Wer es sich mit Eltern so richtig verscherzen möchte, der sollte mal en passant fallenlassen, wie schön und erfüllt ja ein Leben ohne Kinder sei. Beim Geburtstagsbrunch vielleicht. Oder beim Kaffeetrinken. Nur als Testballon. Viel Spaß! Das sorgt für Stimmung und Heiterkeit, und man erfährt nebenbei, wie sehr an sich unspektakuläre Aussagen zur ideologisch aufgeladenen Debatte taugen. Dazu kann jeder was sagen: Wir Eltern waren ja auch mal kinderlos und haben dazu eine Meinung. Und die Kinderlosen kennen Kinder-Beispiele aus der eigenen Familie, die vielleicht abstoßend sein mögen. Wie auch immer: Die Debatte erfüllt alle Kriterien einer Schwarz-Weiß-Betrachtung, und am Ende heißt es nur noch: Bist du für oder gegen Kinder?
Die Frage, ob wir Kinder wollen, stellen wir uns alle irgendwann im Leben. Teenager haben dazu häufig eine Meinung („ja, später bestimmt!“), bei Studierenden zwischen 20 und 30 hat man eher den Eindruck, dass sie das Thema scheuen; zumindest scheint es manchmal meilenweit weg von der Lebensrealität junger Erwachsener vor allem in den akademischen Großstadtmilieus zu sein. Dem Vernehmen nach sind Kinder in den Berlin-Neuköllner Kneipen und vorm „Späti“ in Kreuzberg nur ein Randthema, aber durchaus ein Thema, das noch mit einigem Abstand durchdiskutiert wird. Spätestens mit 30 gibt es dann kein Entrinnen mehr, wenn die ersten Gleichaltrigen Familien gründen – und man selbst in Gesprächen mehr oder minder deutlich aufgefordert wird, Farbe zu bekennen. „Wollt Ihr eigentlich Kinder?“ ist eine häufig gestellte Frage, auf die man sich besser eine gute Antwort überlegt, sonst findet man sich in allerlei gestammelten Rechtfertigungsschleifen wieder.
Etwa zur gleichen Zeit trennen sich die Freundeskreise ein bisschen in Spreu und Weizen – in die, die bei den Partys bis in die Puppen bleiben, und die, die früher ins Bett gehen, weil das Kind am nächsten Morgen um sieben auf der Matte steht. Für jene, die länger bei der Party bleiben, ist der Fall klar: Kinder zerstören das Privatleben. Doch ist das wirklich so? Auch in dem Alter, da man gerade mehr oder minder dem Studentenleben entwachsen ist, kann man differenzierter sein: Kinder „zerstören“ (besser: beeinträchtigen) zwar einen Teil des früheren Privatlebens, aber sie schaffen auch ein neues. Sie helfen, sich weiterzuentwickeln. Ob Kinder glücklich machen, ist hingegen umstritten: Studien zeigen, dass sie das nicht zwangsläufig tun. Andere argumentieren, dass Eltern ab 40 wieder glücklicher werden, wahrscheinlich deshalb, da bei den meisten Paaren die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind.
Je nachdem, ob Sie zur Partei der überzeugten Kinderlosen oder der Familienfans gehören, werden Sie den ein oder anderen Aspekt stärker gewichten und akzentuieren. Der einzig sinnvolle Lebensentwurf ist jedoch keine der beiden Möglichkeiten. So wie sich manche den Islam oder den Katholizismus zur einzig wahren Religion zurechtinterpretieren, so scheinen die Vertreter dieser beiden Zivilreligionen – Eltern-Fanatiker und Kinder-Ablehner – ihre Messen nicht weniger entschlossen zu zelebrieren. Dabei bringen Kinder Vor- und Nachteile, über die man sich im Klaren sein sollte. Genau wie Kinderlosigkeit. Mehr aber auch nicht: Letztlich muss das Bauchgefühl stimmen, wenn man sich für Kinder entscheidet. Ein paar Überlegungen können helfen:
Was für Kinder spricht
- Kinder schaffen viele schöne Momente im Familienleben, erfreuen Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel, sorgen für eine schöne Atmosphäre.
- Kinder lassen einen auch mal wieder Dinge sehen, die man als Erwachsener völlig vergessen hat. Wie schön es zum Beispiel sein kann, den Flug eines Schmetterlings nachzuvollziehen, ohne gleich über das Artensterben nachzudenken.
- Kinder bewahren das eigene Erbe, und hier vor allem die gemeinsamen Erlebnisse, die Geschichte der Familie, vielleicht die Namen.
- Durch Kinder lassen sich neue Kontakte knüpfen, mit anderen Eltern und Familien.
- Kinder bringen Kindergeld – und die Möglichkeit, Elternzeit zu nehmen.
Was gegen Kinder spricht
- Kinder kosten Geld. Dazu gibt es eine Reihe von Rechnungen: Nimmt man die laufenden Konsumausgaben, dann belaufen sich die Kosten bis zum 18. Lebensjahr auf rund 130.000 Euro. Danach geht es aber munter weiter: Wohnung, Studium, Geldgeschenke.
- Kinder kosten Nerven. Sie sind anstrengend, verlangen ihren eigenen Zeittakt, sorgen für mangelnden Schlaf.
- Kinder können Berufsaussichten behindern. Teilzeit gilt noch immer als Karrierekiller, Elternzeit ist allen Beteuerungen zum Trotz auch nicht immer und überall beförderungsförderlich.
- Kinder erschweren die Sozialkontakte mit Leuten ohne Kindern.
Die Debatte ist natürlich nur was für Menschen, die den Luxus der Entscheidung haben. Wer ungewollt kinderlos bleibt, wird Kinder entweder durch die rosarote Brille sehen oder sie gleich verdammen. Wer hingegen ungewollt Mutter oder Vater wird, mag sich die Freiheit der Kinderlosigkeit zurückwünschen. Aber nehmen wir die Fälle freier Entscheidungen, dann haben beide Wege etwas für sich – und sind vielleicht sogar gesellschaftlich wünschenswert, vor allem da sie Verständnis füreinander voraussetzen, also Empathie, und im besten Falle erzeugen. Das kann nur Gutes bewirken. Dazu ein paar Überlegungen:
- Wer kinderlos bleiben möchte, kann Tatkraft und Geld in andere Projekte stecken. Das muss nicht zwangsläufig egoistisch sein, wie Eltern Kinderlosen gerne unterstellen (Partys und Rucksackreisen), sondern kann auch ein Ehrenamt oder die Pflege der Eltern sein. Muss aber nicht. Wer weit herumgekommen ist und seine Zeit nicht im Hüpfburgenparadies verbracht hat, ist für eine Gesellschaft genauso wertvoll.
- Wer Kinder hat, braucht das Verständnis kinderloser Freunde. Es ist eben nicht so, dass das Kleinkind morgens länger schläft, wenn man es abends später ins Bett bringt. Wer mit Kind am nächsten Tag verreist, braucht mehr Zeit zum Packen – und hat vielleicht auch keinen Nerv mehr fürs Bierchen am Abend vorher. „Spießig“ (der Generalvorwurf mancher Kinderloser in Richtung Eltern) ist man deswegen lange nicht.
- Auch Eltern finden Eltern nervig, die sich nur noch über ihre Kinder definieren. Wer bei Whatsapp oder Facebook dauerhaft nur seine Kinder als Profilbild präsentiert oder sich selbst nur noch als „Mama“ bezeichnet, könnte zu wenig an Eigenem haben. Küchenpsychologie? Vielleicht. Und Erfahrung!
- Andersherum gilt auch: Wer auf Geburtstagseinladungen schreibt, die Kinder seien zuhause zu lassen und nicht erwünscht, nimmt die Spaltung der eigenen Bekanntschaft und des Freundeskreises in Kauf. Ich würde da jedenfalls nicht mehr hingehen wollen. Nicht, weil ich partout das Kind auf eine verrauchte Party schleppen möchte, aber ich habe keine Lust auf Leute, die solche Regeln erlassen – wie auch nicht auf solche, die gegen Kinderspielplätze in der Nachbarschaft prozessieren oder nur noch in kinderfreie Hotels fahren. Die sind mir einfach unsympathisch.
Vielleicht wäre es hilfreich, von den Funktionszuschreibungen wegzukommen: Kinder sind nicht für irgendwas da; sie müssen ihren Eltern weder Sinn verschaffen, noch ihr Erbe weitertragen, noch ihnen die Angst vor dem Tod nehmen (sie tun das alles auch, aber es ist nicht ihr Sinn!). Kinder machen einen auch nicht zum besseren Menschen, der durchs Kinderkriegen etwas Besonderes für die Gesellschaft leistet. Das muss man Eltern sagen, wenn sie behaupten, Kinderlose könnten das, was mit Familie zusammenhängt, nicht beurteilen. Der Satz „da spricht ein Blinder über Farbe“ ist die erste Stufe der Verirrung, danach kommen manche auf die absurde Idee, eine kinderlose Person könne keine Familienministerin werden. Grotesk – oder muss ein Arbeits- und Sozialminister zuvor Hartz IV bezogen haben, um zu wissen, worüber er spricht? Es ist gerade gut, wenn jemand (auf den ersten Blick) Fachfremdes für gelegentlichen Perspektivwechsel sorgt. Insofern erübrigt sich auch der ideologische Blick aufs Kinderkriegen: Der Geburtstagsbrunch ist gerettet, wenn alle begreifen, wie bereichernd die Perspektiven kinderreicher und kinderloser Menschen sind.