Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Maya wird in diesem Monat dreizehn und steckt schon mitten in der P … – Nein! Stopp! Ich darf dieses Wort nicht schreiben! Ich darf es nicht einmal aussprechen. „Wehe, Mama, wenn du dieses Wort noch einmal sagst!“, faucht Maya, sobald ich eine Erklärung für die Veränderungen, die sich langsam aber sichtbar bei ihr ankündigen, abgeben will: „Weißt du, das ist einfach so, dass man das Haar öfter waschen muss in der …“ Sie wirft mir einen drohenden Blick zu und ich verstumme augenblicklich.
Maya will nichts hören von körperlichen oder seelischen Veränderungen. Sie hasst Veränderungen so sehr! Seit sie denken kann, frühstückt sie immer das Gleiche: Brot mit Himbeermarmelade, ein Glas Wasser und Kakao. Es darf nur Himbeermarmelade sein, keine Erdbeer-, Aprikosen- oder Waldfruchtmarmelade. Und der Kakao muss unbedingt die richtige Mischung aus Milch und Pulver haben. Deswegen muss ich ihn anrühren, denn nur ich bekomme die perfekte Mischung für sie hin. Feiertage wie Geburtstage, Ostern und Weihnachten müssen jedes Jahr gleich ablaufen, sonst sind diese Tage für Maya nicht das, was sie sind. Keine Experimente! „Aber es gibt doch immer Raclette Heiligabend. Warum sollten wir dieses Jahr etwas anderes essen?“ oder „Wo ist die CD mit den Kinder-Geburtstagsliedern, die du an meinem Geburtstag immer morgens laufen lässt? Die will ich auch dieses Jahr hören.“ Sie trägt seit Jahren einen dunkelblauen Wintermantel. Sobald der Mantel mal wieder zu klein geworden ist (und das ist er fast jedes Jahr), begeben wir uns auf die Suche nach einem ähnlichen Modell. Wie blöd, dass man aus Kleidung rauswächst. Was soll das überhaupt? Warum kann nicht einfach alles so bleiben wie es ist?
Und nun ist es ausgerechnet Maya selbst, die sich verändert. Das macht ihr schwer zu schaffen, denn sie hat keine Chance gegenzusteuern. Sie kann ihre Barbie-Sachen aus dem Keller holen, aufbauen und sich vornehmen, ein paar Stunden damit zu spielen. Aber dann merkt sie, dass ihr die kindliche Unbefangenheit und die Freude am Spiel mit den Puppen verlorengegangen ist, und sie fängt an nachzudenken, warum das so ist. Selbst die Treffen mit den Freundinnen gestalten sich plötzlich anders. Letzte Woche hat sie sich mit ihrer besten Freundin aus Grundschulzeiten getroffen. Als ich Maya abholte, ließ sie sich frustriert und traurig in den Autositz fallen. Ich versuchte herauszubekommen, was los war, und sie sagte: „Ich kann es nicht erklären. Alles ist nun so komisch zwischen Marie und mir. Es ist, als hätten wir alle Spiele, die es gibt, schon ausgespielt. Und nun wissen wir nicht mehr, was wir miteinander anfangen sollen.“ Ich versuchte ihr zu erklären, dass sich nicht nur die eigenen Interessen, sondern auch die Beziehungen zu Freunden und Familie im Teenageralter verändern. Maya nickte frustriert und verstand. Schließlich hat sie diese Veränderung bei ihrer großen Schwester Lara (inzwischen 16) hautnah miterlebt. „Hoffentlich werde ich später nicht auch so doof wie Lara“, betont Maya in letzter Zeit oft. Maya möchte kein halbstarker Teenager wie Lara werden, die nonstop am Telefon hängt, nur noch an Klamottenkäufe und die nächste Party denkt und sich zu cool für diese Welt fühlt. Die Vorstellung, sie könnte später ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, findet sie schrecklich.
Aber ein Kind will Maya auch nicht mehr sein. Zumindest will sie nicht so behandelt werden! „In welcher Farbe sollen wir deine Zahnspange anfertigen?“, fragte der Kieferorthopäde Maya vor wenigen Tagen. „Lila oder vielleicht blau? Zweifarbig vielleicht?“ „Egal“, brummte Maya schlechtgelaunt. „Wir haben auch Glitzer. Das sieht schön aus“, versuchte die junge Helferin sie aus der Reserve zu locken. Schließlich entschied sich Maya für eine transparente Spange, ohne Motiv oder Glitzer-Schnickschnack. Kaum waren wir aus der Praxis, beschwerte sie sich erbost: „Warum haben die mit mir geredet als wäre ich ein kleines Kind?“ Man kann unserem Arzt keinen Vorwurf machen. Woher hätte er auch wissen sollen, wer oder was da gerade in seinem Behandlungsstuhl Platz genommen hatte?! Fisch oder Fleisch? Jekyll oder Hyde? Verspieltes Kind oder cooler Teenie? Äußerlich ist das bei Dreizehnjährigen auf dem ersten Blick nicht immer eindeutig erkennbar, auch bei Maya nicht.
Ist man mit dreizehn nun eigentlich ein Teenager und jugendlich oder noch ein Kind? So richtig beantworten kann einem diese Frage keiner hundertprozentig. Das Wort „Teenager“ stammt aus dem Englischen und bezeichnet Heranwachsende von dreizehn bis neunzehn (thirteen to nineteen). Für den deutschen Gesetzgeber wiederum gelten Dreizehnjährige noch als Kinder und nicht als Jugendliche. Es ist also nicht verwunderlich, dass nicht nur das Umfeld, sondern auch die Dreizehnjährigen selbst Schwierigkeiten mit der Einordnung bekommen, wenn Gehirn und Körper mit ihrem Umbau starten. Will ich mit meiner Freundin Puppen spielen oder mit ihr über Styling und Jungs reden? Kann ich mit Papa noch auf dem Sofa kuscheln und albern herumbalgen, auch wenn ich inzwischen das Badezimmer abschließe und darauf bestehe, dass man anklopft, bevor man mein Zimmer betritt?
Mayas Gemüt gleicht momentan einer Wundertüte. Mal ist sie ausgeglichen, kindlich und anhänglich. Und dann, von einem auf dem anderen Moment, zieht eine Gewitterfront auf. Sie wird zickig und übellaunig, gibt patzige Antworten oder lässt ungefragt bissige Kommentare von sich und knallt die Türen. Auf Kosenamen reagiert sie besonders allergisch. „Nenn mich nie, nie wieder so oder ich flippe echt aus!“, droht sie meinem Mann, der am schlechtesten mit ihrem Gefühlswechselbädern zurechtkommt. Aber er wird sich damit abfinden müssen, dass sich die Beziehung zu seiner Tochter gerade ändert. Sie wird dreizehn! Er wird es überstehen! Maya wird es überstehen! Und ich auch, während ich versuche, die rarer werdenden, kindlichen Momente mit ihr bewusst zu genießen und das furchtbare P-Wort aus meinem Vokabular zu streichen. Die alte CD mit den Kinder-Geburtstagsliedern werde ich selbstverständlich auch am Morgen ihres dreizehnten Geburtstags abspielen. Wegen ein paar Hormonen muss sich ja nicht gleich ihre ganze Welt ändern.