Pop-Anthologie

Rosalia: „Barefoot in the Park“

Nie hat James Blakes gequälter Ton besser zu einem neuen Sound gepasst: Die spanische Musikerin Rosalía testet Duoprojekte. Und erobert sich nebenbei einen Platz in den Annalen des Pop.  

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Rosalia

Eine Industrie-Vorort im Abendlicht, zwei Kinder auf der Straße. Zwei brennende Autos nach einem Zusammenstoß. Stimmen erheben sich, als sie sich in die Augen blicken, schräg säuselnde Frauenstimmen, die Unbehagen bringen  oder zumindest jene Vorahnung von Abgründen, aus der Gabriel García Marquez seine dunkle Magie schöpfte. Die Kinder laufen davon, ihre Wege trennen sich in einer sonderbar statischen Welt, und dazu erhebt sich der Beat, der diesen leisen Song trägt, ein Echo der Klatschrhythmen, die man sonst von Rosalía und aus dem Flamenco kennt, hingehaucht, trotzdem drängend. Sofort ist klar, wer die Kontrolle über all das hier hat, wenngleich „Barefoot in the Park“ auf  James Blakes viertem Album „Assume Form“ erschienen ist, gar nicht bei Rosalía selbst.

Agujerito del cielo
Cuelando el brillo de Dios
Un rayo cayó en tus ojo‘
Y me partió el corazón

Agujerito del cielo
Díctame por dónde ir
Para yo no equivocarme
Y así ver mi porvenir

Rosalía, Sängerin aus Barcelona, legt gerade erst mit den Kooperationen los, so wie sie überhaupt erst vor ein paar Monaten richtig losgelegt hat, obwohl die Popwelt schon seit zwei Jahren von ihr spricht. Für ihren Song „Con Altura“ arbeitete sie mit dem Reggaeton-Sänger J Balvin, laut „Guardian“ produziert sie gerade Songs mit Billie Eilish, Pharrell und Dua Lipa, Interviewtermine werden Monate im Voraus abgestimmt. 2016 erschien das erste Album der Fünfundzwanzigjährigen, damals machte sie noch Flamenco, wobei sie, die an der Musikhochschule Flamenco-Gesang studierte, schon immer mit aktuellen Stilen experimentierte. Die südspanische Sehnsuchtsmusik mit ihrem eindringlichen Tremolo ist für den Rest der Welt nicht immer gleichermaßen verständlich. Trotzdem war schon damals klar, dass da eine eigenwillige, kompromisslose Künstlerin einen völlig neuen Sound entwickelte – und dass der nicht so schnell verschwinden würde. „El mal querer“ („Die schlechte Liebe“), das zweite Album, war schon Grammytauglicher, und der Song „Malamente“ gewann dann auch zwei. Rosalía hatte begriffen, wie man mit den Traditionen spielt, ohne sie absolut zu setzen. In ihren Videos treten jetzt Stierkämpfer gegen Motorräder an und Kuttenträger mit Spitzhaube fahren Skateboard. Klar auch, dass dieser Grad Exzentrik Pedro Almodóvar verzücken würde (sie war inzwischen in einem seiner Filme zu sehen).

Rosalía singt immer auf Spanisch. Und oft, so wie bei „Malamente“, stecken ihre Songs voller Beobachtungen und Szenen, die aus einer Erzählung stammen könnten: „Das Licht am Treppenabsatz, eine Stimme auf der Treppe, jemand, der den Flur überquert.“ Das könnte nebensächlich klingen, wäre da nicht etwas Dunkles in ihrer Stimme, eine Überzeugung in ihrem Blick, die keinen Widerspruch duldet und Sogwirkung hat, wie der Strahl vom Himmel, von dem sie in „Barefoot in the Park“ singt: Ein kleiner Spalt im Himmel, der den Weg weisen soll, ein Strahl, der in seine Augen fiel und mir das Herz zerteilte. Eine Ahnung meiner Zukunft.

When you’re done with me

I see a negative space
What you’ve done for me
You need to lose some day
Who needs to pray?
Who needs balance? I’ll see you every day

Barefoot in the park
You start rubbing off on me

Barefoot in the park
You start rubbing off on me

Das klingt alles einigermaßen kryptisch. Man erzählt sich, Rosalía liebe das Mystische, interessiere sich für den Einfluss des Unterbewusstseins. Sie liebt aber auch die Energie des R&B und die Unmittelbarkeit des Hiphop, und weil das anders ist als alles, was man kennt, weil der Klang ihrer Sirenenstimme und der klatschenden Hände und der elektronischen Impulse hypnotisierend wirkt, weil James Blake mit seiner gequälten Knabenstimme nicht besser zu ihr passen könnte, bannt „Barefoot in the Park“. Auch dann noch, als Blake den Gypsy-Zauber mit Englisch bricht: Wenn du mit mir fertig bist, sehe ich eine negative Fläche. Was du für mich getan hast, wirst du eines Tages verlieren müssen.

Es liegt ein Sehnen und Verstehen hinter den Worten von Rosalías Duopartner. Sie hat etwas für ihn getan, aber er weiß, dass sie es hinter sich lassen, ihm keine Balance spenden wird und bereits dabei ist, seinen Abdruck von ihrer Haut zu reiben. Im Musikvideo laufen sie in entgegengesetzte Richtungen davon, werden von Kindern zu Jugendlichen, kommen durch Industriegebiete, die an Rosalías Geburtsort in den Ausläufern Barcelonas erinnern, voller alter Fabrikgelände und Lastwagen. Das Fahrerhäuschen eines Lasters, diesen Ort männlicher Verfügungsmacht, hat sie in „Malamente“ zu ihrem Spielplatz gemacht. Jetzt  wandert sie an Trucks vorbei, öffnet und schließt ihre Hände im Stil der Flamenco-Tänzerinnen, und bringt dabei lange Nägel zum Vorschein – auch so ein rosalianisches Machtsymbol.

Ya tengo to‘ lo que quiero
Ya no puedo pedir má‘
Cuando te tengo a mi la’o
Lo pasa’o se queda atrá‘
Si estas faltando en mi era
Y te tuviera encontrar
Hasta yo te encontraría
Como el río va a la mar

Barefoot in the park
You start rubbing off on me
Barefoot in the park
You start rubbing off on me

Silence starts turning off between
Sky’s looking up I think
I call off the chase
Who needs balance? I’ll see you everyday

Barefoot in the park
You start rubbing off on me
Barefoot in the park
You start rubbing off on me

Wer einmal auf einen andalusischen Pilgerzug gestoßen ist, in der Provinz Huelva zum Beispiel, wo jedes Jahr Tausende mit Bauwagen und Pickups der Heiligen Jungfrau von El Rocío huldigen, weiß,  in welchen Bann das rhythmische Klatschen und der Flamencogesang ziehen können.  Rosalia macht sich diese Traditionen und die Metaphorik der Gitanas, der spanischen Roma, zu eigen und repräsentiert sie sehr authentisch, wenn sie die Arme reckt und ihr Schmuck klimpert. Dennoch gab es Kritik, Roma-Organisationen beklagten über die Umdeutung und Kommerzialisierung von Flamencotraditionen, verwiesen auf Rosalias Ikonografie, die nicht ihrer eigenen Kultur entstammt.

Auch wenn sie singt, zitiert sie die Sprache der Gitanas: Konsonanten verschwinden, Endungen werden verschluckt, oft spielt sie dabei mit der Verführung: Alles, was ich brauche, wenn ich dich an meiner Seite habe, und die Vergangenheit verschwindet. Oder: Wenn ich dich suchen müsste, dann so wie ein Fluss, der ins Meer fließt.  Es geht um die Fluidität von Vergangenheit und Gegenwart, um die Erwartung der Zukunft, das Vergessen. Am Ende kreuzen sich die Wege der beiden wieder, alles deutet auf Düster-Nächtliches hin. Ich sage die Jagd ab, singt James Blake. Die Autos brennen, die Sonne schwindet, nichts regt sich. Mehr Zuversicht hätte man sich von Rosalías dunkler Magie auch gar nicht erwartet. Aber man erzählt sich, sie glaube an ein zweites Leben.