Manche Menschen stellen sich Möbel in die Wohnung, wieder andere haben sogar Interieur. Und ich? Ich habe Kinder. Unsere Münchner Wohnung besteht aus drei Kinderzimmern, Küche und Bad. Und meine beiden Söhne beanspruchen jeden Quadratzentimeter davon. Kleine Tour gefällig? In unserer offenen Wohnküche erhebt sich eine Playmobilwelt, bestehend aus einer Marsstation und einer Raketen-Abschussrampe. Während ich diese Zeilen schreibe, entsteht unter dem Küchentisch das, was der Deutschen Bahn nicht gelingen mag: ein Schienennetz, das seinen Namen auch verdient. Unser Parkett durchziehen kraterähnliche Furchen, die Wände sind von Einwurflöchern gezeichnet und das hellgraue Sofa sieht aus, als wäre es eine Leinwand von Jackson Pollock. Dazwischen findet sich allerlei, was Marie Kondo wohl als Komono bezeichnen würde: Kleinkram in Form von Plastikspielzeug aus Überraschungseiern, einem Stempel mit Dinosauriermotiv, verknickte UNO-Karten, oh, ein Spielwürfel (den hab ich schon gesucht) und: Legosteinchen! Mein persönlicher Aufräum-Endgegner. Seit sich die Fünfjährigen für Lego interessieren, ist das Tor zur Hölle offen. Wir sprechen hier von mehr als 500 Teilen pro Set. Winzige Schwerter, Kristallsteinchen und Ritterhelme. Es ermüdet mich schon darüber zu schreiben. Wenn ich ans Aufräumen denke, möchte ich auf der Stelle in einen 15-jährigen Tiefschlaf verfallen und erst wieder aufwachen, wenn Tiago und Fabian mit gepackten Koffern im Flur stehen, um in ihr erstes WG-Zimmer zu ziehen.
Es muss doch zu schaffen sein, trotz Kindern Ordnung und ein gewisses Maß an Design in die Bude zu bekommen. Oder? Zuerst habe ich es mit Aufräumen und Ausmisten probiert. Natürlich nicht ohne vorher Marie Kondos Bestseller „Magic Cleaning“ zu lesen. Alles muss raus. Zumindest das, was einen nicht glücklich macht und somit Freude versprüht. Kein Problem! Zumindest für mich. Während ich Klamotten, Sandwichmaker und sogar Postkarten kaltblütig entsorge, sind meine Männer da sehr zartbesaitet. „Die Weinkorken brauch ich noch, da will ich eine Fußmatte draus basteln“, jammert mein Mann. „Oh, und dieser kitschige Teller aus Chiang Mai, mit meinem unscharfen Foto drauf, ist doch so eine schöne Erinnerung an unseren Thailand-Urlaub.“ Okay, bei solchen Souvenirs kann ich das ekstatische Hochgefühl ja noch einigermaßen nachvollziehen, aber irgendwann hört es auf. „Mama, nein! Nicht die Stöcke wegschmeißen!“, kreischt Tiago. Einen ganzen Nachmittag hat er Treibgut am Ammersee gesammelt. Große, kleine und vor allem morsche Äste. Mit einem guten Filter auf der richtigen Kommode fotografiert, wäre dieses Totholz eigentlich ein super Instagram-Post: #solebich.
Auf Instagram swipe ich mich gerne durch Profile, die herein.spaziert oder the_salonette heißen, und tauche ein ins Einrichtungs-Paradies. Kinder leben dort auch, aber die spielen nicht mit Lego, sondern mit fotogenen Holzregenbögen. Manchmal steht auch ein Bobby-Car, das an einen Mercedes-Oldtimer erinnert, mitten im Petrol gestrichen Wohnzimmer. Und Ablageflächen werden zu Arrangements diverser Vasen und Deko-Artikel genutzt. Alles Fake? Vielleicht. Und ich liebe es trotzdem! Seitdem träume ich von einem Designer-Stuhlmix, schön arrangiert um einen neuen, weißen Esstisch. „So ein Tisch überlebt bei uns keine zwei Tage“, sagt mein Mann. Und er hat recht, ich weiß, dass er recht hat. Doch ich will es nicht wahrhaben und phantasiere weiter.
Anstatt zu akzeptieren, dass das Wohnen mit Kindern zwar schön, aber eben nicht „Schöner Wohnen“ ist, bin ich zum absoluten Interior-Victim geworden. Warum sollte ich mir schicke Klamotten und hohe Schuhe kaufen, wenn sich sowieso keine Gelegenheit ergibt, so was anzuziehen? Das Nest muss schön sein! Schließlich verbringen wir hier die meiste Lebenszeit. Und wenn da draußen schon alles drunter und drüber geht, Klimakatastrophen und Killerviren drohen, dann ziehe ich mich doch lieber in meine eigenen perfekt gestrichenen vier Wände zurück.
Meine Wohnung, meine Welt. Das war bei mir schon immer so. Mein Kinderzimmer habe ich früher monatlich umdekoriert. In Ermangelung neuer Möbel verrückte ich mein Bett, tauschte hier und da ein Poster an der Wand aus oder pinselte in meiner ganz wilden Phase Sprüche von Rage against the Machine an die Wand: „Fuck you, I won’t do what you tell me“. Zu mehr Rebellion hat es in meiner Pubertät nicht gereicht. Was ich damit aber eigentlich sagen möchte: Die Wohnsituation spiegelt unser Leben wider. Und wenn letzteres im Familienchaos zu versinken droht, dann könnte ein picobello aufgeräumtes Wohnzimmer vielleicht die Ruhe ausstrahlen, die mir so oft abgeht. Mein Mann sieht das auch so, ist aber realistischer, was den Zeithorizont angeht: „Amor, wir renovieren, wenn die Kinder groß sind.“
Die nächsten zehn Jahre leben wir dann halt einfach und wohnen weniger.