Pop-Anthologie

Udo Lindenberg: „Bis ans Ende der Welt“

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Wie macht er das nur? Alles, was in Liebesliedern schon immer gesagt wurde, singt Udo Lindenberg auch – bei ihm klingt es aber anders. Gefunden hatte er seinen Stil schon 1978.

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Udo Lindenberg Ende der siebziger Jahre

Wie schreibt man im Jahr 1978 auf Deutsch ein nicht peinliches Liebeslied? Diese Frage hat sich Udo Lindenberg so natürlich nicht gestellt, aber vor dieser Aufgabe stand er. Der zurecht viel gelobte Film „Lindenberg! Mach dein Ding“ hat es noch einmal eindringlich, gefühlvoll und auch komisch vor Augen geführt: Wer in dieser Zeit auf Deutsch sang, gehörte zur Schlagerfraktion und galt auch politisch als stehengeblieben oder naiv. Udo Lindenberg liebte Rock und Blues, und seine Freunde waren alle links. Er wollte auch nicht nur Songs für eine begrenzte Szene singen, denn er verehrte die alten Lieder aus der Zeit der Romantik oder aus dem frühen 20. Jahrhundert, die gleichzeitig populär und ästhetisch auf der Höhe waren. Seine Lieder sollten zum Mitsingen sein und ihm Bewunderung als Künstler einbringen (und natürlich auch Geld). Musikalisch ging es damit um nichts weniger als die Erfindung einer eierlegenden Wollmilchsau, erst recht in einer Liebes-Ballade: klare Strukturen, aber nicht zu simpel, internationaler Stil, aber deutscher Text, mitteilsam, aber nicht geschwätzig.

In dieser Situation schuf er eine eigenwillige und wiedererkennbare Sprache, die seine Anhänger ergreifend und tiefsinnig finden, während seine Gegner sie für albern und selbstparodistisch halten. Wie geht er dabei vor? Alles, was in Liebesliedern schon immer gesagt wurde, sagt und singt Lindenberg auch, aber mit gegenwärtigen Worten, die er in individuelle Wendungen einfügt. Diese Mischung des Alten und Neuen, des Bekannten und des Originellen ist 1978 schon entwickelt und wird in den Folgejahrzehnten immer weiter ausgebaut und variiert. So beginnt der Song „Bis ans Ende der Welt“, dessen Text Lindenberg gemeinsam mit Ulla Meinecke verfasste, mit dem für Liebeslieder klassischen Unsagbarkeitstopos: Wenn der Mann die geliebte Frau ansieht, fällt „ihm nichts mehr ein“. Allerdings fällt ihm dann doch einiges ein, denn sonst könnte das Lied nicht weitergehen.

Wie in den alten Liedern fühlt sich das lyrische Ich ergriffen und verwirrt. Hieß es in einer Liebesklage aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“: „Lass rauschen, Lieb, lass rauschen, / Ich weiß nicht, wie mir wird“, so heißt es im späten 20. Jahrhundert: Ich stehe „meistens unter Strom“. Klassischerweise macht man der Frau „Versprechen“, aber diese werden in seltsamer Kombination auf „Verbrechen“ gereimt. Versprochen wird ebenfalls ganz konventionell die Hochzeit, aber diese Ankündigung wird ironisch unterlaufen, wenn „in Panik-Manier im Petersdom“ gefeiert werden soll.

Verändertes Geschlechterverhältnis

„Panik“, das ist eine der Vokabeln, die Udo Lindenberg aufnimmt, in seinem Sinn umdefiniert, intensiv verwendet und als Markenzeichen aufbaut, vom „Panikorchester“, das ihn begleitet, bis zum Lindenberg-Shop, in dem man eine Panik-Jacke erwerben kann. Der harte Kern dieses Begriffs ist die innere Unruhe, die den Sänger seit seinen Anfängen umtreibt und nie losgelassen hat. Lindenberg kann nicht stillstehen. Hier im Song „Bis ans Ende der Welt“ wird der Neologismus „Panik-Manier“ gebildet, der zudem in einer Alliteration mit dem „Petersdom“ verbunden wird, der sich wiederum auf „unter Strom“ reimt. Auch dem Reim hat Lindenberg immer die Treue gehalten, allerdings in unregelmäßiger und freier Verwendung. Der Song hangelt sich dann zur Vorstellung von 13 gemeinsamen Kindern weiter, aber bevor er bei so viel Kunstfertigkeit und Phantasie ganz den Boden der Beziehungsrealität verlässt und die Geliebte an den echten Gefühlen des Sängers zweifeln muss, fängt der sich wieder ein, wird schlicht und direkt: „Nimm mich in deine Arme“.

Bis hierhin hat die Musik – komponiert von Lindenberg und seinem Keyboarder Jean-Jacques Kravetz – eine formale Suchbewegung hinter sich. Die ruhige, beinahe zu langsame Repetitionsmotivik im Klavier ist nur eine Tarnkappe für die darunter brodelnde harmonische Unbestimmtheit. Denn während Elton Johns „Candle in the wind“ von 1973 – das unter Abzug der Tonumspielungen nicht unähnlich klingt – tut, was der Hörer erwartet, nämlich nach der Überleitung einen akkuraten Refrain abzuliefern, wechselt Lindenberg vom Seitenstreifen auf die Überholspur und bringt stattdessen eine zweite Strophe.

Es wird schon Hochzeit im Petersdom gefeiert, aber die Grundtonart ist nach wie vor nicht erreicht. Erst mit dem Bekenntnis „ich bin absolut verzückt“, dann nämlich, wenn das viele „wenn“, „kann“ und „meinetwegen“ endlich tonal geerdet ist, kommt Lindenberg erstmals an einem Phrasenende richtig an. Es könnte klingend sagen, dass die Geschichte aus ist. Allerdings ist auch das kein Refrain. Nur ein kurzer Zwischenstopp vor dem großen harmonischen Ausholen in einer neuen, letzten Strophe. Sie pendelt wieder lakonisch zwischen dem Grundton und der Quarte: „halt mich fest, mir wird schwindlig“, und erst die letzte Zeile wiederum liefert mit dem ersehnten Schlussakkord das erneute Liebes-Bekenntnis und das wichtigste zugleich: „ich bin so sehr verliebt.“ F-Dur, die liebliche, die idyllische Tonart. Lindenbergs Pastorale, in gerade einmal 2 Minuten 30.

Auch das Geschlechterverhältnis der romantischen Lieder verändert Lindenberg. Der Mann ist verzückt wie in alten Zeiten, aber er agiert nicht besitzergreifend: „Wenn du willst, dann nimm mich“, heißt es, oder: „Halt mich fest, mir wird schwindlig“. Die Frau ist stark und gibt den Ton an. Solche starken weiblichen Figuren stellen eine Konstante in Lindenbergs Songbook dar. Mit dieser Frau will er „bis ans Ende der Welt“ zusammenbleiben. Diese Wendung, die dem Song auch den Titel gibt, ist interessant. Ist sie zeitlich zu verstehen, im Sinne von ‚so lange, bis die Welt untergeht‘, oder räumlich, so dass das Paar zu einer dauerhaften Bewegung aufgefordert wird? Beides ist möglich, und damit bringt Lindenberg eine Vorstellung in den musikalischen Liebesdiskurs ein, die sich bis in den Bereich des Schlagers hinein durchgesetzt hat:  Die Paarbildung darf nicht zur Stagnation für die Individuen führen, die Liebenden sollen füreinander da sein, aber sich nicht innerlich abschließen.

Ein Panik-Herz, das sich binden möchte

Wer den anderen oder die andere gefunden hat, soll den Blick ins Offene nicht verlieren: „Hinterm Horizont geht’s weiter“ heißt es 1986. In Lindenbergs Werk stellt diese Forderung eine Konstante dar: Ein Ich und ein Du müssen und sollen nicht zusammenkletten, aber sie müssen sich in schwierigen Situationen aufeinander verlassen können. Unter den Bedingungen des Alters handelt davon das Album „Stark wie zwei“ von 2008: „Wenn du durchhängst / gibt’s nichts Stärk’res als uns zwei.“ So hält man die Fahrt auf der „Achterbahn der Welt“ aus, wie es das Spätwerk geradezu barock verkündet. Auf dieser Achterbahn war Udo Lindenberg 1978 schon schwungvoll unterwegs.

Mit „Bis ans Ende der Welt“ hat er ein Liebeslied zum verträumten Mitsummen geschaffen. Dafür braucht es keinen Refrain mit schnöder musikalischer Wiederholung, man lässt sich treiben. Gesetzt ans Ende des Albums „Dröhnland Symphonie“, das in einem regnerischen Herbst in Hamburg aufgenommen wurde, bietet es einen leisen Schluss, eine feine Nuance im Getümmel der deutschen Rock-Revolution, die Lindenberg mit seiner Musik anzettelte. Hier dröhnt nichts, und symphonisch ist es auch nicht. Das Lied ist für Zeiten geeignet, in denen die Unsicherheit der Beziehungen groß ist, denn die Aussagen des Songs bleiben federnd und verspielt. Das Ich ist verzückt und nicht ganz zurechnungsfähig, ihm fallen Träume ein, die Wirklichkeit bleibt außen vor, die Liebe „kann für immer sein“, muss es aber nicht. Die Ankündigung einer hohen Spannung kann auch als leichte Vorwarnung an die Geliebte verstanden werden, und gäbe es Kinder, dann wären diese ebenso seltsam wie der Sänger. Der Song stellt mehr eine Liebesphantasie als eine Liebeserklärung dar, aber für ein Panik-Herz ist das schon viel. Es ist und bleibt flatterhaft, aber es möchte sich binden.

Bis ans Ende der Welt

Wenn du mich so ansiehst
fällt mir nichts mehr ein
wenn du willst, dann nimm mich
es kann für immer sein
ich geb‘ dir alles, was ich bin
das ist mein Versprechen
jeder Tag ohne dich ein Verbrechen

Ich liebe hohe Spannung
und stehe meistens unter Strom
Und die Hochzeit feiern wir
in Panik-Manier im Petersdom
und meinetwegen 13 Kinder
alle total verrückt
oh, Babe, Babe, nimm mich in deine Arme
oh, Kleine, ich bin absolut verzückt

Nur zu dir fallen mir solche schönen Träume ein
ich will jede Sekunde nur noch mit dir zusammen sein
bis ans Ende der Welt, wenn es das gibt
halt mich fest, mir wird schwindlig
ich bin so sehr verliebt

Text nach dem Songbook auf www.udo-lindenberg.de