Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

Das Leben ist keine Hüpfburg

Heute nach dem Kindergarten musste ich mit meinen Jungs Tiago und Fabian noch etwas erledigen. Tiagos Brille brauchte einen neuen Bügel. Also fuhr ich mit zwei übermüdeten Fünfjährigen in die Innenstadt: Parkplatz suchen, zum Optiker laufen, drei Ampeln passieren und dann auf die Reparatur warten. Stress! Doch ich will nicht klagen, denn die beiden haben sich einigermaßen gut benommen. Die Wartezeit verbrachten wir in einem nahegelegenen Café, eigentlich mehr eine Bäckerei mit ein paar Tischen. Dort saßen ein paar ältere Damen mit Hut und zwei Mütter mit ihren Kleinkindern. Der Geräuschpegel war moderat, kein Tohuwabohu, aber es waren eben gut und gerne sechs Kinder anwesend.

Als ich gerade bestellte und Tiago und Fabian die süßen Teilchen in der Auslage kommentierten, kam ein Mann, etwa Mitte 50, mit Hornbrille und schickem Schaltuch um den Hals herein. Ich hatte gleich so ein Gefühl, dass die Kinder und ich seine Aufmerksamkeit erregten. Es war offensichtlich, dass ihm das alles, obwohl er gerade erst die Bäckerei betreten hatte, nicht schnell genug ging. Ein Wunder, dass er sich nicht noch vorgedrängelt hatte. Ich wartete also auf meinen Cappuccino und ein paar Waffeln, sprach kurz mit Fabian, der sich erlaubterweise ein stilles Wasser aus dem Selbstbedienungskühlschrank holte und sicher gehen wollte, dass es auch ja kein Sprudelwasser war. Kurzum, die Anwesenheit meiner Kinder war weder zu überhören, noch zu übersehen, aber sie waren weit von einem Trotzanfall oder anderen Aktionen entfernt. Ich zumindest war entspannt und setzte mich mit den Jungs an einen freien Tisch in Hörweite der Theke. Nah genug, um mitzubekommen, dass der Herr beim Bestellen die Verkäuferin, so viel verstand ich, auf das Thema Kinder ansprach. Nachdem der Mann bezahlt hatte und gegangen war, ließ es mir keine Ruhe und ich sprach die Verkäuferin an. „Was hatte der Mann für ein Problem?“ Sie lächelte mich etwas unsicher an und war sichtlich irritiert, beugte sich zu mir vor und sagte: „Der Mann wollte wissen, ob mich die vielen Kinder hier nicht nerven würden. Ich habe aber Nein gesagt.“ Die Verkäuferin tippte sich mit dem Finger an die Stirn und in mir kochte es.

Was in aller Welt hat diesen Mann in dieser Situation gestört? Wir trödelten weder beim Bestellen, noch haben die Kinder ihn angepöbelt, angerempelt oder angeschrien. Wenn alleine die Anwesenheit von ein paar Kindern jemanden dazu bringt, gegenüber der Verkäuferin diesen inakzeptablen Zustand „Kindern in einer Bäckereikette an einem Dienstagnachmittag“ zu kommentieren, dann will ich nicht wissen, wie er auf Kinder in einem Restaurant, Hotel oder, Gott bewahre, im Nachbargarten reagiert.

Ich verstehe, wenn Leute sich über laute, tobende Kinder aufregen. Wenn jemand nämlich oft genervt ist von Kindern, dann bin ich es. Deshalb achte ich auch sehr darauf, dass meine Jungs in der Öffentlichkeit so leise wie möglich sind. Klappt nicht immer, aber immer öfter. Ich habe vollstes Verständnis, wenn sich jemand über außer Kontrolle geratene Kinder echauffiert, aber das habe ich ehrlich gesagt selten erlebt. Stattdessen sind es oft die Momente, in denen ich denke, was für herzige Menschlein ich doch da auf die Welt gebracht habe, wenn mir die Umwelt genau das Gegenteil vermittelt. Zum Beispiel, wenn die Jungs bei 35 Grad jauchzend ins Planschbecken im Garten springen und es nach 5 Sekunden bereits vom Balkon des Nachbarhauses krakelt: „Geht das auch ein bisschen leiser?“ Das ist doch nun wirklich kein nervtötender Lärm. Das müsste doch der letzten versteinerten Seele noch ein kleines Lächeln abringen, oder nicht?

Wohl nicht. Aber woher kommt diese Kinderfeindlichkeit? Waren Kinder früher wirklich besser erzogen, oder waren sie einfach viel mehr Teil der Gesellschaft? Heute gibt es Adult-Only für die einen und Kinderhotels für die anderen. Familien tummeln sich in nach Plastik stinkenden Indoorspielplätzen. In „normale“ Cafés traut man sich mit seiner Brut ja schon gar nicht mehr rein. Es muss schon das Beerencafé mit Heuballen- Labyrinth, Spielplatz und Bobby-Car-Parcours sein. Und am Wochenende trifft sich alles, was einen Bugaboo schieben kann, im Zoo, dem ultimativen Familien-Ghetto.

Familien mit kleinen Kindern sind wie Antilopen in der Savanne: Herdentiere. Denn in der freien Wildbahn haben Eltern mit einem schreienden Zweijährigen genauso wenig Chancen wie ein einsames Jungtier am Wasserloch. Die Familien bleiben unter sich, während der Rest der Welt beim Brunch im „moki’s goodies“ weilt. Jenem Hamburger Café, in dem unter Sechsjährige keinen Zutritt haben und das unter dem Hashtag #Schnullergate landesweite Berühmtheit errungen hat. Was kommt als nächstes? Familienwohnanlagen versus kinderfreie Gated Communities?

Ich gebe zu, wir waren auch schon mal in einem Kinderhotel und, ohne es zu wissen, in den Flitterwochen sogar in einem Adult-Only-Hotel. Mit Kleinkindern würde ich niemals ein Sternelokal aufzusuchen. Darum geht es aber gar nicht. Kleine Kinder sind nicht nur in Gourmetrestaurants nicht gerne gesehen, sondern allgemein in allen Einrichtungen, die nicht das Label „kinderfreundlich“ vor sich hertragen. Der Effekt: Die Toleranz für Familien im öffentlichen Raum sinkt und Kinder wachsen in dem Glauben auf, dass die Welt ein einziger, sich um sie drehender Abenteuerspielpatz ist.

Kleinkinder im Beerencafé, bitte gerne, aber einfach im Bäckereicafé ums Eck: Eine Zumutung! Was wir brauchen, ist eine Kinder-Inklusion in der Öffentlichkeit. Das würde allen guttun. Kinder gehören zum Leben, zum Alltag. Kinder müssen aber auch lernen, dass das Leben eben nicht nur aus Hüpfburgen besteht, sondern dass es auch Restaurants gibt, in denen sie am Tisch sitzen bleiben müssen und in denen es keine Spielecke gibt. Dass ihre Eltern an einem Samstagnachmittag ins Lenbachhaus gehen wollen, und zwar nicht zur Familienführung, sondern einfach so. Und Kinderlose und Eltern ohne kleine Kinder würden auch davon profitieren, wenn Familien mehr an ihrem Alltagsleben teilnehmen. Wie heißt es immer: Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen. Von Eltern, und meistens trifft es natürlich die Mütter, wird aber erwartet, den Nachwuchs fernzuhalten. Bloß keine Störung, bloß kein Geschrei. Wir müssen raus aus der Sandkastenblase und wieder hinein ins echte Leben!