Pop-Anthologie

Punch Brothers: „Julep“

Vom Schaukeln und Schweben: Die Punch Brothers besingen die amerikanische Porch als einen Ort, an dem sich Leben und Tod, Diesseits und Jenseits begegnen.

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Punch Brothers

Die Porch, jener halboffene Vorbau, der zu traditionellen nordamerikanischen Häusern gehört wie der Truthahn zum Thanksgiving Dinner – die Porch ist eine Zone des Schwebens, und zwar in mindestens dreifacher Hinsicht: Zunächst ist sie auf Hauptgeschoßhöhe errichtet, das heißt, sie erhebt sich buchstäblich über den Erdboden. Außerdem bildet sie einen enthobenen Raum zwischen der Privatheit des Hauses und der nachbarschaftlichen Öffentlichkeit, zwischen familiärer Intimität und sozialer Außenwelt. Schließlich ist es ein Ort, an dem das Zeitregime des sonstigen Alltags, das bedrängende Nacheinander von Terminen und Erledigungen, aufgehoben wird. Auf der Porch gehorcht die Zeit anderen Gesetzen: dem Hin und Her einer an die Decke befestigten porch swing oder eines Schaukelstuhls, der Eigendynamik von Gesprächen, dem Nacheinander von Drinks und Songs.

Selbst ganz ohne Text ergäbe „Julep“ die perfekte musikalische Begleitung für ein sommerliches hangout auf der Porch, zumal eine Band in klassischer Bluegrass-Besetzung (mit Geige, Mandoline, Gitarre, Kontrabass und Banjo) in den meisten Fällen problemlos auf ihr Platz fände. Während die beständig wiederkehrende Bassfigur und der rhythmische Schlag auf die abgedämpften Saiten der Mandoline eine gleichsam dahinschaukelnde Zeiterfahrung musikalisch illustrieren, artikuliert sich in den meist eher flächigen, ins Weite gehenden Klängen von Geige, Banjo und Gitarre ein Gefühl des Aus-der-Welt-Seins. Es ist eine Musik, die aus einer anderen, nicht ganz alltäglichen Sphäre zu erklingen scheint, hervorgebracht von einer Formation, die derzeit fraglos zum Avanciertesten zählt, was die amerikanische Musikwelt zu bieten hat.

Angelaufenes Silber

Der musikalische Eindruck von Enthobenheit wird gleich in den ersten Versen des Songtextes bestätigt und sogar noch auf die Spitze getrieben. In ihm entfaltet sich eine ungewöhnliche Sprechsituation: „I died happy in my sleep“. Das Ich, das hier spricht, ist bereits verstorben und blickt nun auf seine letzten Lebensmomente zurück: In seinem Sterben sei es nicht nur begleitet worden von einem Du, das von oben, also aus dem Jenseits, Blickkontakt zu ihm gehalten habe („and you looking down“), sondern auch von den gemeinsamen Kindern („our children around“). Das glückliche Sterben war für das Ich ein Sterben im Kreise der Familie.

Gleich darauf, im anschließenden Refrain, wird das Jenseits, in dem sich Ich und Du nunmehr gemeinsam befinden, genauer beschrieben. Es handelt sich, überraschenderweise, um einen Ort, der dem Verstorbenen aus Lebzeiten wohlvertraut ist:

Heavenʼs a julep on the porch
Heavenʼs a julep on the porch
You and me rocking
A grandfather clock is
Tick, tick, tocking
To the time we used to wind it

Das Zusammensein auf der Porch, das gemeinsame Hin- und Herschaukeln, dazu in der Hand ein Julep, also ein aus Whiskey, Zucker, Minze und Eis zusammengerührter Drink – in dieser Daseinsform treffen sich das Diesseits und das Jenseits, ja sie entsprechen einander in allen Einzelheiten. Die einzige Differenz, die sich zwischen den zwei Welten auftut, ist deswegen umso bedeutsamer: Vom Aufziehen der alten Uhr spricht der Verstorbene bezeichnenderweise in der Vergangenheitsform („we used to wind it“), womit nichts anderes gesagt ist, als dass im Jenseits genau diese Tätigkeit überflüssig geworden ist. Zwar ist das Ticken der Uhr als Klang weiterhin vernehmbar, aber es verweist nicht mehr auf das Ablaufen der Zeit.

Etwas später, in der fast sakralmusikalisch anmutenden Bridge, wird die Zeitlosigkeit der Jenseitsexistenz noch etwas genauer charakterisiert:

Now that time stands still
We can drink our fill
Out of silver that will never
Tarnish like we will

Ein Julep wird üblicherweise in einem eisgekühlten Silberbecher serviert. Anders als in der Welt der Lebenden wird sich dieser Becher im zeitlosen Totenreich aber weder leeren („we can drink our fill“) noch altern und damit anlaufen („tarnish“). Während der gestürzte Silberbecher in der bildenden Kunst mitunter als Vanitasmotiv auftaucht, steht er bei den Punch Brothers umgekehrt für die Ewigkeit – und damit im Kontrast zum menschlichen Leben, das unweigerlich ein Leben hin zum Tode ist („tarnish like we will“). Aus dem Song wird so eine kleine existenzphilosophische Meditation.

Das Leben, ein Sommer

Aber das vielschichtige Motiv der Porch erschöpft sich nicht in Aspekten von Sein und Zeit, von Immanenz und Transzendenz, sondern es ist zudem der Ausgangspunkt für eine Rückschau des Ich auf das eigene Leben:

She brought the sugar and the mint
She brought the sugar and the mint
And he brought the whiskey
Asked for my blessing
„Yes, sir, I know sheʼs –“

Heavenʼs a julep on the porch
Heavenʼs a julep on the porch
[…]

Weil gleich zu Beginn des Songs auf die gemeinsamen Kinder von Ich und Du angespielt wird („our children around“), liegt es nahe, die Szenerie als eine Antragssituation zu interpretieren: mit einer Sie, von der man annehmen darf, sie sei die Tochter des Ich, und einem Er, das den Vater um die Einwilligung bittet, sie, also die Tochter, um ihre Hand bitten zu dürfen. Das Geschenk, das die beiden mitbringen, wäre, so betrachtet, von symbolischer Bedeutung: ‚So, wie Zucker, Minze und Whiskey für die Zubereitung eines Julep zusammengehören, genauso gehören wir als Paar zusammen.‘ Der Satz „Yes, sir I know she’s“, der durch das erste Wort des Refrains vervollständigt wird („she’s heaven“), wäre demnach als eine bestätigende Antwort zu verstehen – als Antwort auf die Ermahnung eines Vaters, dem seine Tochter das Wertvollste ist. Es geht in „Julep“ nicht zuletzt um family values, und zwar solche der traditionelleren Sorte.

Später im Song blickt das Ich in seiner Lebensgeschichte noch weiter zurück, nämlich in die eigene Jugend, in der es dem Du zum ersten Mal begegnet ist, ja sogar von Vorherbestimmung ist dabei die Rede: „You were just a girl that I should meet“. Die jugendliche Emphase mit Liebe, Schönheit und „drinks in the backyard“ wird musikalisch begleitet durch ein markantes Crescendo, und dabei gewinnt auch die Sängerstimme deutlich an Intensität, gipfelnd in dem Ausruf: „Liftimeʼs a summer“! Gleich darauf, mit dem Einsetzen des Refrains, kehren die Instrumente aber wieder in den sanften Modus des Schaukelns und Schwebens zurück, bis ganz am Ende nur ein vereinzelter Gitarrenakkord stehenbleibt wie ein ausgetrunkener Silberbecher nach einem langen Sommerabend auf der Porch.

Epitaph auf eine Lebensform

Die amerikanische Porch hatte ihre Glanzzeit zwischen dem mittleren 18. und dem frühen 20. Jahrhundert. Vor allem mit dem Einzug der Radios und Fernsehgeräte in die Wohnzimmer und der zunehmenden Präsenz von Autos in den Straßen und Vorgärten hat sich ihr Stellenwert dann vollkommen geändert. So sprach man von ihr bereits in den 1980er Jahren als einem Objekt der kulturellen Vergangenheit: „Nobody thought much about the front porch when most Americans had them and used them“, so liest man etwa in dem Band „Home Sweet Home. American Domestic Vernacular Architecture“ (1983). „The great American front porch was just there, open and sociable, an unassigned part of the house that belonged to everyone and no one, a place for family and friends to pass the time.“ Mehr noch als das Verschwinden eines baulichen Elements konstatieren diesen melancholischen Zeilen den Verlust einer ganzen Lebensform.

Die Punch Brothers greifen den anachronistischen Charakter der Porch in ihrem Song nur hintergründig auf, so etwa durch das Motiv der „grandfather clock“. Hört man den Song allerdings im Gesamtzusammenhang des 2015 veröffentlichten Albums „The Phosphorescent Blues“, auf dem „Julep“ erschienen ist, tritt dieser Zug noch etwas deutlicher hervor. Insbesondere der letzte Song darauf, „Little Lights“, entwirft eine höchst gegenwärtige Kommunikationswelt, die sich von allem, wofür die Porch traditionellerweise steht, scharf unterscheidet:

Look at us hold each other spellbound
every moment a polished silver
link in a chain forever rattling through
our beloved tunes in our beloved rooms

Wenn das glattpolierte Smartphone, das unsere Aufmerksamkeit wie ein Zauber bannt, die Gegenwart ist, so wäre die Porch die ihr gegenüberstehende Vergangenheit – und „Julep“ ihr betörend schönes Epitaph.


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„Julep“

I died happy in my sleep
I died happy in my sleep
Our children around
And you looking down from –

Heavenʼs a julep on the porch
Heavenʼs a julep on the porch
You and me rocking
A grandfather clock is
Tick, tick, tocking
To the time we used to wind it

She brought the sugar and the mint
She brought the sugar and the mint
And he brought the whiskey
Asked for my blessing
„Yes, sir, I know sheʼs“ –

Heavenʼs a julep on the porch
Heavenʼs a julep on the porch
You and me rocking
A grandfather clock is
Tick, tick, tocking
To the time we used to wind it
God, the time we used to wind it

Now that time stands still
We can drink our fill
Out of silver that will never
Tarnish like we will

You were just a girl that I should meet
You were the girl that I would meet
For drinks in the backyard
A beautiful daughter
Lifetimeʼs a summer
And love there will after

I died happy in my sleep
I died happy in my sleep
Our children around
And you looking down from –

Heavenʼs a julep on the porch
Heavenʼs a julep on the porch
You and me rocking
A grandfather clock is
Tick, tick, tick, tick, tocking
To the time we used to wind it
God, the time we used to wind it
Oh itʼs tick, tick, tick, tick
Tick, tick, tick, tick, tocking
To the time we used to wind it