Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Acapulco liegt auch in Brandenburg

© Andreas LestiAbends dient so ein Bulli sogar als Bilderrahmen.

Beginnen wir am besten damit, wie wir alle zusammenkamen. Es war an einem Freitag im Februar, ein kalter und klarer Tag, geprägt von Vorfreude und Aufregung. Denn: Wir fuhren mit dem Zug von Berlin nach Wolfsburg, um dort einen VW-Bus abzuholen. Wir saßen am Fenster und blinzelten in die Welt, die unter einem acapulcoblauen Himmel vorbeirauschte. Noch vier Stunden, dann würden wir in unserem neuen Bus wieder zurück nach Berlin fahren.

Der Zug rollte in Wolfsburg ein und die Kinder pressten ihre Nasen noch fester an die Scheiben. Dort draußen, vor der Toren der Autostadt, gab es Parkplätze voller Busse, die Fahrzeuge schimmerten rotweißschwarzsilberlilablassblau in der Sonne und wir fragten uns alle: Welcher mag wohl unserer sein? Dann stiegen wir aus, die Kindern umklammerten die Sitzerhöhungen, die wir für die Rückfahrt mitgenommen hatten, und trugen sie stolz vor ihren kleinen Körpern Richtung Autostadt.

Es ist so: Wer in Wolfsburg ein Fahrzeug abholt, der geht da nicht nur hin, um Schlüssel und Papiere abzuholen und wieder zu nach Hause fahren. In Wolfsburg wurde dieser Vorgang eventisiert, zum Erlebnistag für die ganze Familie ausgeschmückt, an dessen Ende eine Schlüsselübergabe stattfindet. Oder auch nicht, denn man muss als Familie kein Auto kaufen, um eingelassen zu werden. Schon die Empfangshalle mit der riesigen Weltkugel an der Decke und dem gläsernen Boden faszinierte die Kinder so sehr, dass sie total vergaßen, warum sie seit Tagen so aufgeregt waren. Sie verschwanden im „Mobilversum“, fuhren auf „Kreativfahrzeugen“, machten auf Simulatoren einen „Kinder-Führerschein“ und buken zum Mittagessen ihre Pizza selbst. Nur noch zwei Stunden.

Das ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, ein paar Worte über sie zu verlieren. Ludovika ist fünf Jahre alt, ihr Bruder Johann sieben. Zwei Blondschöpfe, die beide, aufgrund einer abenteuerlichen Überzeugung ihrer Eltern (auf die wir an dieser Stelle nicht genauer eingehen) schon früh Urlaube auf Campingplätzen verbringen mussten. Schon als die beiden noch zwei und vier Jahre alt waren, schliefen sie bei fünf Grad kalten Nächten zwischen klammen Zeltwänden an Seeufern in der Uckermark, in Tirol oder Bayern – und spielten am nächsten Morgen im Schlafanzug zwischen Gaskocher und Campingtisch mit Playmobil. Wir vermuten, dass sie es genossen, krank wurden sie jedenfalls nie. Doch als die Großeltern später Fotos davon sahen, schüttelten sie verständnislos die Köpfe. Zelten? Wäre das nicht viel zu kalt für die Kleinen? Ob es da nicht auch ein Hotel gäbe? Und überhaupt?

Obwohl wir diese Nachfragen mit einer „ach was“-Handbewegen abtaten, wirkten sie nach. Sind zehn Jahre Zeltromantik jetzt, wo zwei kleine Kinder da sind, vielleicht doch am Ende angekommen? Kurz darauf fuhren wir auf einen Campingplatz im Allgäu, und dort begann es stark zu regnen. Einen Tag. Zwei Tage. Und als es am dritten Tag immer noch regnete, setzten wir die Kinder abends um sechs Uhr in den Kombi, quetschten die gesamte tropfnasse Campingausrüstung in den Kofferraum und fuhren durch die Nacht zurück nach Berlin. Während der Fahrt träumten wir von trockenen Räumen und heißen Badewannen und fassten den Entschluss: Wir kaufen einen VW-Bus! Für das Wohlbefinden der Kinder, für die Sorgen der Großeltern und für den Spaß, den so ein Fahrzeug uns bescheren würde.

Noch eine halbe Stunde – nun wurde es ernst. Um 14.30 Uhr sollten wir uns zum Parkplatz begeben und den Shuttlebus zu Halle 26 nehmen. Der Bus fuhr über weitere Parkplätze, an Hallen vorbei, stoppte an Schranken, querte Plätze, und uns wurde immer klarer, warum das alles Autostadt heißt. Wir stiegen aus, und nun war die Aufregung bei uns allen wieder da. Es ist doch nur ein Auto, sagte ich mir. Aber das stimmt natürlich nicht, dachte ich mir dann, als wir in ein Gebäude gingen, in dem wir offenbar gleich unserem neuen Reisebegleiter vorgestellt würden. Die Kinder rannten angespannt den Gang hinunter, in der sicheren Erwartung, dass sich hinter jeder Tür und hinter jeder Säule unser „Sechs-Tee“ verbergen könnte, wie Johann in Anlehnung an die Model-Bezeichnung seit Wochen sagt. „Nein“, der heißt „Teeschöwee“, sagte Ludovika, weil sie in irgendeinem Züge-Quartett diesen Namen aufgeschnappt hat. Irgendwie erschien mir die Vorstellung, wie wir darin bequem und mit Tempo 300 Richtung Paris fahren, angemessen.

Noch fünf Minuten. Und die wollen wir nutzen, um dieses Fahrzeug etwas genauer vorzustellen. Es musste, das war uns nach den Starkregen-Tagen im Allgäu klar, ein „California“ sein. Das heißt ein Bus mit einem Aufstelldach, das aussieht, als wäre auf dem Bus noch ein Zelt aufgebaut, aber nicht auffällt, wenn es eingeklappt ist. So kann man unten sitzen und oben schlafen, beziehungsweise auch unten die Sitzbänke zu einem Bett für die Kinder umbauen. Zwei Campingstühle in der Heckklappe, ein in der Schiebetüre integrierter Tisch, Scheiben, die mit Rollos abgedunkelt werden können – das gehört beim „California“ zum Standard. Und eine Standheizung sollte er haben, was leider, wie viele andere Kleinigkeiten auch, den empfindlich hohen Preis nochmal empfindlich in die Höhe trieb. Aber dafür bekamen wir nicht nur ein Auto, sondern eine fahrende Ferienwohnung, die seit 70 Jahren unter dem Namen „Bulli“ für einen lässigen Strand- und Surf-Lifestyle steht, auch wenn man damit nur an einen See nach Brandenburg fährt. Ach ja, unser Modell hatten wir als Variante „Beach“ in „acapulcoblau“ bestellt.

Noch eine Minute. Die Kinder huschten durch eine weitere Türe, in einen Raum mit schwarzen Kunstledersofas, einem Wasserspender und einem Tresen mit zwei freundlich lächelnden Mitarbeiterinnen. Sie begrüßten uns und sagten: „Sehen Sie, hier steht Ihr Bus.“ Und erst jetzt fielen unsere Blicke nach rechts, dorthin, wo der Raum mit einer großen Glasscheibe von einer Garage abgetrennt wurde. Und dahinter stand er. Im Halbdunkeln schimmerte er blaugrau und wirkte dezent und souverän zugleich. Die Damen machten das Licht an, wir gingen durch eine letzte Türe in die Garage und die Kinder warfen sich mit ausgebreiteten Armen an den Kotflügel, so als würden sie einen alten Bekannten seit langer Zeit wiedersehen. Eine der Damen stand neben mir und streckte mir den Schlüssel entgegen. Ich grinste, nahm ihn in die Hand und drückte auf „Öffnen“. Da blinzelten alle sechs Blinklichter uns zweimal kurz zu als wollte dieser, unser VW-Bus, unser „Sechs-Tee-Teeschöwee“ uns sagen: „Auf geht’s Leute! Ich habe schon lange auf euch gewartet. Lasst uns gemeinsam die Welt erkunden!“