Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

„Das haben wir so nie besprochen!“

© dpa picture allianceUrlaub mit Freunden? Mit einem Teenager gilt das nur bedingt.

Der Familienurlaub war ganz anders geplant.

Zunächst mal: Er war gut geplant. Vor Monaten schon begannen lange Gespräche über mögliche Ziele („Ans Meer, ans Meer“ und „Großstadt wäre cool“), ganz konkrete Ziele („Louvre, klar, da waren doch gerade Beyoncé und ihr Mann“), über die Dauer („nicht nur eine, besser zwei, aber auch nicht drei Wochen“), über Hoffnungen beider Seiten („Ruhe“ , „gemeinsame Unternehmungen“, „Abwechslung“) – und sogar übers Budget, auf dass den Wünschen nicht der familiäre Ruin folgen möge.

Es war diese Art von Planung, die den Berliner Flughafen hätte retten können, die dann bei der Umsetzung aber an etwas völlig Unwägbarem  scheitert. In diesem Fall: an den Gefühlen eines Teenagers.

In der Großstadt will die Tochter das Hotelzimmer nicht verlassen, wer ist schon Beyoncé, am Meer hat sie keine Lust zu baden, viel zu voll hier. Wieso man überhaupt hierhergekommen sei? „Das haben wir so nie besprochen!“, trägt sie mit aufrichtiger Überzeugung vor. In ihrer Wahrnehmung wird sie – wieder einmal – durch unfassbar rücksichtslose Entscheidungen Erwachsener geknechtet,  gezwungen, geknebelt. Die Folge: dumpfes Brüten. Schweigen wie im Kartäuserkloster. Dieser junge Mensch in der Blüte seiner Jahre versinkt in einer schlammpfützigen Stimmung, die alles Farbige zu verschlingen scheint.

Im Urlaub soll ja am besten alles anders sein, tiefenentspannt, aber auch abwechslungsreich, gerne mit einer Prise Abenteuer. Das Ganze nehmen wir dann in der großen Harmoniepackung mit Schleife drum. Aber, Überraschung, der Teenager hat Mundfaulheit und Smartphoneverwachsung, Zahnbürstenphobien und Aversionen gegen Kleiderschränke mit in den Urlaub genommen. Man darf sich keinen Illusionen darüber hingeben, wie schnell mangelnde Hygiene und Klamottenteppiche in kleinen Hotelzimmern für Krawall sorgen können. Insbesondere wenn die Mutter noch unnötigerweise Ordnungsliebe, den Hang zu Routinen und einen gewissen Drang zum Erziehen-Wollen in den Koffer gepackt hat.

Und so kommt es, dass Mutter und Tochter schon bald getrennte Wege gehen. Soll das Kind doch verdammtnochmal in dieser Hotelzimmermüllhalde vergammeln, ich geh jetzt alleine weg.

Ich spazierte schließlich durch ein pittoreskes Hafenstädtchen in der Normandie, trank meinen Café au lait wann immer es mir passte, ließ mich durch Läden, Kirchen und enge Kopfsteinpflastergassen treiben und fand es herrlich. Dann sah ich diese Straßenkünstlerin, die nur mit Holzstäbchen und Farbe die phantastischsten Tierwesen aufs Papier zauberte, und ich wusste sofort, wer das genauso schön finden würde wie ich. Aber sie war halt nicht bei mir, und das Teilen, das Miterleben des Moments, fiel aus. Es war eine Crux: Ich wollte gerne gemeinsam Dinge erleben, aber ich konnte es nicht erzwingen.  Was früher noch mühelos durch Bestechungsversuche mit Eis oder gemeinsamem Fußball-Kicken zu erreichen war, gelingt heute nicht mal mehr durch gutes Zureden.

Zähneknirschend begann ich, meine Erwartungen zu entrümpeln.

Von den vielen interessanten Orten,  die es in der Normandie zu sehen gibt, verabschiedete ich mich gedanklich – bis auf zwei. Weil sie mir wichtig waren, hatte ich diesmal auch nur leichte Gegenwehr zu überwinden. Den Mont-St-Michel eroberten wir im Abendlicht, nach allen Besuchergruppen, genossen einen leichten Schauder in leeren Gewölben und die spektakuläre Aussicht über die Küste. Ein Ort, den man schon auf Postkarten gesehen hat, zieht immer. Ich wollte ihr aber auch einen Soldatenfriedhof in der Normandie zumuten. Dort fanden wir das Grab eines Jungen, der nur vier Jahre älter als sie geworden ist. Es war dann nur noch ein kleines Stück zum Meer, denn den Namen Omaha Beach kannte sie zumindest schon aus einem Musikvideo. Doch dort an der Küste zu stehen und über den Kanal zu blicken, weckte plötzlich ihre Lust zu fragen.

Ich habe gelernt: Wenn ein Besichtigungsmenü erstellt wird, immer die kleinste Portion wählen.

Unerwartete Reiseziele beeindrucken Teenager.

Und vor allem: Man sollte diese Postkarten-Erwartungen an Friede und Freude zuhause lassen.

Richtig entspannt wurde es erst dann, als ich entspannen konnte. Als ich wirklich akzeptierte, dass wir an einem Tag erst um 18 Uhr gemeinsam das Urlaubsquartier verlassen würden, um an den Strand zu fahren (vorher war die Ebbe die Freundin des Teenagers). Wir folgten keinen Schildern,  sondern unseren Blicken zum Meer, entdeckten über eine kleine schmale Piste tatsächlich einen abgelegenen Sandstrand, an dem wir ausgelassen in den Wellen herumplantschten. Nach einer Stunde waren wir erschöpft, salzverkrustet und sandig und fuhren mit einem Dauergrinsen in die Stadt zurück. Im Restaurant schaufelte ich mir die Muscheln und die Tochter die doppelte Portion Fritten hinein, beide leicht verwahrlost aber glücklich. Statt Dessert zeigte sie auf ein altertümliches Karussell, Holzpferde und Kutschen, Flugzeuge und bunt angemalte Elefanten.  Kinder und winkende Erwachsene. Wir setzten uns in eine Kutsche, winkten den Erwachsenen und waren so zufrieden mit uns wie im ganzen Urlaub nicht.

Da waren sie, die Momente, die wertvolle Erinnerungen schaffen. Die alles Gezanke überlagern können, die bleiben. Viel länger als eine Karussellfahrt.

Auf der Heimfahrt seufzt das unfassbare Kind: „Das war ein schöner Urlaub“.