Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Wenn der Willi mit der Maja …

Duo mit vier Flügeln: Biene Maja (r.) und ihr lethargischer Kumpel Willi in der alten Serienversion

Langsam kommt Elias in das Alter, in dem er sich für den großen Bildschirm interessiert, der bei uns zuhause in der Ecke steht: für den Fernseher. Noch gibt es keinerlei Notwendigkeit, Kinderserien zu sehen, im Alter von knapp zweieinhalb ist alles andere interessanter als der Flachbildschirm, aber die herumliegenden Fernbedienungen wecken zunehmend sein Interesse. Ich bereite mich sozusagen vor, zumindest achte ich stärker als früher auf das, was im Fernsehen für Kleinkinder läuft und was YouTube bietet. Wenig überraschend bleibe ich vor allem bei den Serien hängen, die ich noch aus der eigenen Kindheit in dieser oder einer alten Version kenne.

„Es hat sich etwas geändert auf der Blumenwiese und dem Nordmeer. Und das ist schade.“

Und hier ist der Knackpunkt: Die alten Verfilmungen aus früheren Jahren laufen kaum noch, dafür aber etliche Neuverfilmungen oder Comicvarianten. Biene Maja, Wickie, Michel aus Lönneberga, Heidi. Serien, die in meiner Kindheit liefen, heute aber in runderneuerten Varianten über die Bildschirme flackern, in 3-D-Optik wie die Biene Maja oder Wickie. Ich finde die, ehrlich gesagt, schwer erträglich. Und bevor ich mir den Vorwurf einhandle, aus nostalgischen Erwägungen die Serien meiner Kindheit durch die rosarote Kindheitsbrille zu betrachten und sie deshalb blind und geschichtsvergessen zu verteidigen: Ja, da ist etwas dran. Und doch, es hat sich etwas geändert auf der Blumenwiese und dem Nordmeer. Und das ist schade.

Nehmen wir Wickie, die Geschichte über einen Jungen, der bei den Beutezügen seines Vatern Halva mit dessen Wikingertruppe allerlei Abenteuer zu bestehen hat und die Männer mehr als ein Mal aus misslicher Lage befreit. Die Buchvorlage des Schweden Runer Jonsson aus dem Jahr 1963 wurde in der ersten Serie von 1974 einigermaßen werkgetreu verfilmt. Die rüde Art der Wikinger, ihre Flüche und Ohrfeigen, nichts wurde verschwiegen, außerdem haben sich die Männer rund um Kapitän Halva auch gerne den ein oder anderen Humpen hinter die Binde gekippt. Es war keine echte Gewalt zu sehen, sondern eher eine Bud-Spencer-artige-Pseudobrutalität, die daraus bestand, dass der „schreckliche Sven“ seine Metallkugel schwang, sie jemand gegen den Kopf bekam, der dann kurzzeitig Vögelchen sah und in der Ecke lag, um wenig später wieder fit zu sein. Nichts passiert also.

Und heute? Halva, Wickies Vater, ist zwar immer noch liebenswert, aber insgesamt perfekter, eine positive Elternfigur. Vorbei die Zeiten, als er vor allem überfordert und tumb war. Trinken und Fluchen gehören der Vergangenheit an, die Jungs sind zahnlos geworden, ganz im Gegensatz zum Holzkopf am Schiffsbug in der Serie aus den siebziger Jahren. Wickie, der kluge und gewitzte Sohn, verliert dadurch enorm, denn der Hintergrund – eine dümmliche Erwachsenenwelt voller Raufbolde – fehlt, so dass der Junge kaum noch brillieren kann. Alles ist perfekt, aber der Witz, der sich aus den krassen Gegensätzen ergab, ist weg. Möglicherweise ist die Serie dadurch kindgerechter geworden, aber ob sich mein Sohn später an diese Serie voller Nostalgie zurückerinnert? Wir werden sehen, ich frage ihn dann mal, sagen wir: 2040.

Und so sieht die Biene, die ich meine, heute aus.

Die Biene Maja ist in der neuen Variante ebenfalls kreuzlangweilig geworden. Die antiautoritäre und chronisch aufsässige Mädchenfigur der Biene, die in der früheren Version aus den siebziger Jahren so herrlich burschikos durch die Blumenwelt summte und ihren lethargischen Kumpel Willi durchs Leben schleifte, ist heute ein mädchenhafteres, kicherndes Bienchen geworden, das kaum noch etwas Aufsässiges an sich hat. Insgesamt ist die Wiese, die früher voller gefährlicher Hornissen und der bösen Spinne Thekla war, heute eher ein Spiegel unserer Gesellschaft geworden: Wir gehen zwar gerne raus in die Natur, aber bitte gut angeseilt am Klettersteig oder hinter Geländer und Plexiglasscheiben, wenn es steil wird. Mit einem freien Leben hat das nicht mehr viel zu tun.

Dabei ist es ja richtig, dass sich die Interpretationen und damit die Serienversionen an die Zeit anpassen. Das Frauenbild bei Wickie war, gelinde gesagt, eine Vollkatastrophe. Halva nannte seine Frau wahlweise „Weib“ oder „Alte“, die Angesprochene, ohnehin blass als Charakter, stand allenfalls mit dem Nudelholz hinter der Tür oder mit dem Taschentuch am Pier, wenn sich die starken Männer mal wieder aufs Meer wagten. Das zu ändern ist sinnvoll, denn solche Bilder prägen sich ein, zumal es in der Serie, die wohl eher für Jungs gemacht war, an positiv besetzten Mädchenrollen mangelte (mit Ausnahme von Wickies Freundin Ylvie). Genauso ist es natürlich richtig, bei Pippi Langstrumpf aus dem „Negerkönig“ einen „Südseekönig“ zu machen, alleine schon deshalb, da Kinder heute mit dem ersten Begriff gar nichts mehr anfangen können und man solche Stereotype aus kolonialen Zeiten nicht weitergeben sollte.

„Wickie zeigt, wozu das männliche Geschlecht in der Lage ist, wenn es sich mal abgewöhnt, zu röhren wie ein Hirsch in der Brunft.“

Dass die Männer bei Wickie meist tumb dargestellt werden, ist jedoch etwas anderes, da ihnen eine starke Jungenfigur entgegengestellt wird, die klug und gewitzt ist und zudem keines der männlichen Rollenklischees an sich hat, im Gegenteil: Wickie zeigt, wozu das männliche Geschlecht in der Lage ist, wenn es sich mal abgewöhnt, zu röhren wie ein Hirsch in der Brunft. Und Heidi? Wie bei Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga und Ronja Räubertochter ist die Hauptfigur aus Johanna Spyris Roman aus dem 19. Jahrhundert eine hochinteressante, weil in der Zerrüttung ihrer familiären Verhältnisse sehr zeitgemäße Vorbildfigur. Die Kunst besteht doch darin, solche Anteile kindgerecht und zeitgemäß aufzuarbeiten – und nicht, sie zur Unkenntlichkeit abzumildern.

Bei neueren Serien wie Bob, der Baumeister beispielsweise fällt eher auf, wie sehr typische Jungs-Klischees Eingang in eine Erzählweise finden, die wenig ausbricht aus den Rollenerwartungen. Der Prinzessin-Lillifee-Horror, der vor Jahren die Mädchenzimmer reihenweise in grässliches Rosa stürzte, ist ja zum Glück überwunden. Aber es zeigt, wie sehr Kinderserien der letzten Zeit wieder durchtränkt sind von althergebrachten Rollenklischees von Bauarbeitern oder aggressiven Jungs wie in „Der ultimative Spiderman“ (bis 2017) und harmoniesüchtigen Mädchen, die vor allem auf die Entwicklung der sozialen Intelligenz ausgelegt sind. Wenn die Pädagogik meint, bei Fernsehserien müssten die Kinder bei ihren Gewohnheiten abgeholt werden, kann man sich fragen, was das nun wieder für Gewohnheiten sind.

Manche führen ins Feld, dass die Kinderserien der siebziger und achtziger Jahre von Vertretern der Achtundsechziger geschrieben und produziert worden seien, wodurch sie einen volkspädagogischen Charakter gehabt hätten. Das mag stimmen, es ist schon auffällig, wie sehr die damaligen Fernsehmacher die antiautoritäre Figur in den Mittelpunkt stellten. Zu behaupten, heute sei weniger Volkspädagogik am Werk, ist aber nicht stichhaltig. Nur geht sie heute in eine andere Richtung, in eine konfliktarme und glattgebügelte, ja, vielleicht auch in eine kindgerechtere. Aber wäre es nicht wünschenswert, dass der Humor einer Serie dergestalt ist, dass die Eltern gerne mit ihren Kindern zusammen eine Folge schauen und nicht entnervt das Weite suchen?

Die zweidimensional gezeichneten „Simpsons“ – obwohl natürlich keine Serie für Kleinkinder – funktionieren deshalb seit Jahren so gut, weil sie so vielschichtig sind: Die Andeutungen und Anspielungen sind was für die Erwachsenen, die Actionanteile und „lustigen“ Geschichten etwas für die Kleineren. Die Charakterzüge der Figuren kommen häufig besser durch die wenigen Striche der zweidimensionalen Zeichnungen zur Geltung als durch die grobschlächtigen computeranimierten 3-D-Versionen. Das gilt auch für die Peanuts. Mal schauen, mit welcher Serie mich mein Sohn „traktiert“. Wie gesagt, wir sprechen dann auch später über unsere Erfahrungen, also spätestens 2040!