Wenn Sie keine Kinder haben, dann kennen Sie das: Eltern, die nur über ihre Kinder und deren Großtaten sprechen, aber sonst fast jedes interessante Thema auslassen. Oder aber Sie haben schon ein paar Jahre Elternschaft auf dem Buckel, Ihr Nachwuchs hat etwas an Glanz und Unfehlbarkeit verloren (was normal ist), und Sie haben Distanz gewonnen. Distanz und die Erkenntnis, dass Ihre Kinder zwar großartig und natürlich die schönsten, besten, klügsten und genialsten Exemplare der Welt sind, aber eben doch nur unter anderen schönsten, besten, klügsten und genialsten Kindern der Welt. Dann dürfte es Ihnen bisweilen lächerlich vorkommen, wie frischgebackene Eltern über ihr Kind sprechen. Wenn Sie wohlwollend sind, dann lächeln Sie nur und erinnern sich an die Zeit, als Ihr Kind gerade auf die Welt gekommen war. Und verstehen plötzlich, warum junge Eltern so sind wie sie sind.
Aber es gibt Fälle, da mag man kaum noch wohlwollend sein, auch wenn man eigene Kinder hat. Wenn andere den lieben langen Tag über nichts anderes mehr sprechen und Euphorie und Hingabe nur noch entwickeln, wenn es um die eigenen Kinder geht. Am Telefon. Auf Feiern. Auf Whatsapp mit albumlangen Bilderkaskaden der lieben Kleinen, wie sie irgendwo herumturnen. Und wenn man es wagt, ein anderes Thema anzuschneiden – sagen wir mal: Alexander Gerst auf der Raumstation ISS –, dann schaffen es diese Personen tatsächlich, den Bogen zu schlagen: „Nein, ich könnte das nicht, so lange von der Familie getrennt sein.“ Was wäre aus der Welt bloß geworden, wenn James Cook im Hafen von Plymouth die Gangway zur Seite gelegt hätte mit den Worten: „Nein, ich kann das nicht, ich will bei der Familie bleiben.“ Oder Reinhold Messner am Fuße des Mount Everest gesagt hätte, „ach wisst Ihr, ich bleibe lieber in Südtirol“. Die Welt wäre wohl, vorsichtig formuliert, ein weniger armseliger geraten.
Zugegeben, das ist ein bisschen polemisch. Aber nur ein bisschen: Wir haben selbst ein Kind, und ich spreche auch gerne über den Kleinen, seine Entwicklungsschritte und die Dinge, die er tut. Es ist auch unser wichtigstes Thema. Es ist doch völlig normal, wenn junge Eltern sich über ihren Nachwuchs freuen und in den ersten Wochen kein anderes Thema mehr haben. Sie sind stolz, sie sind auch gefordert, denn gerade beim ersten Kind sind Eltern in eine neue Rolle geworfen, die nicht so leicht auszufüllen ist. Hinzu kommen gesellschaftliche Erwartungshaltungen, wie man sich als Eltern zu verhalten hat – und hier macht sich verdächtig, wer nicht im siebten Himmel schwebt. Das ist sinnvoll: Wer sein Kind gar nicht thematisiert, es also im wahren Sinne des Wortes nicht ausreichend zum Thema macht, könnte sein Kind tatsächlich vernachlässigen. Mindestens emotional, manchmal auch physisch.
Aber wann wird aus einer guten Sache eine pathologische? Wenn Eltern gar kein anderes Thema mehr kennen und all ihre Wünsche und unerreichten Ziele auf das wehrlose Kind projizieren? Das liegt nahe, zumal Psychologen meinen, dass gefestigte Persönlichkeiten etwas seltener die Kinder thematisieren als labilere Charaktere. Nicht weil sie ihre Kinder weniger lieb haben oder sie gar vernachlässigen, sondern weil sie sich nicht ausschließlich über die Kinder definieren. Sie definieren sich nicht nur als Vater oder Mutter, sondern eben auch als Individuum, das alleine wertvoll ist. Und über Beruf, Hobbys, vielleicht politische Einstellungen und allgemein Haltungen. Ist das egoistisch? Nein, denn diejenigen, die kein anderes Thema mehr kennen außer ihre Kinder, tun dies nicht nur, weil sie sie abgöttisch lieben, sondern sie lenken damit von sich selbst ab, schieben ihre Kinder ins Rampenlicht, um sich selbst im dunklen Schutzraum zu verbarrikadieren.
Dabei müsste ihnen klar sein: Wer viel über seine Kinder preisgibt, der erzählt vor allem viel über sich selbst. Wie schnell wird aus der Schilderung übers Kind ein impliziter Vortrag über die Weltsicht der Mutter oder des Vaters. Plötzlich steckt man mittendrin in der Betreuungsdebatte, bekommt Weisheiten zu den Geschlechterrollen untergejubelt oder zu Ausländern. Gerade bei Vollzeitmüttern erstaunt, wie sehr sie die Erziehung ihrer Kinder mit politisch-gesellschaftlichen Vorstellungen durchtränken, ohne sie explizit zu benennen. Da entwickeln Mütter eine Verve, die man von ihnen gar nicht gewohnt war, eine Verve zwischen Aggression und Euphorie, zwischen Offenheit und Abwehr. Solche Leute erscheinen besonders verletzlich, sie sind immer in der Gefahr, dass eine Bemerkung übers Kind sie schmerzt. Souveränität sieht anders aus.
Solange vor allem Mütter das Gros der Erziehungsarbeit in Deutschland übernehmen, bleibt das wohl auch ein besonders ausgeprägtes Mutter-Phänomen. Vollzeitmütter beschäftigen sich einfach am längsten und ausdauerndsten mit den Kindern, und zugleich erfahren sie weniger Einflüsse von außen. Darüber beschweren sich viele Mütter, vor allem wenn die Kinder langsam „aus dem Gröbsten heraus sind“. Viele umtreibt das Gefühl, nicht hinreichend anerkannt zu sein, im Gegensatz zu den berufstätigen Müttern. Sie fühlen sich dann gedrängt, Leistung zu zeigen in ihrem Tätigkeitsfeld, und das ist die Kindererziehung. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, bei der man am ehesten Anerkennung bekommt, wenn man beruflich erfolgreich ist, ist das eine rationale Reaktion.
Aber ist sie auch gesund? Ja und nein. Ja, sie ist gesund, weil Kinder von der Zuwendung profitieren. Nein, sie ist ungesund, wenn Eltern aus ihrer Elternrolle etwas Hervorgehobenes ableiten, sich gar den Kinderlosen überlegen fühlen, die die wunderbaren Gefühle und Erlebnisse, die mit dem Kinderkriegen einhergehen, nicht erlebt haben. Das ist dann der Punkt, an dem Kinderlose aus dem Gespräch aussteigen, obwohl natürlich etwas dran ist. Aber der Fokus auf das Kinderthema ist nur dann sozial verträglich, wenn das Gegenüber nicht außer Acht gelassen wird. Beziehungen funktionieren nicht, wenn der eine erzählt und der andere nur artig zuhören muss. Das gilt für Freunde, erst recht gilt das für Beziehungen, die plötzlich Schlagseite bekommen, weil der eine Partner nur noch Augen für das Kind hat, aber nicht mehr für die Zweisamkeit, in der es mal nicht um den Nachwuchs geht. Stellen Sie sich im Gegenzug vor, Ihre Freundin spricht nur noch über ihren Job – wer könnte das auf Dauer ertragen?
Nicht zuletzt haben die Kinder ein Recht auf Eltern, die souverän mit beiden Beinen im Leben stehen – und sich für andere Themen interessieren. Sie haben ein Recht auf Privatheit, müssen nicht permanent im Spotlight ihrer Elternaufmerksamkeit stehen. Sie dürfen sich zurückziehen, ihre eigenen Schutzräume ausfüllen. Und dazu gehört ein gesundes Umfeld an Familie, Freunden und Bekannten, das nicht das Weite sucht, weil die Eltern nur noch über die Kinder reden. Das ist wie mit den Urlaubsbildern: Die ersten 30 bis 50 mögen interessant sein, danach wird es einfach nur noch zur Qual und man sucht verzweifelt den Notausgang. Da hilft es auch nicht, dass der Bildervortrag gut gemeint ist.