Schlaflos

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Die Würde des Teenagers ist antastbar

| 16 Lesermeinungen

© MITO Images / Picture AllianceWie umgehen mit den Stimmungsschwankungen eines Teenagers?

Es gibt ein Lebensalter, da werden Menschen zu rohen Eiern. Man sollte sie am besten gar nicht anfassen, gar nicht berühren, denn das scheint ihr Innerstes, das einem Ei-Unklar gleicht, noch mehr durcheinander zu bringen.

Eine scheinbar normale Ansprache dieser Menschen ist fast unmöglich, schon Aufrufe zum gemeinsamen Essen oder Hinweise auf die Abwesenheit notwendiger Kleidungsstücke im Winter können Krisen auslösen, gegen die sämtliche Brexit-Abstimmungen ein Kinderspiel zu sein scheinen.

Man erinnert sich als Elternteil dann wehmutsvoll an Tage, als Aufrufe zum Essen mit flinken Füssen beantwortet wurden oder man die Kleidungsfrage ohne Umschweife und Protest noch selbst regeln konnte.

Aber jetzt ist da dieser Teenager, eigenwillig, eigenbrötlerisch und immer unvorhersehbar. Was für eine Stimmung gerade durch die Tür kommt, nebelverhangen oder aufgehellt, man weiß es erst, wenn man den ersten falschen Satz gesagt hat. Und ich habe viele falsche Sätze gesagt. Bin oft explodiert und war wütend und verzweifelt, wenn nichts in das Teenagerhirn durchzudringen scheint.

Man sieht dem Pubertier an, dass es sich quält, dass es sich abarbeiten muss an einer feindlichen Welt, die weder seine Kleidung, noch seine Stimmungen oder seine Bedürfnisse versteht. Man wäre so gerne sein Verbündeter (hey, ich bin die Gute, die das WLan bezahlt!) und ist doch der Hauptfeind.

Teenager sind wie Hochsensible, denen Alltägliches unerträglich und schnell zu viel wird. Sie wollen allein zurechtkommen und ihre Selbstständigkeit wird so überlebenswichtig wie atmen. Gleichzeitig stehen die Eltern hilfsbereit daneben und haben einen Schrank voll guter Ratschläge zur Hand, jederzeit bereit, sie alle ungefragt auszubreiten.

Doch Hilfe ist in aller Regel unerwünscht. Denn sie verletzt. Jeder konkrete Ratschlag hat in den Ohren eines Pubertiers nur ein Echo: Du.Traust.Mir.Nichts.Zu!

Dabei sind es ja schon Halb-Erwachsene, nur auf dem Papier noch Kinder. Und sie leisten auch schon so viel, denn im Grunde haben sie einen Job, den sie jeden Tag erfüllen müssen: Schule. Unbezahlt und oft ungeliebt, aber genauso zwingend wie ein regulärer Nine-to-five Job. Sie müssen Hausaufgaben selbst bewältigen, haben Hobbys, die sie organisieren. Sie pflegen Freundschaften und wissen, wie man den Router neu startet und im Ernstfall auch die Waschmaschine bedient, wenn das Lieblings-T-Shirt müffelt. Sie ziehen immer weitere Kreise, mit Fahrrad, Bus und Bahn und im Sommer vielleicht mit der ersten Ferienfreizeit allein ins Ausland. Und dann machen  sie auch noch ein Berufspraktikum, gehen zu Wildfremden in eine Firma und müssen  sich da ganz allein durchschlagen. Das ist unglaublich viel und erschreckt manchmal selbst die Eltern. Viele Aufgaben und Pflichten fehlen noch, sicher, aber die werden sie auch noch bewältigen.

Wenn ich dran denke, was leider nicht immer gelingt, versuche ich mich an Um-die-Ecke-Ratschlägen. Uns hat zum Beispiel geholfen, dass ich alle möglichen Anekdoten von mir ausgegraben habe. Wie ich damals am ersten Tag zu spät im Praktikum aufgetaucht bin und mir das dort über Wochen vorgehalten wurde. Wie gerne ich das im Nachhinein geändert hätte und deshalb meine Tochter zur Eile antreibe, damit ihr nicht das Gleiche passiert. Oder wie mich Migräne flachgelegt hat, wenn ich eigentlich Sachen in letzter Minute noch fertig machen wollte und auf einmal gar nichts mehr ging.

Erstaunlicherweise werden solche Geschichten aus dem wirklich wahren Leben ganz gut beim Nachwuchs angenommen. Vielleicht weil es Geschichten vom Scheitern der vermeintlich Großen sind, von Schwächen und Pleiten, und damit sind Teenager nun mal vertraut.

Es hat was vom In-die-Hocke-gehen, wie früher auf Augenhöhe mit den trotzigen Dreijährigen, wenn man sie von oben nicht erreichen konnte. Auf Augenhöhe ist jeder leichter ansprechbar.

Und dann Fragen statt Anordnen. „Darf ich dir etwas raten? Soll ich dir etwas raten? Möchtest du einen Hinweis?“. Ja, ich weiß, da werden jetzt manche aufheulen und sagen, dass man als Leitwolf gefälligst die Richtung vorzugeben habe. Und ein bisschen ZackiZacki noch niemand geschadet habe. Aber Ansagen zu machen ist ja so viel einfacher, als sich auch mal zurückzunehmen. Einfach mal die Klappe halten und es ertragen, dass man Recht hatte, dafür aber von niemandem auf die Schulter geklopft bekommt.

Wenn man es schafft – was mir beileibe nicht immer gelingt – ruhig zu bleiben, kann man den Teenager auch fragen, wie er das Problem angehen würde. Wie viel Vorbereitung wohl für eine Sache nötig sei, wie viel Zeit er wohl dafür braucht. Und wie man ihn dabei unterstützen kann.

Wir sind damit erst am Anfang, aber die Erfolge sind vielversprechend. Und es geht wieder würdevoller bei uns zu.


16 Lesermeinungen

  1. Petobel sagt:

    Einfach grandios !!!
    Bes. bzgl. weiblicher „Pubertiere“!

  2. tSC-D sagt:

    Lach...
    Liebe Frau Weisz!

    Es ist in der Tat sehr schön zu lesen, dass es bei Ihnen „wieder würdevoller“ zu geht.

    Alleine Ihre verallgemeinernde Darstellung der „Pubertier“e verstehe ich nicht und kann es auch nicht akzeptieren – noch deckt es sich mit meinen Erlebnisse mit meinen Kindern.

    Haben Sie einmal bewusst über den Begriff
    „Pubertier“ nach gedacht?
    Ist Ihre Tochter – sowie alle Pubertierende – nicht in erster Linie ein Mensch?

    Und ist nicht Ihre Darstellung in diesem Beitrag ein Beleg dafür, dass es in erster Linie an der menschlichen Reife und Gelassenheit der „erwachsenen“ Eltern liegt, wie sich Jugendliche zu Hause generieren?

    Und ich freue mich für Sie!

    🙂

    • cweinandt sagt:

      nun...
      niemand spricht dem „pubertier“ das Menschsein ab – ich finde das etwas übertrieben!

  3. hironimus76 sagt:

    Schön wärs ...
    … wenn es so einfach sei. Ist es nicht.
    Einen Teenager (12 Jahre?) zu fragen, warum er nicht zur Schule geht, er nicht im Haushalt hilft, woher er das ganze Geld hat, was er den ganzen Tag macht wäre wohl zu viel verlangt – oder?
    Ich hoffe wir sind nicht die einzigen, die einen solchen Menschen ertragen müssen. Jetzt mal ganz ehrlich – wie soll man da reagieren:
    „Das war jetzt deine dritte 6 in Englisch. Du wirst sitzen bleiben.“
    „Ist mir doch egal!“
    „Wo gehst Du jetzt hin?“ (es ist 21:00 Uhr!)
    „… “ (keine Antwort)
    „Du hast weder Licht noch Bremse an Deinem BMX!“
    „Mir doch egal“
    „Wenn Du jemanden umfährst weil Du nicht bremsen kannst leidet der wegen Dir.“
    „Ist er doch selbst Schuld!“
    „Wenn der sein Leben lang im Rollstuhl sitzt, zahlen wir dafür – nicht Du!“
    „Dann lass mich halt weiter 10 Stunden Fortnite spielen!“
    „Das macht süchtig!“
    „Jaja …“ (und weg ist er – ohne Helm)
    Menschenrechte einhalten? Achten und respektieren? Wie geht so etwas bei solchen Teena

    • Collien456 sagt:

      Gut, dass es noch anderen so geht
      ja, man bekommt oft Ratschläge von Eltern weiniger rebellierender Kinder, wie man doch alles lösen könnte…
      Ganz wenige haben Verständnis für die nahezu ausweglose Situation mit den Teenagern. Teilweise wird man geradezu verurteilt, da man ja schuld ist oder zu wenig konsequent…

  4. Ich_bin_unkreativ sagt:

    Würde
    Ich muss Herrn Deinhard hier zustimmen.

    Trotz des generell verständnisvollen Tones ist es wohl kaum verwunderlich, dass sich ein Teenager ob der herablassenden Bezeichnung als „Pubertier“ in seiner Würde verletzt sieht.

    Der Satz „Teenager sind wie Hochsensible, denen Alltägliches unerträglich und schnell zu viel wird“ scheint auch ein wenig zu verkennen, dass nicht unbedingt nur der Mensch sich geändert hat, sondern auch die Anforderungen, die man an ihn stellt. Was nämlich einem Erwachsenen alltäglich erscheint, ist für jemanden, der vor kurzem noch ein Kind war, tatsächlich völlig neu.

  5. LupusRegnaAstarotteVonEdensteil sagt:

    Selbst ein teen (noch)
    Zu leben ist nie einfach und ich gebe ehrlich zu, dass ich die dinge alleine bewältigen will obwohl ich trozdem gerne hilfe hätte.. aber dann fällt man einen natürlich an, und überwirft einen mit vorwürfen und zudem wird einem nichteinmal zugetraut einfache dinge zu erledigen weil man ja noch ein „kind“ ist.

    Mein dad ist da aber zum glück anders, was wohl daran lag, dass er als er in meinem alter war jahrelang auf der straße lebte.

    @Jochen über mir:
    Solche habe ich auch in meiner klasse, entweder hat er probleme und wird gemobbt, oder er hängt mit den idioten ab welche sich für allwissend im berreich leben, liebe und falscher coolness halten.

    Fortnite jedenfalls ist kein Spiel sondern eine diagnose.. laut meines bruders, welcher wie ich auch mit einem joystick in der hand aufgewachsen ist.

  6. RainerTreck sagt:

    Schön wärs...
    …wenn Leute sich endlich mal eine differenzierte Meinung bilden würden, und auch sogenannte „Experten“ mal nach Meinungen, Erfahrungen oder (Selbst-)Einschätzungen fragen würden anstatt ihren eigenen Erfahrungsschatz ihre Arbeit machen zu lassen.
    Ebenso würde ich mich über etwas Objektivität von nicht voreingenommenen Autoren freuen.
    In der vorhandenen Form macht der Artikel auf mich eher den Eindruck eines Blog- oder Tagebucheintrags.
    Aber vielleicht ist das ja die neue Internetkultur; dann laufe ich mal mit:
    Meiner Ansicht nach können und werden Eltern ihre Kinder nie ganz verstehen. Ich denke, dass ein weitverbreitetes Problem ist darin besteht, dass viele dies nicht akzeptieren wollen oder können.

    Wie dem auch sei, viel erfolg beim erreichen ihres Würdestandarts.
    in diesem Sinne danke ich ihnen für’s Lesen.

    • Turbolino sagt:

      Blogeintrag
      Dass der Artikel auf Sie den eindruck eines Blog-Eintrages macht, zeigt, dass Sie in der Lage sind, gut zu differenzieren. Wenn Sie jetzt noch einen Blick auf den Titel der Seite werfen, werden Sie erkennen, dass Sie tatsächlich im Bereich der FAZ-Blogs gelandet sind.

    • bandi.coot sagt:

      Blog
      natürlich macht der Artikel den Eindruck eines Blogeintrags, denn darunter wurde er auch Veröffentlicht. FAZ-Schlaflos-Das Familienblog.
      Toller Beitrag BTW 🙂

  7. miegie68 sagt:

    pubertät
    sehr geehrte frau weisz,in der form die sie beschreiben,haben wir es auch versucht,leider hat es nicht funktioniert,und am ende ist unsere beziehung daran zerbrochen.
    lebe seit acht jahren mit meiner partnerin u. ihren beiden jungs aus ihrer ersten ehe zusammen. habe immer nachgefragt u. nicht angeordnet,meine gescheiterten teeni geschichten ihnen anvertraut, sämtliche finanzelle wünsche erfüllt,manche unsinnlichen wünsche bei der mutter durchgeboxt, doch am ende hat alles nix genützt. keine gespräche mehr,ein ständiges „ist mir doch egal“ schlechte noten bis zur verstzungsgefährdung,lügen,beleidigungen und schuldzuweisung ,all das hab ich über mich ergehen lassen. als sie gemerkt hatten das ich mit ihrer mutter ständig auseinandersetzungen wegen ihnen hatte und sie dadurch auch noch erkrankte,gab es nicht mal da einsicht und verständnis zur besinnung. eiskalt u. rücksichtslos wurde so weitergemacht ohne ein bischen ihrer mutter entgegen zu kommen. eine liebe ist gegangen

  8. Gyzelle sagt:

    Auf Augenhöhe . . .
    hilft meiner Erfahrung nach meistens. Ich gebe zu, wir haben sicher auch eine Portion Glück gehabt, denn letztlich entscheidet in der Pupertät eben auch die Peer Group wie sich das Kind entwickelt. Dennoch: aus Ihrem Text, sehr geehrter Herr Gaßmann lese ich eben auch nur Vorwürfe. Und Vorwürfe sind meiner Meinung und Erfahrung das, was man tunlichst vermeiden sollte. Erhlich gesagt, auf so ein Gespräch hätte ich auch keine Lust, nicht mal als Erwachsene. Vielleicht ist es das, was uns das Zusammenleben sehr leicht macht: Respekt, also Entscheidungen des Kindes zu akzeptieren. Geduld und Muße sich in den Teenager hineinzuversetzten und Abstand, die geschlossene Tür zu akzeptieren. Die Wäsche kann auch später noch gewaschen werden oder eben nicht.

  9. TomRoerich sagt:

    Eltern haften an ihren Kindern
    Och nein, ich glaube nicht, dass das augenzwinkernde Wort „Pubertier“ wirklich ein Problem ist. Wer zusammen mit Kindern die Pubertät überstanden hat – bei mir waren es 2 – , wird sich sicherlich daran erinnern, dass es immer einen Grund für Missstimmungen gibt und sei er noch so nichtig. Das ist sozusagen unvermeidlich, weil es darum geht, dass man eine alte und gewohnte Beziehungsgrundlage unter Schmerzen verliert und eine neue miteinander finden muss. In Wirklichkeit projiziert man den eigenen Schmerz auf das Kind und das Kind tut dasselbe mit seinem Schmerz und projiziert ihn auf die Eltern. So machen wir Menschen das immer, wenn wir uns ärgern oder verletzt sind.

    Man kann diese Zeit für Ehrlichkeit nutzen und sich vor Augen halten, dass wir die emotionalen Investitionen in unsere Kinder nicht loslassen möchten. Zuzugeben, dass man verletzt und traurig ist, aber wütend reagiert, schafft wieder Gemeinsamkeit und Verständnis zwischen Eltern und dem „Pubertier“.

  10. nouse4aname sagt:

    Das funtioniert, weil....
    weil Sie sich an die Prinzpien der empathischen (gewaltfreien) Kommunikation halten:“Sprich von Dir und Deinen Erfahrungen, überlasse es dem Anderen, ob er davon etwas gebrauchen mag oder nicht. Nicht paradoxer-, sondern logischerweise, können Menschen leichter von den Erfahrungen anderer profitieren, wenn Sie die Wahl dazu haben. Salopp gesagt, Ratschläge sind auch Schläge und wenn Sie es übergehen zu erzählen, was Sie in der Sache bewegt, üben Sie Gewalt gegen sich selber aus und machen sich klein. Bei GFK geht es zunächst darum keine Gewalt mehr gegen sich selber auszuüben und Mitgefühl mit sich selbst zu kultivieren. Wertschätzung für seine eigenen Begabungen und das Berichten von den eigenen Momenten des Glücks und der Verzweiflung, das Narrative, nährt die Seele des Selbst und des Nächsten. So machen „Sie sich“ sichtbar und erreichen den anderen schneller. GFK sollte man allen angedeihen lassen, nicht nur Pubertieren. Ihr Artikel zu rohen Eiern hat mich sehr berü

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