Pop-Anthologie

Falco: „Der Kommissar“

Wie kein Zweiter verkörperte Falco die Verlorenheit der zur Optimierung verpflichteten Babyboomer-Generation. In „Der Kommissar“, dem vielleicht ersten deutschen Rap, droht sogar die Sprache verloren zu gehen.

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© dpaFalco

Man nehme einen Bass-Lauf aus einem erfolgreichen Funk-Stück (hier: „Super Freak“ von Rick James), drossele das Tempo und streiche den albernen Text, der von Backstage-Sex mit „pretty kinky“-Groupies berichtet. Das neue Stück schlendert stattdessen lässig durch das Wiener Szene-Milieu, synthetisch-zuckend wie die Drogen, von denen es singt, und so cool, wie ein Hüftschwung in zu weiten Bundfaltenhosen der 1980er-Jahre eben sein kann. Prompt landet es 1982 auf Platz 1 der deutschen und österreichischen Charts.

Doch – als ob es so einfach wäre: „Der Kommissar“ war in mehr als einer Hinsicht ein Phänomen, sein Interpret Falco ein schillernder Charakter, eine schwer zu greifende Figur, eine Summe aus Rollen und Zuschreibungen. Seine erfolgreichsten Stücke waren jene, die genau damit spielten: Im Video zu „Der Kommissar“ mimt Falco den Kommissar im weißen Dandy-Anzug und zugleich seinen Widersacher in lederner James Dean-Optik. In „Amadeus“ überblendet Falco sein Künstler-Ich mit dem des Wiener Klassikers – zumindest der kreischenden Perücken-Version aus Miloš Formans Mozart-Film. Und „Jeanny“ provoziert ebenso Mitgefühl wie Abscheu für den Mädchen-Kidnapper und wurde nicht zuletzt deshalb indiziert.

In Falcos Figuren trifft urbaner Lifestyle-Glamour oft auf ein Gefühl des Verlorenseins einer optimierungsverpflichteten Babyboomer-Generation. Die Talwärtsfahrt zum Beispiel, von der im „Kommissar“ so munter gesungen wird, bleibt musikalisch im Quart-Abgang der Bassmelodie stets präsent. Durchbrochen wird diese ausgestellte Lässigkeit in der Musik, dieses Schlendern in den Abgrund immer wieder durch ein Innehalten nach „dein Lem  [Leben] bringt di um“: Auf einer synthetischen Melodieschleife bleibt die Musik fragend stehen. Wohin wird die Reise gehen? Erst das provokant-flotte „Alles klar, Herr Kommissar?“ pendelt in die rhythmische Normalität zurück. Alles wieder locker.

Überhaupt gehört das Einschwingen in einen gemeinsamen Rhythmus aus Text und Musik zu den Markenzeichen, die Falco rückwirkend zum ersten deutschen Rapper machten: Der stark auf Monosyllabik angelegte Text („Drah di ned um, oh, oh, oh“) formt so eine Klangschicht der Musik. Das wird umso deutlicher empfunden, wenn plötzlich direkte, natürliche Rede eingeworfen wird, die sich dem musikalischen Grundpuls nicht mehr fügen will („Hey, wanna buy some stuff, man, huh?“). Und wenn am Schluss nur noch „la, la, la, la, la“ und „oh, oh,oh“ übrigbleiben, da die zweite Hälfte des Stückes nur noch aus Refrain besteht, hat sich („schau, schau“) der Text in der Musik einfach aufgelöst. Es ist eben alles und nichts gesagt. Falcos Musik bezieht keine gesellschaftliche Stellung und behauptet keine Authentizität. Darin unterscheidet sich der „Kommissar“ vom ersten amerikanischen Rap um 1980, dem ein dringendes musikalisches und gesellschaftliches Emanzipationsbedürfnis abzulauschen und wo die Musik oft nur atmosphärisches Beiwerk ist. Bei Falco sind Text und Musik so eng miteinander verschmolzen wie seine Pop-Maskeraden mit seiner Persönlichkeit.

Der Kommissar

Check it out, yo, hah!
Two, three, four, eins, zwei, drei
Na, es ist nix dabei
Na, wenn I eich erzähl‘ die Gschicht
Nichtsdestotrotz, ich bin es schon gewohnt
Im TV-Funk, da läuft es nicht, tja!
Sie war jung, das Herz so rein und weiß
Und jede Nacht hat ihren Preis
Sie sagt: „Sugar sweet, ya got me rapping to the heat!“
Ich verstehe, sie ist heiß
Sie sagt: „Babe, you know, I miss my funky friends.“
Sie meint Jack und Joe und Jill
Mein Funk-Verständnis, ja, das reicht zur Not
Ich überreiß‘, was sie jetzt will
Ich überleg‘ bei mir, ihr Nosn spricht dafür
Währenddessen ich noch rauch‘
Die special places sind ihr wohl bekannt
Ich mein‘, sie fährt ja U-Bahn auch, dort singen’s:

Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh
Er wird di onschau’n, und du waßt, warum
Die Lebenslust bringt di um

Alles klar, Herr Kommissar?

„Hey, wanna buy some stuff, man, huh?”
„Did you ever rap that thing, Jack? So rap it to the beat.”

Wir treffen Jill und Joe und dessen Bruder Hip
Und auch den Rest der coolen Gang
Sie rappen hin, sie rappen her
Dazwischen kratzen’s ab die Wänd‘
Dieser Fall ist klar, lieber Herr Kommissar
Auch wenn sie anderer Meinung sind
Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahr’n, kennt heite jedes Kind
Jetzt das Kinderlied!

Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh
Er hot die Kroft und wia san klan und dumm
Und dieser Frust macht uns stumm
Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh
Wenn ea di onspricht und du waßt warum
Sag eam, dein Lem bringt di um
Alles klar, Herr Kommissar?

Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh
Er hot die Kroft und wia san klan und dumm
Und dieser Frust macht uns stumm, ah, la, la, la, la, la

Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh
Wenn ea di onspricht und du waßt, warum
Sag eam, dein Lem bringt di um, la, la, la, la, la

Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh

Drah di ned um, oh, oh, oh
Schau, schau, der Kommissar geht um, oh, oh, oh

Welche Sprache singt, rappt oder spricht Falco eigentlich? Am Anfang Englisch: „Check it out, yo, hah!“. Allerdings dient dieses Englisch mehr dem lustvolle Ausstoßen von Lauten und dem Hineinziehen in den Song: „Two, three, four“. Die nächste Sprache ist das Hochdeutsche, „eins, zwei, drei“, das übergeht ins Wienerische: „Na, wenn I eich erzähl‘ die Gschicht“. Das ist aber noch lange nicht alles, denn die angekündigte Geschichte enthält seltsame Formulierungen wie „funky friends“ oder „Funk-Verständnis“ oder auch „Sie rappen hin, sie rappen her“, und dabei handelt es sich offensichtlich um Code-Worte, mit denen eigentlich etwas anderes gemeint ist, eben das, was auch das poetische Bild vom „Schnee, auf dem wir alle talwärts fahr’n“ umschreibt. Dass hier Verständnisprobleme auftreten, weiß auch der Sänger, der im Gespräch mit einer Frau selber überlegt, was diese eigentlich meint, der überreißen muss, was sie will, bis er entscheidet, dass ihre „Nosn“ dafür spricht: für den Genuss von Kokain.

Das letzte sprachliche Element, vielleicht der Hauptclou des Songs, ist die Anlehnung an das Kinderspiel oder Kinderlied vom Plumpsack, der umgeht. Dieses Spiel ist seit dem 18. Jahrhundert bekannt, 1796 unter der Überschrift „Das böse Ding. Der Plumpsack geht herum“ von Johann C. Gutsmuths in „Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und des Geistes“ so beschrieben: „Die zahlreiche Gesellschaft stellt sich auf einem ebenen Platz in einen Kreis, Mann an Mann, die Gesichter in den Kreis gewendet, und mit den Händen auf dem Rücken. Aber Einer geht oder läuft, mit dem zusammengedrehten Taschentuche bewaffnet, um den Kreis herum und ruft: der Plumpsack geht herum, seht euch nicht um!“ Aus diesem bösen Ding wird im Song der Kommissar, der hinter den Dealern und Konsumenten her ist.

Abbild eines lustvollen urbanen Sprachdurcheinanders

Wie kam es zu einer solchen abenteuerlichen Sprachmischung, die 1981 völlig einzigartig im Raum der deutschsprachigen Musik stand? Der Song hat verschiedene Quellen: Zuerst war die Musik da, die Falco als fertige Komposition vom Musikproduzenten Robert Ponger angeboten wurde. Falco schrieb also seinen Text auf eine vorhandene Melodie, ein in der Lied- und Songtradition gängiges Verfahren. Dass er damit nicht mehr völlig frei war, sondern einen Rahmen füllen musste, zeigt auch, dass ästhetische Produktivität von einem Zwang geradezu beflügelt werden kann. Ein weiterer Zufall: Falco, eigentlich Johann „Hans“ Hölzel, spielte als Statist in einer Folge der österreichischen Krimiserie „Kottan ermittelt“ mit, und aus dieser Erfahrung ging die Figur des Kommissars hervor.

Eine erhebliche Rolle spielt auch die Stadt Wien, denn hier konnte man von den Dichtern der Wiener Schule wie Ernst Jandl oder H.C. Artmann lernen, Sprache als Material zu behandeln, mit dem man die bekannte Welt umbaut oder eine neue hervorbringt; Artmann hat Falco denn auch als Poeten geschätzt. Aber Wien war als Hauptstadt eines Vielvölkerreichs auch ein Ort, an dem man lange schon die Mehrsprachigkeit einer Gesellschaft erleben konnte, das Nebeneinander von Kulturen und Lebensformen, und so ist Falcos Sprache auch das Abbild eines lustvollen urbanen Sprachdurcheinanders – der deutschsprachige Rap fing erst zehn Jahre nach Falco an, ansatzweise in eine solche Richtung zu arbeiten.

Denn Falco hatte auch etwas Geniales, wie er selber wusste: „ Der Amadeus der 1980er-Jahre, das bin ich.“ Die Originalität führte dazu, dass Falcos Songs eine Zeitlang im Radio nicht gespielt wurden („Im TV-Funk da läuft es nicht“, wie es im „Kommissar“ heißt), und sie führte dazu, dass Falco einer der ganz wenigen internationalen Stars der deutschen Musik wurde, dass auch in den Clubs in New York „Drah di ned um, oh, oh, oh“ mitgesungen wurde. Nicht zuletzt sind auch die vielen posthumen Ehrungen Ausdruck dieser Anerkennung, sei es das Musical „Falco“ zu seinem 60. Geburtstag 2017, der merkwürdige Fall eines Wiener Requiems zu seinem 20. Todestag im Februar 2018 oder der jüngst erschienene Sampler deutscher Rapper „Sterben um zu leben“ mit Falco-Hit-Adaptionen.

Aber ist „Der Kommissar“ nicht ein Song, so könnte man einwenden, der den Drogenkonsum als spannendes Spiel darstellt? Dahinter steht die Frage, die Uwe Ebbinghaus vor kurzem in dieser Anthologie aufgeworfen hat: Wie geht man mit den problematischen Anteilen von Rap-Songs um, bilden solche Songs wirklich Realität ab, enthalten sie gar Handlungsanweisungen – oder sind sie viel offener zu hören, finden in einem ästhetischen Freiraum statt? Im Fall des „Kommissars“ kann man vielleicht sagen, dass die Drogenwirklichkeit Wiens das Material für eine musikalisch-sprachliches Spiel bietet, dass eine lustvolle und bedrängende Wirklichkeit (der Kommissar!) damit entwirklicht wird, so dass man in einen Raum übergeht, wo man „klan und dumm“ ist, Spott mit den Autoritäten treibt, wo gejagt und weggelaufen wird. Aber ebenso ist richtig: Der reale Falco verstrickte sich in den Drogenkonsum, wurde psychisch immer labiler, floh aus einer bedrängenden Wirklichkeit, und als er 1998 bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik starb, wurde unter anderem Kokain in seinem Blut gefunden. Im Song ist es noch ein lustvolles Talwärtsfahren, ein Kinderlied, grundiert von der Vorahnung: „Die Lebenslust bringt di um“.