Der Fahrplan war geschrieben, bevor das Kind auf der Welt war: kein Tablet, kein Smartphone im Kleinkindalter. Stattdessen Büchervorlesen, Spielen, Herumtollen, Phantasie ansprechen und Kreativität abrufen.
Und dann das: An einem Tag, als die Tagesmutter krank ausfiel, musste ich den knapp dreijährigen Elias mit in die Redaktion zum Arbeiten nehmen. Geschlagene zweieinhalb Stunden. Nun muss man wissen, dass ich die meiste Zeit in einem Newsroom, also in einem Großraumbüro, tätig bin. Elias saß also auf dem Boden, während ich auf drei Bildschirmen die Nachrichtenlage zwischen Donald Trumps neuester Twitterei und Friedrich Merz‘ neuester Selbstbewerbungsäußerung im Blick halten musste (das war noch vor dem CDU-Parteitag in Leipzig). Als es Elias tatsächlich fertigbrachte und im entscheidenden Moment einer Eilmeldung den Computerknopf drückte, woraufhin alle Bildschirme in Windeseile herunterfuhren und eine Kollegin dankenswerterweise schnell einsprang, musste ich die Notbremse ziehen: Tablet aus der Tasche, Gerät an, Youtube anwählen, Kinderserie aussuchen, Elias davor parken. Danach war eine halbe Stunde Ruhe – und ich konnte tatsächlich das tun, weswegen ich an diesen Ort gekommen war: arbeiten.
Nun folgt die unbeabsichtigte Pointe: Elias ist bei dieser Gelegenheit richtig auf den Geschmack gekommen und ruft nun jeden Tag zuhause nach dem Tablet, obwohl wir zuhause keinen Newsroom haben und es keinerlei Notwendigkeit gibt, den Kleinen irgendwo „zu parken“. Unglücklicherweise habe ich als Journalist daheim zwei iPads herumliegen, und unser Sohn weiß genau, an welcher Stelle des Regals die Heiligtümer liegen. Wann immer der Kleine müde und abgekämpft ist, weil er im Kindergarten war oder stundenlang mit seiner Freundin im Haus gespielt hat, möchte er sich am liebsten aufs Sofa mümmeln und Kinderserien auf dem Ding schauen, auf Youtube meistens.
Derzeitiger Knüller ist „Leo, der Lastwagen“, eine einfache Kleinkinderserie in Computerspielästhetik (hier zu bewundern). Es ist eine kreuzlangweilige Serie, in der quasi nichts passiert, außer dass ein vermenschlichter Lastwagen durch eine ansonsten menschenleere Gegend fährt und Teile zusammensucht, aus denen Maschinen gebaut werden. So habe ich zum Beispiel von meinem Sohn erfahren dürfen, dass es so etwas wie Kaltfräsen gibt, also Maschinen, die alte Asphaltdecken abreißen. Wusste Elias dank Leo – hatte ich noch nie gehört. Immerhin ein Bildungsauftrag also. Ansonsten aber wachsen mir graue Haare, wenn Elias nun täglich nach dem Tablet ruft. Erst recht nach dieser Sendung, die kalt wie eine Baustelle im regnerischen November wirkt. Ich kann die kaum ertragen, Elias liebt sie. Nun gut, man kann auch sagen: Die Serie tut immerhin keinem weh.
Aber Halt, Zwischenstopp! Meine persönliche Abneigung gegen diese Sendung im Besonderen und Fernsehen schauende Kleinkinder einmal an die Seite geschoben. Aber wie schädlich ist es eigentlich für Kinder, Fernsehen zu gucken oder Videos auf Youtube zu schauen? Medienpädagogen raten, dass Kleinkinder vor dem dritten Geburtstag gar keine Videos oder Fernsehsendungen schauen sollten. Ab dem dritten Lebensjahr ist es weniger problematisch, wenn die Dosis und die Inhalte stimmen. Vier- bis Sechsjährige sollten maximal eine halbe Stunde am Tag vor dem Fernseher hocken oder Videos bei Youtube anschauen, Sieben- bis Zehnjährige maximal 45 Minuten. Soweit die Theorie. Aber was machen, wenn man ein Kind einmal vor dem Tablet parken musste – und nun die Schreierei groß ist, wenn man als Elternteil dem verzweifelten Wunsch des Sprösslings aus pädagogisch gutgemeinten Gründen nicht nachkommt? Nun, einfach nicht immer verbieten, sondern nur manchmal. Wie gesagt, die Dosis macht das Gift. Und ansonsten ein paar Regeln beachten.
Das Problem ist ja die Vorbildfunktion der Eltern. Unsere Wohnung ist vollgestopft mit Büchern, wir nutzen sie häufig, lesen viel und Elias viel vor. Aber natürlich spielen dazu elektronische Medien eine große Rolle, häufig nehmen wir Smartphones zur Hand, um nach Rezepten zu schauen, eine Whatsapp zu schreiben oder „Zeitung“ in der E-Ausgabe zu lesen. Wie soll ein Kleinkind verstehen, was der Papa auf einem Handy tut und was er dort anschaut? Dass man eben keine Youtube-Serien-Orgien über sich ergehen lässt, sondern Tageszeitung liest oder eine Doku schaut? Die Antwort: kann man nicht erklären. Für ein Kleinkind ist ein Tablet ein Ding, das blinkt und leuchtet – und dass deshalb furchtbar interessant ist. Sich zu bemühen, nicht permanent das Smartphone zur Hand zu nehmen und für eine Recherche auch mal hinaus in ein anderes Zimmer zu gehen – das habe ich mir nun wenigstens vorgenommen. Elias soll nicht den Eindruck bekommen, dass sich unser Leben um Unterhaltungselektronik dreht. Tut es auch nicht. Hat aber blöderweise den Anschein.
Und Tablets? Elias darf durchaus mal etwas gucken, aber nur wenn einer von uns daneben sitzt – und dann nicht zu lang. Eine oder zwei Folgen dürfen sein, maximal 20 Minuten am Stück. Denn die Verhaltensweisen des Kleinen laden nicht dazu ein, seine Zeit vor dem Tablet künstlich zu verlängern. Elias sitzt – nicht nur beim Lastwagen Leo – gebannt vor dem Bildschirm, er wirkt fast wie eingefroren. Er antwortet kaum auf Fragen – und bewegt sich auch nicht. Und genau diese Lethargie, die der passive Medienkonsum offenbar provoziert, kann nicht gut sein für das Kind, das die Welt von sich aus begreifen und erobern, die Dinge anfassen und mit Neugier alles ausprobieren soll. Die Bewegungslethargie vieler Menschen wurzelt sicherlich auch in dieser kindlichen Berieselung.
Außerdem ist Youtube sowieso problematisch, weil nach jeder Serie automatisch weitere „Knallerangebote“ aus dem Entertainmentbereich präsentiert werden, so dass ein Klick genügt, um immer weiter zu schauen, eine Folge nach der anderen, eine Serie nach der anderen. Ein Dreijähriger weiß genau, was er wie anklicken muss, Kleinkinder lernen schnell. Zwischendrin kommt zudem Werbung, die nur einen mäßigen pädagogischen Mehrwert hat. Insofern ist es immer sinnvoll, dass man als Elternteil gemeinsam mit dem Kleinen schaut und ihn nicht alleine mit dem Tablet auf dem Sofa sitzen lässt.
Nun habe ich versucht, das Ganze mit Trick 17 in die richtige Richtung zu lenken. Ich habe ihm eine Folge „Janoschs Traumstunde“ gezeigt; die, bei der der Tiger krank wird und zu Dr. Brausefrosch in die Klinik für Tiere gehen muss. Danach habe ich ihm das Buch gezeigt mit genau derselben Geschichte, nur eben auf Papier. Immer und immer wieder will er sie nun abends beim Schlafengehen hören, und ich lese sie ihm vor. Plan also aufgegangen? Na ja: Am Nachmittag will er die Geschichte am liebsten auch noch als Zeichentrickserie auf dem Tablet anschauen. Nicht alle Pläne gehen eben hundertprozentig auf. Leider. Da hilft selbst Dr. Brausefrosch nicht.