Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Und wo stehen die anderen Eltern politisch?

Kürzlich war Amir, Sohn Nummer 1, bei Max zum Spielen verabredet. Nichts Spektakuläres: Am Freitag nach der Schule gemeinsam Essen, Hausis machen, Zocken und Rausgehen. Und weil es eine Verabredung am Freitag ist, wollte Nummer 1 bei Max übernachten. Übernachten! Ich höre das Wort und bin in Hab-Acht-Stellung.  Ganz subtil frage ich ihn aus, wer denn nun Max sei. Wo er wohne, was seine Eltern machen, ob er Haustiere hat, Geschwister?

An meiner Fragetechnik muss ich offenbar noch arbeiten, denn die Blicke meines Mannes verheißen nichts Gutes. Er fragt mich, seit wann ich bei der Polizei arbeite und woher unser Sohn das alles wissen solle. Bevor mein Mann sein übliches „kein Problem“ an unseren Erstgeborenen richten kann, reiche ich Amir eine Limo und sage, dass ich das mit seinem Vater besprechen werde.

Ich versuche Zeit zu gewinnen, schneide noch eine Zitrone, presse sie mit der Hand aus und bereite gedankenverloren in unserem Hipster-Getränkespender fünf Liter Limonade zu. „Also, was willst du besprechen?“, werde ich von meinem Mann aus meinen Gedanken gerissen. „Wir kennen die Eltern von Max nicht“, fange ich an und versuche meine – absolut emotional begründete und wenig handfest belegbare – Argumentationskette souverän aufzubauen. Dann haue ich doch recht hilflos raus: „Ich weiß nicht, wo die politisch stehen, ich weiß nicht, wie die zu unserem Kind sein werden, ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn er dort übernachtet.

Puh. Ich hatte es ausgespuckt. Ich fühle mich gut und elend.

„Was bin ich nur für ein Schisser?!“, denke ich und gleichzeitig frisst mich das Unbehagen auf, dass ich nicht weiß, in wessen Hände ich meinen Sohn gebe. Ich verziehe mein Gesicht, als ich die Limonade probiere, schüttle mich und versuche sowohl mit der Säure, als auch mit meinen Ängsten klar zu kommen.

„Hm“, eröffnet mein Mann seine Antwort. Mich macht seine Lässigkeit jetzt schon wahnsinnig, und ich halte mich an meinem Glas fest. „Also soweit ich weiß, wird unser Sohn mit Max spielen und sehr wenig mit den Eltern zu tun haben. Mir ist schnuppe, was sie beruflich machen und ich gehe einfach davon aus, dass sie keine AFD- oder NPD-Wähler sind, wenn ihr Kind mit unserem cool ist. Also wegen mir kann er dort übernachten.“

„Was weißt du denn schon?“, denke ich und erinnere mich an vergangene Verabredungen unseres Kindes. Er hatte bei der Familie eines Kindergartenfreundes übernachtet und war mit ihnen an den See gefahren. Dort hatte ihn ein fremdes Kind mit dem N-Wort beschimpft. Bei einer anderen Verabredung im Freibad wurde unser Kind gefragt, ob er adoptiert sei. Beide Male war ich es, die mit Amir abends im Bett lag und diesen Müll als solchen identifiziert habe.

Ich fühle mich wie früher im Physikunterricht. Da war ich eine hoffnungslose Niete und wenn ich irgendwas erklären sollte, war ich lost. Und stumm. Und sauer, weil ich selbst das bisschen was ich verstanden hatte, nicht in verständlichen Worten wiedergeben konnte. Wie erkläre ich Basti, also meinem Mann, dass es mir noch unmöglich ist, nicht zu wissen, bei wem unser Kind ist. Dass unser Sohn mit anderen Dingen konfrontiert ist, als er es selbst war. „Also?“, drängt Basti. Ich gieße mir mehr Limonade ein, tropfe Agavendicksaft hinein. Ich rühre in dem Glas herum und probiere mit dem Löffel. Bäh. Viel zu süß.

Ich schaffe es nicht, diesmal nicht. Ich schweife von meiner echten Angst ab und probiere es mit einem seichten Argument:

 „Das hast du das letzte Mal auch alles so gesagt. Von wegen alles unwichtig und so. Dann hat Amir bei Toni übernachtet und die Jungs haben stundenlang gezockt, sich abends mit Chips und Cola vor Netflix gesetzt und morgens genauso weiter gemacht! Und soweit ich weiß, waren die Eltern einen Großteil des Abends gar nicht da.“ Meine Worte überschlagen sich. Nix mit souverän und cool in der Gesprächsführung. Nicht mal eine Annäherung an mein echtes Problem. Mein Mann setzt sein Glas ab, schaut mich an und fragt, souverän und cool: „Und hat dieser eine Abend unserem Sohn geschadet?“

„Logo!“, denke ich und beziehe die Antwort natürlich auf Amirs Erlebnisse am See und im Freibad. Aber so ist das nun mal. Fuck. Ich kann so etwas nicht verhindern und schließlich ist er, sind wir, Teil der Gesellschaft.

Als junge Erwachsene hatte ich mir vorgenommen, dass meine Kinder bei all ihren Freunden übernachten dürften. Sie sollten frei sein und mit ihren Freunden agieren können, wie sie wollten. Die Fehler meiner Elterngeneration aus meinem Kulturkreis wollte ich nicht wiederholen.

Als ich ein Kind war, waren die einzigen Familien, bei denen ich übernachten durfte, die Freunde meiner Eltern, die wir schon aus dem Flüchtlingsheim kannten. Ich durfte weder bei Ariane in dem großen Einfamilienhaus übernachten (ihre Eltern hatten zwei Hunde) noch bei Nicole (sie hatte zwei ältere Brüder) noch bei Melanie (ihr Vater hatte meine Mutter beim Elternabend mal komisch angeguckt und sie fand, er roch nach Alkohol).

Ich fand das fies, schrecklich, Punkt um: zum Kotzen. Dafür konnte ich bei Nabila, Dunja oder Meryem das ganze Wochenende bleiben oder sie bei mir. Miteinander durften wir fast alles, was die anderen durften. Aber eben nur miteinander. Safe Spaces, denke ich rückblickend und kann nur ahnen was in meinen Eltern vor sich ging. Sie, die gerade einem Krieg entkommen waren, die dankbar waren, in einem so reichen und schönen Land aufgenommen worden zu sein. Die sich in einer völlig neuen Kultur einleben mussten und eben auch Angst um mich hatten, weil ihnen so vieles so fremd war.

Am darauffolgenden Samstag kommt Nummer 1 von seiner Verabredung nach Hause. „War cool bei Max“, ruft er beim Reinkommen, schmeißt seinen Rucksack an die Garderobe und verschwindet im Kinderzimmer.