Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

Geplante Geburt: Einmal „Kinderkriegen light“, bitte?

© dpaSchnitt, zack und fertig? So easy ist das mit dem Kaiserschnitt leider nicht.

Ich habe lange überlegt, ob ich wirklich einen Beitrag zu diesem Thema schreiben soll. Denn ich wusste, dass ich mich damit auf vermintes Terrain begebe. Und auf ein sehr intimes noch dazu. Andererseits: Sie werden mich wohl kaum an der Supermarktkasse darauf ansprechen. Und: Es gibt Dinge, die müssen einfach raus.

So wie mein zweites Kind. In wenigen Wochen schon. Und ich habe mich entschieden, dass das per geplantem Kaiserschnitt passiert. Bemerkenswert viele Menschen haben mir seitdem ihre Meinung zu ihrer (mich betreffenden) bevorzugten Gebärmethode mitgeteilt, der überwiegende Teil von ihnen ungefragt. Ja ich weiß, vielleicht hätte ich selbst schlicht den Mund halten sollen. Es geht ja niemanden etwas an, durch welche Art von Öffnung mein Kind erstmals die Welt erblickt. Aber so etwas wie Diskretion hält die Leute ja leider auch nicht davon ab, zu fragen: Und? Wann GENAU ist es soweit? Und wie organisiert ihr die Geburt? Wer bleibt beim großen Bruder, wenn das Kleine sich auf den Weg macht?

Wenn man nicht lügen oder sich irgendetwas zusammenstammeln will, kommt man unweigerlich zu der Antwort, dass im Zuge der Geburtsplanung alles weitgehend terminiert und organisiert sei. Die Top Drei meiner bisherigen Lieblingsreaktionen bzw. Reaktionstypen darauf lauten, in aufsteigender Reihenfolge:

3. „Ach?“ (große Augen, Mund leicht offenstehend, auf weitere Erklärung wartend)

2. „Oh.“ (besorgter Blick, Lesart: „Das tut mir leid. Was stimmt nicht mit dir/euch?“)

1. „Mach das bloß nicht! Diese Wehen MUSS man einfach erlebt haben!“ (in anderen Worten: „Mittendrin statt nur dabei! Am besten mit Krawall und Remmidemmi, dann weißte erst richtig Bescheid! Come on, haben doch vor dir schon Millionen andere Frauen geschafft!“)

Stimmt, aber es sind auch Millionen Frauen und ihre Kinder bei der Geburt krepiert, nur fiel das über lange Zeit nicht weiter auf. Ich habe mir bei der oben genannten Erstplatzierten nicht die Mühe gemacht, meine Entscheidung zu begründen, hier tue ich es kurz: Bei der Geburt meines ersten Kindes vor knapp vier Jahren gab es zu Beginn unerwartete Komplikationen, die letztlich eine sogenannte „eilige sekundäre sectio“ erforderlich gemacht haben (nicht gleichbedeutend mit einem Notkaiserschnitt). Die Stunden zuvor, in denen es aussah, als könnte das Ganze furchtbar schief gehen, waren die längsten und schlimmsten in meinem Leben, und das „erlebt zu haben“, wünsche ich niemandem. Auch, wenn es keine Anzeichen dafür gibt, dass es sich wiederholt – auszuschließen ist es nicht. Da hilft es mir, wenn ich die Ungewissheit zumindest über den Verlauf der Geburt mithilfe der modernen Medizin in nicht unerheblichem Maß reduzieren kann.

Das zweite ausschlaggebende Argument für den Kaiserschnitt ist die zeitliche Planbarkeit der Geburt. Nicht, weil ich zu einer bestimmten Zeit noch arbeiten oder urlauben oder zur Pediküre müsste, sondern, weil wir einen fast vierjährigen Sohn haben, für den ebenfalls bald ein neues Kapitel beginnt. Mein Mann und ich wollen für ihn rund um die Geburt möglichst viel Normalität und wenig Ausnahmezustand. Bei einer spontanen Geburt besteht das Risiko, dass es nachts um drei losgeht, und da die Verwandtschaft weit weg wohnt und Ben noch nicht bei Freunden oder Nachbarn übernachtet hat, wäre das ein echtes Problem. Ein gewisses Risiko bleibt freilich auch bei einem terminierten Kaiserschnitt bestehen – es könnten ja trotzdem vor dem Termin spontane Wehen einsetzen, aber dann greift eben ein Notfallplan, der da heißt: Mama allein ins Krankenhaus, Papa bleibt bei Ben.

Die Menschen in unserem näheren Umfeld, die diese Beweggründe kennen, haben meist Verständnis für unsere Entscheidung und halten sich mit Besserwissereien zurück. Oft sind es nur kleine, unbedachte Formulierungen, die mich aufhorchen lassen: „Wir wollen es erst einmal normal probieren“, zum Beispiel. Eine Bekannte, heute fast 60, erzählte mir über ihren 20 Jahre zurückliegenden Kaiserschnitt, dass sie bis heute bedaure, es nicht „selbst geschafft“ zu haben. Eine Freundin berichtete mit folgenden Worten von der Geburt ihrer Tochter: „Meine Hebamme wollte schon einen Arzt zum Kaiserschnitt holen, aber ich habe mich geweigert, und dann haben sie eben zu viert auf meinen Bauch gedrückt, bis das Kind da war.“ Sie klang stolz, dem Rat der Hebamme nicht gefolgt zu sein. Ich freue mich ehrlich für sie, dass alles gut gegangen ist. Aber vier Leute, die mir mein Kind mit aller Macht aus dem Leib pressen, weil die Geburt von selbst nicht vorankommt? Nichts für mich.

Im Übrigen könnte man trefflich darüber diskutieren, was eigentlich heutzutage eine „natürliche“ oder „normale“ Geburt ist, bis zu welchem Punkt man sie „selbst geschafft“ hat und ab wann nicht mehr: Erst ab der OP? Oder ab der Wehen-Einleitung? Ab der PDA? Ab dem „Draufstemmen“ oder dem Einsatz von Saugglocke/-zange? Ist das überhaupt von Belang – oder geht es nicht einfach darum, dass Mutter und Kind heil aus der Sache herauskommen?

Meine Klinik hat mir zu meiner Kaiserschnitt-Entscheidung übrigens nicht gerade applaudiert – entgegen aller Berichte/Vorurteile, wonach Kaiserschnitt-Geburten für die Krankenhäuser risikoärmer und gleichzeitig lukrativer seien. Die Ärztin klang vielmehr regelrecht mahnend. „Wir unterstützen Sie bei Ihrer Entscheidung, hätten Sie aber ebenso bei einer vaginalen Geburt unterstützt.“ Und, mit Blick auf die Erfahrung der ersten Geburt: „Sie verhindern durch den geplanten Kaiserschnitt keine erneuten Komplikationen, sondern schaffen Risiken für andere.“ Erst fand ich das etwas irritierend, mittlerweile finde die Sachlichkeit der Ärztin eher beruhigend professionell. Sie hat ja nun einmal Recht damit. Außerdem dürfte sie als Expertin wissen, dass eine Schwangere die Entscheidung für einen Kaiserschnitt in der Regel nicht mal eben trifft, weil es nach einer vaginalen Geburt vielleicht untenrum nicht mehr so schön aussähe.

Hier zum Vergleich eine Auswahl der Risiken/möglichen Komplikationen versus der Vorteile der jeweiligen Geburtsarten (laut Infoblatt meiner Klinik):

a) Natürliche Geburt (nach Kaiserschnitt bei einer früheren Geburt): Riss der Narbe, verstärkte Blutungen mit evtl. Notwendigkeit von Bluttransfusionen oder auch der Entfernung der Gebärmutter, Gerinnselbildungen, Infektionen von äußeren Wunden oder inneren Organen, Verletzungen benachbarter Organe, Sauerstoffmangel oder Verletzungen des Kindes.

Vorteile: unverletzte Gebärmutter, keine Bauchwunde, kürzerer Krankenhausaufenthalt, geringere Schmerzen nach der Geburt.

b) Kaiserschnitt: Vorübergehende Anpassungsstörungen des Kindes (Atemprobleme), Wundheilungsstörungen und/oder Entzündungen (z.B. der Gebärmutter, Vereiterung der Bauchdecke, Bauchfellentzündung), erhöhtes Risiko für Placenta praevia (Mutterkuchen an der falschen Stelle) bei späterer Schwangerschaft.

Vorteile: Keine Verletzungen des „Geburtsweges“, keine notfallmäßigen Entbindungsoperationen.

Suchen Sie sich aus, was Sie reizvoller finden. Es dürfte deutlich werden: Nur weil ein geplanter Kaiserschnitt berechenbarer ist, ist er keinesfalls risikofrei oder bequemer oder einfacher. Ja, mir sind bei der Geburt von Ben vor vier Jahren sechs oder zwölf oder 24 Stunden Wehen erspart geblieben, und wer weiß, was noch alles. Aber so eine Bauchwunde ist auch nicht schön, erst recht nicht mit einem Neugeborenen im Arm. Ich habe danach lange gebraucht, bis ich wieder ohne Schmerzen aufrecht stehen, ihn tragen oder lachen konnte. Und diesmal ist auch noch ein lebhafter großer Bruder mit im Spiel.

Auch wenn ich mich bisweilen selbst daran erinnern muss, weil ich insgeheim dann doch ständig diesen leidigen Drang verspüre, es jedem recht zu machen und mich für alles zu rechtfertigen: Ein Kind zur Welt zu bringen, ist keine Mutprobe, und ich behaupte, ich bin durch einen Kaiserschnitt (oder auch zwei) nicht mehr oder weniger Frau und Mutter als eine Frau, die auf natürlichem Weg geboren hat. Seien wir ehrlich: Wenn wir es einmal geschafft haben, sitzen wir doch ohnehin alle lebenslang im gleichen Boot.