jetzt ein Teil des Teams zu sein, sowie einen Leso, ein großes, buntes Tuch, das Kenianerinnen meist um die Hüften tragen.
Als ich dann das allerletzte Mal gemeinsam mit den Kindern und Coaches des Projekts nach dem Fußballtraining vom Bolzplatz nach Hause lief, überfiel mich schon eine kaum zu verbergende Wehmut. Doch es hilft nichts – ich muss den Fußballplatz wieder gegen meinen Schreibtisch in Deutschland eintauschen. Diese wechselnden Arbeitsumfelder, verbunden mit Abschieden für lange Zeit vom „Zuhause“ sowie vom „Feld“, sind das Los eines jeden Ethnologen. Doch es gibt zwei Wege, sich in Kenia zu verabschieden, und beide halfen mir bei meinem „Feldaustritt“. „Tutaonana“, sagt man zum einen – wir werden uns wiedersehen. Und „kwa heri“, gehe mit Glück.
Hier gibt es sämtliche Folgen des Kenianischen Feldtagebuchs.