Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Corona in the house

Sich regelmässig auf Corona zu testen, gehört für Kinder und Jugendliche inzwischen wie Zähneputzen zu ihrem Alltag – blöd nur, wenn er dann wirklich positiv ausfällt.

Jetzt hat es uns also auch erwischt. Corona is in the house.  Nach einem anstrengenden Wochenende, an dem Lara viel unterwegs war, klagt sie über Hals- und Kopfschmerzen. Sie holt sich einen Schnelltest aus der Küche und legt sich zurück ins Bett. „Gestern war dein Corona-Test negativ. Man kann sich ja auch so mal eine Erkältung holen“, sage ich zuversichtlich. Zehn Minuten später schickt sie mir eine WhatsApp. „Ich bin positiv, Mama.“

Super, denke ich, war ja abzusehen bei den aktuell hohen Inzidenzwerten. Die Jugendlichen wollen ihr Leben zurück. Sich treffen. Etwas unternehmen. Spaß haben. Sich verlieben. Erfahrungen sammeln. Das funktioniert nicht mit Abstand und Vermeidung von Körperkontakt.

Meine Tochter hat die Pandemie in den letzten zwei Jahren verantwortungsbewusst mitgetragen. Ihre Freunde und sie haben das Beste aus der Situation gemacht. Wenn ich so darüber nachdenke, wie meine Jugend ausgesehen hat, möchte ich mit Laras Generation definitiv nicht tauschen. Spazierengehen oder viel Zeit zu Hause verbringen: Das geht gut, wenn man über vierzig ist und einen Partner an seiner Seite weiß. Der junge Mensch aber, für den Erfahrungen und soziale Kontakte immens wichtig sind, kann sich nicht weitere zwei Jahre mit Spaziergängen, Netflix-Serien und Computerzocken über Wasser halten. Zumindest empfinde ich das als extrem ungesund. Irgendwann ist die soziale Vereinsamung programmiert.   

Nun kamen endlich die ersehnten Lockerungen der Corona-Maßnahmen. „Wurde auch Zeit. Mensch, wir haben uns die letzten zwei Jahre genug eingeschränkt. Jetzt ist echt mal gut“, kommentierte Lara die Nachrichten. Es darf wieder mit offizieller Erlaubnis gefeiert werden. Auch wenn der ein oder andere darüber die Nase rümpfen mag („In der heutigen Zeit, wo Europa gerade Kopf steht und wir immer noch in der Pandemie stecken...“): Ich finde es verständlich, dass junge Menschen ausnutzen, was geht. Und wenn der Magen vorher lange geknurrt hat, neigt man eventuell dazu, sich erst einmal zu überfressen.

Karneval hielt Lara sich zurück. „Ich habe keine Lust, mir wegen Karneval Corona zu holen. So toll ist es nicht, auf der Straße irgendwo mit Bierflasche in der Hand blöd rumzustehen und nirgendwo rein zu dürfen.“ Die Feiermöglichkeiten waren ihr Ende Februar noch zu unattraktiv. Das Angebot für die unter 18-jährigen war schon vor der Pandemie sehr dünn. Discothekensterben und immer strengere Auflagen haben dazu geführt, dass Minderjährige in den letzten Jahren auf öffentliche Plätze ausgewichen sind. Rumstehen. Abhängen. Trinken. Ohne Musik und Disco-Atmosphäre. Da lobe ich mir die guten alten Achtziger-, Neunzigerjahre, als man mit sechzehn noch die große Auswahl genoss.

„Ich warte, bis Anfang März die Clubs wieder öffnen und ich achtzehn bin. Darauf freue ich mich total. Ich will Clubfeeling. Ich will endlich bei guter Musik tanzen und Spaß haben.“ Das hat sie dann auch getan.

Inzwischen haben so einige Jugendliche aus dem Umfeld meiner Töchter eine Corona-Infektion hinter sich oder sind aktuell infiziert. Die erste große Welle ging nach Karneval los. Der Großteil der Jugendlichen war geimpft, in Laras Altersgruppe so gut wie alle dreifach. Wo ist da der Ausgang aus der Pandemie? Wo ist da der Sinn, sich weiterhin einzuschränken, fragen sich die jungen Leute, die meistens nur von mehr oder weniger heftigen, grippeähnlichen Symptomen geplagt werden? Die Coronainfektion ist für sie kein Gespenst mehr, vor dem sie sich fürchten. Langzeitfolgen? Graue Theorie. Sie haben die letzten zwei Jahre ihren solidarischen Beitrag geleistet: Sie blieben zu Hause, ließen sich für die ältere Generation impfen, müssen nun mit Bildungsnachteilen leben, verzichteten auf Partys, auf Reisen und die in dem Alter so wichtigen sozialen Offline-Kontakte.

Als Maya von der Schule kommt, macht sie ebenfalls einen Schnelltest. In ihrer Klasse sind mehrere Klassenkameraden aktuell infiziert. „Alles super. Da ist nichts“, sage ich nach zehn Minuten und will den Test schon in den Müll befördern. Maya hält mich zurück: „Guck doch mal, da ist doch eine zweite Linie.“ Ich weiß nicht, ob es an meinen schlechten Augen liegt oder an dem komischen Papptest, aber ich kann einen zweiten Strich nur mit viel Phantasie erahnen. Also fahre ich mit Maya zur Teststation. Eine halbe Stunde später die Bestätigung: Sie ist tatsächlich ebenfalls positiv. Ich lade beide Mädchen auf meine Autorückbank und wir fahren mit offenen Fenstern und FFP2-Masken zum PCR-Test, damit wir unseren Fall offiziell melden und alles seine Wege gehen kann.   

Ich hatte engen Kontakt zu beiden Mädchen, besonders zu Maya. Lara, ja, die macht schon eher ihr Ding. An manchen Tagen begegnen wir uns nur zwischen Tür und Angel in der Küche, weil sie lange Schule hat oder unterwegs ist. Aber am vergangenen Wochenende hat auch sie mich fest gedrückt und geküsst. War sie da schon ansteckend? Hat der Moment für eine Übertragung ausgereicht?

Am nächsten Morgen kann ich die PCR-Testergebnisse im Internet abrufen. Maya hat einen CT-Wert von 34,5. Ich googele, was das bedeutet: Je höher der CT-Wert, desto niedriger die Viruskonzentration. CT-Werte über 30 weisen niedrige und CT-Werte über 35 auf eine sehr niedrige Viruskonzentration hin und somit ist die Ansteckungsgefahr, die von Maya ausgeht, wahrscheinlich sehr gering – zumindest in diesem Moment. Es passt zu ihren (kaum vorhandenen) Symptomen. „Naja, ich habe ein bisschen Halsschmerzen“, sagt sie. Laras Wert liegt bei knapp 20 – also recht niedrig, somit scheint sie sehr infektiös zu sein. Beide Mädchen sind dreifach geimpft. Maya ist vierzehn, und ihre Booster-Impfung liegt erst ein paar Wochen zurück.

Mein Mann und ich, wir testen uns nun täglich und sagen unsere Termine ab. Wir sind geboostert und müssten eigentlich nicht in Quarantäne. Maya und Lara wissen sich die nächsten Tage zu beschäftigen. Maya malt und sitzt bei schönem Wetter auf dem Balkon. Lara hört Hörbücher und mistet ihre Schränke aus.

Das Gesundheitsamt verfügt bei den hohen Inzidenzwerten über keine Kapazitäten mehr für eine genaue Nachverfolgung. Es bittet die positiv Getesteten auf den Internetseiten der Stadt, sich eigenständig in Quarantäne zu begeben und die engsten Kontaktpersonen der letzten zwei Tage zu informieren.

In ein paar Tagen wird der Spuk (fürs Erste) vorbei sein. Mein Mann und ich, wir sind bisher um eine Infektion herumgekommen. Unsere anfängliche Hoffnung, dass die Impfung dauerhaft immunisiert, hat sich nicht erfüllt. Sie hilft nicht gegen Ansteckung. Aber dass der Verlauf dadurch deutlich milder verläuft, gibt mir ein gutes Gefühl.

Niemand weiß genau, wie es mit der Pandemie letztendlich weitergeht, wie oft wir uns noch boostern lassen müssen und wie viele Varianten noch auftauchen werden. Man vermutet, man untersucht, man erwartet … Wahrscheinlich ist es jetzt wirklich an der Zeit, mit dem Virus zu leben. Es wird immer sensible Personenkreise geben, die man vor Krankheiten schützen muss – nicht nur vor Covid-19. Personengruppen, für die auch eine Grippe oder ein Magen-Darm-Virus lebensbedrohlich sein können. Und wer als älterer Mensch über 50 immer noch meint, er müsste sich nicht impfen lassen, dem ist nicht mehr zu helfen.

Aber man kann nicht weiterhin einer ganzen Generation das Recht auf die prägendsten und wichtigsten Jahre ihres Lebens nehmen. Out of the house – back to life.