Bist Du noch allein und wartest auf mich? Und ist das jetzt Schlager oder Punk? Michael Holms 1970 erschienenes Lied „Smog in Frankfurt“ war damals avantgardistisch und ist es vielleicht bis heute.
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Obwohl es ein Jahr vor meiner Geburt veröffentlicht wurde, war ich tatsächlich schon 25 Jahre alt, als ich dieses erstaunliche Lied zum ersten Mal zu hören bekam. Das war in Hamburg, dort vor einer Bar, die hieß «Zum Sorgenbrecher», in einer Straße namens Hamburger Berg, und Jochen Distelmeyer, ein schlanker Mann mit platinblond gefärbter Chris-Isaak-Frisur war soeben eingetroffen, um auf seine enorm agitierende Weise von einem Hörerlebnis aus der vergangenen Nacht zu erzählen, als er, nur wenige Meter den Hamburger Berg «hinauf» wie es hieß, in Richtung Reeperbahn, wo es gegenüber der berüchtigten Dauergaststätte «Zum Goldenen Handschuh» ein Triptychon aus drei direkt aneinander gebauten Behelfsbauten gab, in denen drei an und für sich voneinander getrennt betriebene Kneipen beheimatet waren, noch auf einen der damals neuerdings sogenannten Absacker, einen Sauren, im «D-Zug» vorbeigeschaut hatte.
Das mittlere dieser drei Absturzlöcher nannte sich «Zum D-Zug». Eventuell war es auch das ganz rechts außen gelegene, das so hieß, die Lage tut hier zur Abwechslung mal nichts zur Sache; wichtig bleibt, dass Distelmeyer «Smog in Frankfurt» von Michael Holm in jener Nacht zum ersten Mal aus der Musicbox im «D-Zug» gehört hatte. Und dass er es mir, da ich das Lied ja nicht kannte, daraufhin vorsang. Das erste Mal, mit 25, hörte ich «Smog in Frankfurt» also von ihm.
Die Originalversion von Michael Holm ist freilich auch nicht übel. Für mich lebt dieses Lied ohnehin von seinem Text. Distelmeyer hatte mir gegenüber behauptet, die Zeile ginge «Smog in Frankfurt und ich suche mein Girl» — was ja an und für sich schon ein Knaller war — dabei hatte es sich aber noch um eine Untertreibung gehandelt. In Wahrheit lautete die diesbezügliche Passage im nämlich «Smog in Frankfurt, schwarzer Nebel / Liegt in Frankfurt, eine fahle Haut / Die die Sicht mir raubt».
Wer jetzt fragt, ob die fahle Haut denn jemals, ob Fahlheit oder ob Haut, gemeinsam, einsam, oder eine jede bloß für sich genommen, denn jemals schon — ob in der Musikgeschichte, ob irgendwo in der sogenannten Realität — die Sicht von irgendwem, von irgendwas geraubt?
Der hat kein Herz für Poesie.
Komm, lass mich Deine Sorgen brechen. Und Smog ist eine Haut. «In den Augen hab ich Tränen / Von Gas und Rauch / Und weil Du so fern bist / Darum auch.»
Thomas Meinecke, der damals leider nicht dabei war, obwohl er ja Hamburger ist, wohingegen ihn beinahe alle für einen Bayern halten aufgrund seines lebensfrohen Leibesumfangs, hat ja angesichts der Dichtkunst Albert Ostermeiers ganz richtig angemerkt, dass solche Poesie vor allem in der Kunst besteht, am rechten Ort in der Zeile die Return-Taste zu drücken. In dieser Hinsicht ist der Text von «Smog in Frankfurt» avantgarde. So ganz scheint ihn sein Interpret Michael Holm auch selbst nicht durchdrungen zu haben, singt er doch beharrlich «Smoke» statt Smog.
Umweltphänomene, die uns heute von klein auf selbstverständlich sind, waren am Anfang der siebziger Jahre noch exotisch, weil neu — «Denn in meinem Traum, Traum, Traum ist die Welt voll Licht / Ist der Himmel blau, blau, blau wie ein See.»
Für Fans der Band Blumfeld und ihres genialen Texters Distelmeyer ist die folgende Information bezüglich Michael Holm wissenswert: Ein paar Jahre zuvor hatte Rocko Schamoni mit Michael Holm dessen zweitgrößten Hit «Mendocino» als rockiges Duett im Stile des Hamburger Klamaukpunks aufgenommen. Schamoni war, trotz einer eher unpolitischen Ausrichtung seines Acts, Teil des Establishments auf St. Pauli, das im Wesentlichen von Erinnerungen an die Hafenstraßenzeiten bestimmt wurde. Als «Ich-Maschine» erschienen war, zeigte das Establishment dem Charismatiker Distelmeyer die kalte Schulter. Bei einem Konzert in der Altonaer Fabrik bewarfen ihn die Altpunks mit Reclam-Heften. Die Dosenbierparty war vorbei. Mit Pogo zu Mendocino und «Der Tag als Thomas Anders starb». Schlagerpunk war jetzt auch dead.
«Smog in Frankfurt», Pathos und Pop und Poesie, war die Zukunft. Zumindest bis zum «Apfelmann».
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Smog in Frankfurt in Straßen,
Smog in Frankfurt und der kalte Rauch
färbt die Luft so grau.
Smog in Frankfurt und ich wart schon
Stunden hier,
doch kein Taxi hält bei mir
und bringt mich zu Dir.
Nur in meinem Traum, Traum, Traum
ist die Welt voll Licht,
ist der Himmel blau, blau, blau wie ein See.
Du liegst neben mir im Gras
und man stört uns nicht,
wenn ich das Glück in Deinen Augen seh.
Smog in Frankfurt, schwarzer Nebel
liegt in Frankfurt, eine fahle Haut,
die die Sicht mir raubt.
In den Augen hab ich Tränen
von Gas und Rauch
und weil Du so fern bist, darum auch.
Und ich frage wo, wo, wo ich Dich finden kann.
Bist Du noch allein und wartest auf mich?
Du hast Dich bestimmt für mich
wunderschön gemacht.
Smog in Frankfurt, in Straßen,
Smog in Frankfurt, in den Gassen,
Smog in Frankfurt, in den Häusern.
Keiner sieht mich und ich warte.
Niemand hilft mir und ich hoffe.
Smog in Frankfurt, ganz alleine
träum ich von Liebe, von Deinen Küssen.
Träum von der Sonne, von ihren Strahlen.
Schließe die Augen und Du stehst vor mir.
Denn in meinem Traum, Traum, Traum
ist die Welt voll Licht,
ist der Himmel blau, blau, blau wie ein See.
Du liegst neben mir im Gras
und man stört uns nicht,
wenn ich das Glück in Deinen Augen seh.
Flip The Hit
Das Singleplattencover zeigt als A Seite den Song „Nachts scheint die Sonne“, an den ich mich sehr gut erinnere, (Radio-) Hit, Co-Autor und Produzent ein gewisser G. Moroder.
Ich hätte mir jedenfalls auch die B-Seite angehört, sofern ich mir die Hitsingle gekauft hätte.
Erstaunlich
dass es der Song erst 1995 nach Hamburg zu dem Autor geschafft haben sollte. Sogar im Osten Deutschlands war das ein weit verbreiteter Hit, dem man auch dann nicht ausweichen konnte, wenn man nicht allzusehr von dessen Qualitäten überzeugt war. p.s. Auf dem Singlecover ist eher kein Mustang abgebildet.
Aussprache Smog
Bezüglich „So ganz scheint ihn sein Interpret Michael Holm auch selbst nicht durchdrungen zu haben, singt er doch beharrlich «Smoke» statt Smog.“: Wann hat sich denn die heute übliche Aussprache dieses Kofferworts etabliert? Ohne etwas zur damaligen Aussprache zu wissen halte ich es für möglich, dass als Kunstwort beide Varianten (o wie in Smoke oder o wie in Fog) üblich waren bis sich die heutige verfestigte.
Sie haben recht
Der 2teilige Fernsehfilm, in dem das Wort und die Umstände erstmals in Deutschland allgemein bekannt wurden, entstand erst 1973.
Da es sich um ein Kunstwort aus „Smoke“ und „Fog“ handelt, war auch danach nicht unbedingt klar wie es ausgesprochen werden mußte. Im Prinzip ist die heutige Aussprache eine Konvention, die sich durchgesetzt hat.
Lieber Björn Palazzo
man weiß ja nicht, in welcher Funkwellen-Diaspora Du Deine Jugend verbringen musstest? Stichwort Beat Club, Radio Bremen! Meiner Oma hat ja Chris Andrews am besten gefallen, der hatte wenigstens ein ans-tändiges Hemd an…
hohes Treppchen für ein solches Lied
Wie Björn Palazzo es umschrieb. Die Möglichkeit Musik zu erfahren und zu entdecken war nahe Null. Zu der Zeit gab es auf der deutschen Musikbühne jede Menge „erstaunlicher Lieder“. Meist hieß es abtauchen ohne Kommentar und stillschweigen, und wenn tatsächlich mal ein gutes Lied erklang ging die Forschungsarbeit los. Da konnte es schonmal passieren, daß man aufgrund seines Umfeldes musikalisch keine Stufe weiter kam.
Die Verklärung vergangener Zeiten gelingt am einfachsten, wenn man sie nicht selbst erlebt hat.
Ich sah ihre Lippen, ich sah ihre Augen
Die Zähne gehalten von zwei golgenen Spangen
Mendicino Mendicino –
sangen wir damals um dem ganzen noch etwas Gutes abzugewinnen.
Ein Jugendlicher hatte in den 70ern kaum eine Chance auf gute Musik, wenn er nördlich von SWF3 leben mußte. Im WDR wurden nicht mal die Beatles gespielt, die hatten nämlich lange Haare! Die Stones waren mit dem Leibhaftigen gleichgesetzt. Die Radioprogramme wurden von Philantropen gestaltet, einzige Bedingung: es durfte nicht progressiv sein.
Noch nicht einmal der Kassettenrecorder war erfunden, Musik zu tauschen also quasi unmöglich. Jeder schwor auf die Schallplatte, die er aus welchen Gründen auch immer zuhause hatte.
Michael Holm war nicht das Schlimmste, was uns zugemutet wurde, aber es gibt gute Gründe, warum er nur noch von Waldschraten verehrt wird…
Echt jetzt?
Also ich bin zwar weit nördlich von SWF3 aufgewachsen, doch zu meinen ersten Klangerlebnissen ab 2. Hälfte 60er zählten nämliche Beatles, Procol Harum, The Beach Boys und The Mamas & The Papas – alles auf NDR Radio! Wobei ich wirklich glaubte, Mama und Papa singen da – genauer wollte ich aber lieber nicht nachfragen, weil die Frau im Radio hartnäckig behauptete, der Papa hätte die Mama mit einer anderen Mama betrogen 😉
Den Kassettenrecorder hatten wir übrigens schon so ab mindestens 1973, vielleicht hast Du dich da im Jahrzehnt geirrt…
70er
Der Kassettenrecorder war sehr wohl bereits erfunden!
Wie sonst hätte ich ihn zur Konfirmation im März 1971 geschenkt bekommen können?
Selbst im SDR liefen damals englische Songs, z.B. in der „Schlagerskala“ mit Günther Freund.
Darüber hinaus rauschte man sich am Radio zu AFN, um da Musik hören zu können, die einen mit Gänsehaut überziehen konnte … so aufregend war die.
Nein, Michael Holm war nicht derdiedas Schlimmste – aber er sang deutsche Texte, und das war damals nicht angesagt …
Ja stimmt wohl
Der Kassettenrekorder wurde 1963 erfunden, wußte ich bisher nicht, aber er hatte noch keine Verbreitung (Jedenfalls nicht bis zu uns nach Hause) Und die ist fürs Tauschen natürlich wesentlich.
Und zwischen NDR und SWF war das Niemandsland des WDR (heute noch einer der arrogantesten Sender) Manchmal konnte man über Kurzwelle RTL reinkriegen, wenn einen das An- und Abschwellen mir dem Rauschen nicht den Nerv getötet hat.
Cool
Ich steh mehr auf „Mendocino“. Die Single hab ich noch im Schrank. Holm sitzt da hinter dem Steuer irgendeines coolen Sportcabrios, Mustang oder so… Ich weiss nicht, ob er damit Frankfurt vor seinem Smog-Song oder danach zugenebelt hat.
Perle
In der Tat!
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Epochal!
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Was für eine Perle! Tausend Dank