Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Zeig mir deinen Style, und ich sage dir, wer du bist

Style, ein Fest: Tänzer des Ballet National de Marseille beim Internationalen Mode-Festival in Hyères, Frankreich. © Jana Call Me J/ABACAPRESS.COM

Lara sichtet alte Fotos: Ich, 1992, Spanienurlaub mit meinen Mädels. „Hast du die Oberteile auf den Bildern noch?“, fragt sie. Natürlich nicht. Wer bewahrt schon seinen Kram drei Jahrzehnte auf?! Lara schnaubt enttäuscht. „Mann, Mama, in der Stadt hat gerade ein neuer Laden aufgemacht, mit Vintage und Second-Hand-Sachen. Die Klamotten sind voll angesagt. Du hattest so schöne Tops. Hättest ja ruhig mal daran denken können, dass du irgendwann Töchter bekommst.“ Sie seufzt. „Ich würde so gerne in deiner Zeit leben.“ Lara mag die Trends der achtziger, neunziger aber auch der frühen zweitausender Jahre. Sie schaut mit ihren Freundinnen mit Vorliebe alte amerikanische High-School-Filme, wie Clueless, 10 Dinge die ich an dir hasse oder Girls Club mit Lindsay Lohan. „Und der Fotoapparat von früher ist auch weg?“, forscht Lara nach. Neuerdings fotografiert sie mit einer Einwegkamera aus dem Drogeriemarkt. Sie findet es spannend, dass der Film entwickelt werden muss und man die Fotos erst später anschauen kann. Ich nicke. Die alte Pocketkamera landete natürlich irgendwann genauso in der Tonne wie die Kleidungsstücke aus meiner Teenager- und Twen-Zeit.

Bis zur 6. oder 7. Klasse war es Lara egal, ob ihre Klamotten angesagt waren. Sie ging äußerst widerwillig mit mir shoppen, wenn ihre Hosen oder Schuhe zu klein geworden waren, und man bekam sie nur unter Gewaltandrohung in eine Umkleidekabine. Sie besaß Lieblingsteile, aber ihr war nicht wichtig, wie andere sie darin beurteilten. In der Mittelstufe und mit fortschreitender Pubertät schnappte sie dann gewisse Mode-Trends auf. „In der siebten Klasse sahen wir echt alle gleich aus“, sagt Lara heute, mit Abstand. „Hattest du keine Superstars-Turnschuhe von Adidas, warst du uncool, und das wollte man nicht. Ich war neidisch auf die Leute, die ständig mit neuen Markenklamotten von Hollister oder Abercrombie in der Schule aufschlugen und direkt mehrere Superstars-Paare besaßen. Das ist typisch für die Mittelstufe: Alle laufen total geschmack- und stillos rum. Eine Zeit lang habe ich diese Tattoo-Ketten getragen. Die wurden irgendwann als extrem peinlich bezeichnet, und dann habe ich alle weggeschmissen.“      

Nun ist Lara sechzehn und auf der Suche nach ihrer Persönlichkeit, die sie durch ihr Äußeres unterstreichen will. Im Moment bevorzugt sie High-Waist-Jeans mit überlangen Säumen und weitgeschnittenen Hosenbeinen, aber auch Schlaghosen und Carmen-Oberteile. Als Lara mir ihr neues schulterfreies Shirt mit weiten Trompetenarmen und einer Schlaghose kombiniert vorführt, erinnert mich das doch sehr an die Siebziger. Ich stimme Super Trouper von ABBA an, worauf sie die ihren Look verteidigt: „Das ist voll mein Style!“ Als ich sie frage, ob sie ihren Style irgendwie benennen kann, wird sie nachdenklich: „Er geht in die Vintage Richtung, aber so ganz habe ich meinen persönlichen Stil noch nicht gefunden. Weißt du, der Style ist unglaublich wichtig. Er macht uns aus und zeigt uns, wo wir hingehören. Meist scanne ich eine Person kurz und weiß sofort, mit wem ich es zu tun habe und zu welcher Gruppe sie gehört.“ Lara erklärt, dass sie eigentlich nicht jedem Trend hinterherlaufen will und nur trägt, was ihr wirklich gefällt. Andererseits, gibt sie zu, wüsste sie nicht, ob sie die Schlaghosen tragen würde, wenn die gerade nicht total angesagt wären.

Dass Teenager sich über ihren Style definieren, war schon in meiner Jugend so. Auch wir wollten mit unserem Aussehen ein Statement setzen, uns abgrenzen und auf keinen Fall uncool wirken. In den Achtzigern waren wir Punker, Popper, Mods, Teds, Waver oder Gruftis (die schlecht gelaunte Variante der Waver, die auch gerne mal auf Friedhöfen rumhingen). Meist genügte wirklich ein einziger Blick auf sein Gegenüber, um zu erkennen, auf welche Musik sie oder er stand und in welchen Läden sie oder er am Wochenende anzutreffen war. Meine damals allerbeste Freundin verwandelte sich mit fünfzehn Jahren immer mehr in eine Waverin. In ihrem Kleiderschrank wurde es schwarz. Sie trug spitz zulaufende Schuhe mit auffälligen Schnallen oder Reißverschlüssen, färbte sich ihr Haar tiefschwarz, bearbeitete es mit einem Kreppeisen, hörte The Cure, Sisters of Mercy oder New Model Army und besuchte nur noch entsprechende Diskotheken, in denen entsprechende Musik gespielt wurde.

Wie die meisten meiner übrigen Freunde, war ich nicht einhundertprozentig einer Gruppe zuzuordnen. Aber Mode und Styling war uns allen ausgesprochen wichtig. Einige machten jeden modischen Trend mit, andere wiederum nicht. Das variierte je nach Geld und Elternhaus. Mit bestimmten Leuten gab man sich damals nicht ab. So rümpften wir bei Moonwashed Jeans oder Joggingklamotten die Nase, aber auch bei extrem spießigen Popper-Outfits.

Ich bin neugierig und will wissen, was für Lara heute No-Gos sind. Daraufhin zeigt sie mir ein paar TikTok-Videos, in denen sich Jugendliche über bestimmte Klamottenstile lustig machen. Besonders die Basic Bitchs bekommen dort ihr Fett weg. Lara sagt: „Der Basic Style ist voll cringe. Man muss schon aus der Masse rausstechen. Je extremer der Style, desto mehr fällt man auf. Jeder will ästhetisch sein und gleichzeitig cool. Aber man darf dabei auf keinen Fall albern wirken. Das wird sonst peinlich, wenn deine Stories mit den Worten Guck mal, wie die aussieht, die fühlt sich voll toll weitergeleitet werden.“

Ästhetisch und Basic – diese Wörter verwendet Lara wiederholt. Und dann erhalte ich von meiner Tochter eine Mini-Abhandlung über die wichtigsten Style-Richtungen:

Basic-Girls tragen Leggings oder Skinny Jeans, schwarze Lederjacken, Creolen-Ohrringe, T-Shirts mit draufgeklatschtem Markenlogo, UGGs. Diesen Style finde ich unkreativ, langweilig und irgendwie in der Zeit stehengeblieben.“

Es ist nicht das Skateboard, das ein Skater-Girl oder -Boy ausmacht, sondern die Baggy Jeans, die Baggy Mütze, Jungs tragen T-Shirt und Mädchen Crop-Tops oder weite Hoodies und jede Menge Ringe an den Fingern. Das ist richtig lässiger Street Style.“  

„E-Girls sind sowas wie die düstere Variante eines Skater-Girls. Die Mädchen tragen viel Schwarz und malen sich einen dramatischen, lang herausgezogenen Lidstrich auf die Augenlider. Und sie hören verstärkt Lil Peep (Der bereits verstorbene Sänger gilt als Kurt Cobain der neuen Generation). Sie schießen Instagram-Selfies mit geschlossenen Augen, herausgestreckter Zunge und ausgestreckten Mittelfingern. Das soll eine gewisse Ästhetik haben. Ich finde, die E-Girls sind eine Abwandlung der Emos oder Gothics aus den zweitausender Jahren. Auf TikTok, Snapchat und Instagram sieht man sie oft rauchend oder spät abends auf der Straße chillend abhängen.“

Ein Soft-Girl wählt niedliche Outfits mit karierten Röckchen, Rüschen-Tops oder Blusen, kombiniert mit Haarreifen und Täschchen, meistens in Pastelltönen. Sie sind die Girlie-Girls und kommen meist unschuldig und nett rüber.“

Parallelen zu meiner Generation kann ich durchaus erkennen. Dennoch glaube ich, dass wir die Jugendkultur in den Achtzigern und Neunzigern stärker zelebrierten und die diversen Musikrichtungen dabei wesentlich größere Rollen spielten als heute. Vorbilder waren in erster Linie Sänger*innen und Bands. Wie man deren Look nachahmte, recherchierte man in Jugend- und Musikzeitschriften, wie der BRAVO. Heute schöpfen die Jugendlichen aus dem Vollen und holen sich ihre Inspiration aus dem Internet und auf den sozialen Medien. Die Trends und Stars sind durch das Überangebot schnelllebiger und austauschbarer geworden.

Idol der achtziger Jahre: Robert Smith, Sänger von The Cure, legt Make-up auf. Sein Look wurde von den Fans oft kopiert. © picture alliance / empics | Duncan Raban

Lara bezeichnet Pinterest als das Google der Jugend. „Man sucht nach einem bestimmten Style und lässt sich dann inspirieren. Was mir gefällt, merke ich mir in meiner Rubrik Outfit. Leider fehlt mir das Budget, um meinen Kleiderschrank regelmäßig zu erweitern“, sagt sie vorwurfsvoll. Lara muss einen Teil ihrer Kleidung (den Teil, den ich für unnötig halte) selbst bezahlen. „Und ich bin nie ganz zufrieden. Man kauft sich eine neue coole Hose, und ein paar Wochen später gehst du auf eine Party, und zehn andere Mädchen laufen auch damit rum. Also ist die Hose schon wieder voll basic, also out und durchschnittlich, und man kann sie nicht mehr anziehen. Meine Freundin Gina jammert, dass sie ihre geliebten Skinny Jeans nicht mehr anziehen kann, weil die nicht mehr in sind. Und nun verstauben sie in ihrem Schrank. Eigentlich schon doof.“

Ich schlage vor, dass Gina ihre Jeans aufbewahrt, da jeder Mode-Trend irgendwann ein Revival erfährt. Man muss nur lange genug warten, mit viel Glück nicht einmal dreißig Jahre … Hätte ich mal die alte Pocket-Kamera und meine Marlene-Jeans aus den Neunzigern für Lara aufgehoben.