Freiburg, Aachen oder Bonn – wo lohnt sich das Studium kulinarisch gesehen am meisten? Unser Gastrokritiker Jürgen Dollase bewertet dreizehn Mensa-Teller im Vergleich.
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Im Test: Die Mensa der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Königsberger Klopse
Ein klassisches Gericht mit Klopsen, Kartoffeln und viel Sauce. Die Fleischbällchen-Masse ist egalisiert wie eine Leberwurst und schmeckt industriell, erinnert also an Klopse aus der Dose. Wegen der typisch würzigen Kapernsauce bleibt das Gesamtbild trotzdem einigermaßen klassisch.
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Wildlachsfilet mit Krabben und Dillsauce
Der Fisch ist völlig übergart und hart wie ein Brett. Alles, was Wildlachs an Positivem haben könnte, ist beseitigt, der Fisch schmeckt trocken und unspezifisch. Die stark dill-lastige Sauce würde bei einer besseren Garung ohnehin alles übertünchen. Die angekündigten Krabben fehlen. Das Gericht ist völlig misslungen und sollte so nirgendwo angeboten werden.
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Tortellini mit Napolisauce
Auch die beliebte Pasta wird hier in einer kaum noch zu unterbietenden Qualität angeboten und erinnert ebenfalls an schwache Industrieware. Dazu gehört eine künstlich schmeckende, undefinierbare Füllung und eine Sauce ohne jede gemüsige Frische.
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Hauptmensa der Universität Essen
Schweinerückenschnitzel
Ein akzeptables Schnitzel, das nicht nur recht zart ist, sondern auch einen klaren, angenehmen Geschmack hat. Die Sauce dazu ist eher mild, so dass sich der Geschmack des Hauptproduktes problemlos entwickeln kann. Auch die Kartoffeln sind nicht schlecht – was auffällt, weil sie in den Großküchen oft sehr stiefmütterlich behandelt werden.
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Kichererbsen-Curry mit Spinat im Vollkornreisrand
Ein Mix aus u.a. leicht al dente gehaltenen Kichererbsen, Rosinen und Spinat, der wegen der recht gut erhaltenen Texturen ein abwechslungsreiches Geschmacksbild erzeugt, wie man es in Großküchen bei den vielen Ragouts und Mischgerichten eher selten findet. Selbst der Reis hat etwas Geschmack.
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Schollenfilet mit Lauchsauce und Petersilienkartoffeln
Die empfindliche Scholle schmeckt zwar im Kern nicht schlecht, löst sich aber – auch wegen einer matschigen Mehlkruste – schnell auf. Es bleibt ein undifferenziertes, nur sehr entfernt nach Fisch schmeckendes Gesamtbild, das dem Hauptprodukt nicht gerecht wird. Wieder einmal hat sich eine Großküche beim Fisch verhoben. So etwas macht wenig Sinn, auch wenn es irgendwie problemlos zu essen ist.
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Mensa Nassestraße der Uni Bonn
Kalbsgeschnetzeltes Zürcher Art mit Spätzle
Dieses Kalbsgeschnetzelte ist eines dieser unsäglichen Gerichte, bei denen sich Großküchen bei der Nachahmung von bürgerlicher Küche zu viel zumuten. Ob es sich um Kalb oder überhaupt um Fleisch handelt, kann man kaum feststellen. Auch die Pilze sind zur Unkenntlichkeit gebracht, und die Sauce schmeckt wie weiland das, was schon Franz Beckenbauer in seinem uralten Knorr-Werbespot einmal „richtig schön kräftig“ nannte, also künstlich.
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Fruchtige Hühnchenpfanne mit Reis
Es ist erstaunlich, dass man in Bonn für solche typischen Mischgerichte ein besseres Händchen hat als für Klassiker der Küche. Das Fleisch ist zwar etwas trocken und das Gesamtbild etwas diffus-fruchtig, hat dafür aber einen Hauch von Originalität, der Aufmerksamkeit schafft.
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Möhren-Kartoffel-Kokos-Curry mit Vollkornreis
Auch hier geht es etwas origineller zu, weil man die bunte Palette von Zutaten noch wahrnimmt und sich deshalb immer neue Akkorde bilden. Es scheint also möglich zu sein, mit einer verbesserten sensorischen Struktur auch solche – ein wenig willkürlich wirkenden – Zusammenstellungen in eine einigermaßen akzeptable Form zu bringen.
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Mensa Academica der RWTH Aachen
Rinderroulade mit Speckfüllung, Kartoffelpüree und Bohnengemüse
Eine Rinderroulade, die mit einem Mix aus Fleisch, Speck und Gurken gefüllt ist und angenehm klassisch schmeckt – wie in einem Restaurant mit bürgerlicher Küche. Es gibt
keine Überwürzung und keine künstlich schmeckende Sauce, dafür aber sogar al dente gehaltene Bohnen. Eines der besten Mensa-Gerichte bisher.
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Hirtenkäse mit Blattspinat im Blätterteig
Ein echter Kontrapunkt zu der guten Roulade. Der Blätterteig verträgt keine Feuchtigkeit und matscht, und die Käsefüllung ist so salzig, dass man meint, in Salz zu beißen. Die an Pommes frites erinnernden Kartoffelstäbchen dazu sind ebenfalls unerfreulich. Wieder einmal wollte man in der Küche mehr, als man kann – und als sinnvoll ist. Kaum genießbar.
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Mensa Rempartstraße der Uni Freiburg
Omelett mit Tomate und Käse überbacken, Broccoli-Gemüse und Rosmarinkartoffeln
Das gut gegarte Omelett hat obenauf etwas Tomate und eine dezente, nicht besonders intensiv überbackene Käsekruste. Der Geschmack ist im Prinzip nicht schlecht und erinnert an Pizza und Italien, könnte aber präsenter ausgearbeitet sein. Kartoffeln und Broccoli wirken wie eine Sättigungsbeilage, die mit dem Omelett nichts zu tun hat.
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Putenpfanne mit Aprikosen, Chinakohl und Cashewnüssen
Das Gericht klingt wesentlich interessanter, als es schmeckt. Tatsächlich bekommt man einen unansehnlichen Mix aus diversen Elementen, bei denen die winzigen Putenstückchen quasi nicht identifizierbar und zum reinen Kaumaterial degradiert sind. Das Gericht wirkt wie eine der vielen Großküchen-Verlegenheitsessen, bei denen ein paar Sachen sinnlos zusammengeworfen werden. Anti-Küche.
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Interview mit Jürgen Dollase
“Der Fisch ging gar nicht”
F.A.Z. Herr Dollase, Sie haben in den letzten Monaten fast ein Dutzend deutsche Mensen besucht, zu einigen davon haben Sie an dieser Stelle bei „Dollase vs. Mensa“ bereits eine Video-Kritik abgegeben. Lohnt sich das Studium aus kulinarischer Sicht? Mensa-Essen wird ja ordentlich subventioniert.
Jürgen Dollase: Das lohnt sich überhaupt nicht. Mensa-Essen geht an der aktuellen kulinarischen Entwicklung total vorbei. Es ist so, als komme das Essen aus einem historischen Pool einiger weniger Rezeptideen und bedürfe dringend einer Erfrischung.
Ist hinter der Eintönigkeit ein System erkennbar?
Es gibt eigentlich nur zwei große Achsen. Zum einen den Versuch, bürgerliche Küche nachzuahmen, zum anderen eine Form von Mischmasch, der meist irgendwie modern sein soll.
Die berühmten Ragouts.
Ja, diese Ragouts vom Geschnetzelten bis zu veganen Versionen, bei denen Zutaten in der Hoffnung zusammengeworfen werden, dass sie noch irgendwie als Curry durchgehen. Das alles wirkt wie eine Verlegenheitslösung.
Was ging gar nicht?
Der Fisch war überall schlecht – ein kaum zu lösendes Problem für Großküchen.
Was war ein Highlight?
Die Rinderroulade aus Aachen und den rheinischen Sauerbraten aus Köln fand ich recht gut. Da waren Leute am Werk, die wissen, wie man traditionelle Gerichte unter Großküchenbedingungen ordentlich hinbekommt. Wenn man die vergleichsweise aufwendige Rinderroulade mit so manchem Mischgericht vergleicht, muss man sagen: Da liegen vom Engagement der Küche her Welten dazwischen.
Wäre es nicht vernünftig, wenn Großküchen grundsätzlich auf bestimmte Produkte verzichteten: Fisch, Nudeln, Salzkartoffeln, Spargel und Ähnliches?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt schwierige Produkte, aber man würde es sich zu einfach machen, wenn man sagte, lassen wir den Fisch mal ganz weg. Großen Caterern gelingt es ja auch.
Sie empfehlen immer wieder die Frikadelle.
Naja, es gibt nun mal Gerichte, die sind vergleichsweise todsicher. Ob ein Schmorgericht gerade fertig geworden oder vier, fünf Stunden alt ist, merkt man nicht. Der Geschmack kann sich sogar beim Durchziehen noch verbessern. Merkwürdigerweise habe ich bisher außer der Roulade kein einziges vernünftiges Schmorgericht aus einer Mensa getestet.
Sollten sich die Großküchen stärker mit Fleischersatz beschäftigen?
Ich sehe es als ein ethisches Problem an, wenn Tiere getötet werden, ohne dass das Fleisch anschließend so zubereitet würde, dass man es als Naturprodukt würdigen kann. Für Hamburger und Würste, die anschließend noch mit sehr viel Würze traktiert werden, kann man auch Fleischersatz verwenden. Achtung vor der Natur darf auch in einer Großküche eine Rolle spielen.
In den Leserkommentaren zu Ihren Videos finden sich häufig zwei Gegenargumente. Das eine lautet: Die von Ihnen geforderten kleineren, aber hochwertigeren Portionen seien nicht mit dem Studentenalltag vereinbar, in dem mindestens einmal am Tag eine vorhaltende Sättigung stattfinden müsse.
Ich finde, dass gerade an Universitäten, wo wir es nicht mit Kranken oder Pflegebedürftigen zu tun haben, ein Paradigmenwechsel stattfinden sollte. Wir sollten den Aspekt Nahrhaftigkeit herunterfahren und den der Sensibilisierung nach oben.
Das andere Argument lautet: Mensa-Essen nach Ihren Vorgaben werde zu teuer für viele Studenten.
Das käme wirklich auf den Versuch an. Die Teller, die wir bis jetzt gesehen haben, zeichneten sich immer wieder durch einen unnützen Aufwand aus, zum Beispiel bei den Sättigungsbeilagen. Diese Produktkosten und die damit verbundene Arbeitszeit könnte man einsparen. Sie glauben nicht, was man mit 50 Cent alles anstellen könnte.
Muss die Mensa-Küche einfach nur besser werden – oder einen gänzlich anderen Weg einschlagen?
Beides. Auf der einen Seite gibt es viel zu viele Fehler, die man leicht korrigieren könnte. Ich glaube aber, dass wir hier eine ganz neue Küche brauchen. Die Nachahmung bürgerlicher Küche ist eine Sackgasse. So haben wir in hundert Jahren immer noch das gleiche, unbefriedigende Essen. Es muss ein zeitgemäßer Weg gefunden werden, der etwas mehr mit „Bio“ und Ökologie zu tun haben darf. Es darf auch berücksichtigt werden, dass hier die Elite der Nation versorgt wird, die auch im kulinarischen Bereich einen gewissen Stand der Kunst mitbekommen sollte.
In einem der Videos fordern Sie eine Textur-Bar in Mensen. Was ist das genau?
Dem liegt die Überlegung zugrunde, eine Großküchenvorbereitung mit einer Individualisierung durch den Gast zu kombinieren. Wir hatten da kürzlich ein Omelett mit Tomaten, gratiniert mit Käse. Das Ergebnis war ein einziger Matsch mit einem Mischgeschmack. Wenn wir dieses Spektrum erweitern und es vielleicht mit frischen Kirsch-Tomaten, Käsespänen oder auch einem rohen Tomatenpüree nachträglich anreichern, hat man gleich ein anderes Gericht mit verschiedenen klaren Satellitenaromen.
Viele Mensen, bei denen wir in der Planungsphase von „Dollase vs. Mensa“ angefragt hatten, haben uns keinen Zutritt für Dreharbeiten gewährt, aus welchen Gründen auch immer. Die Mensa der Städelschule in Frankfurt hat den Bann jetzt gebrochen, das entsprechende Video wird in Kürze ausgestrahlt. Sie aber suchen auch die Auseinandersetzung mit Massen-Mensen.
Mein Hauptinteresse bei dieser Serie lag nicht darin, jetzt auch mal einfache Küche zu analysieren, sondern darin, zu versuchen, per Kritik, die in Großküchen üblicherweise kaum stattfindet, eine Verbesserung anzuregen, die das Mensa-Essen in einen neuen Fokus rückt. Man sollte sich konstruktiv zusammensetzen und überlegen, was möglich ist. Ich bin für jedes Gespräch komplett offen und werde die Preise und die möglichen Produkte natürlich im Auge behalten. Und eine Sache ist noch ganz wichtig: Die Akzeptanz durch die Studenten. Junge Leute sind, was das Essen angeht, nicht per se aufgeschlossen, sondern manchmal ganz schrecklich alt. Andererseits glaube ich, dass gerade im vegetarischen und veganen Bereich eine Öffnung stattgefunden hat, die gerade von den Jüngeren her kam. Da ist eine Tür geöffnet worden, die man nutzen könnte.
Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus.
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Ein Weg für Sättigungsbeilagen wäre es seperat anzubieten, da kann sich jeder nehmen was er will. Die andere Sache ist, wie Herr Dollase schon ansprach, es wird zu wenig Aufmerksamkeit dieser Gerichte seitens der Küchen gewidmet. “Mach mer schnell warm und raus damit”. Aber man könnte dies natürlich auch mit wenig Mitteln und Zeit aufpeppen. Da fehlt es mal wieder an mancher Fachkompetenz bzw Führungskraft.
Übrigens diese Bewertung ist Ihnen sehr gut gelungen, Informativ mit Biss und Witz. Bin auf denn “Live”Bericht gespannt!
Tipp
Ich sag nur eins: Grill und Thementheke der Universität Konstanz!
Saettigungsbeilagen weglassen?!
Vielleicht sind die Ansprueche von Koechen und Studenten einfach nicht vereinbar, aber meine Forderung an Mensen ist das genaue Gegenteil – die Menge der Saettigungsbeilage, also Kartoffeln, Reis usw sollte generell eher hoch als runter gefahren werden – zumindest auf Anfrage sollte man satt werden koennen.
Ich als Student habe jedenfalls weder das Geld 2-3 Portionen zu kaufen um satt zu werden, oder jeden Tag selbst zu kochen. Wenn ich keine Chance habe satt zu werden, kann ich mir das Mittagessen auch direkt sparen und nen belegtes Brot von zu Hause mitbringen.
Vielleicht stimmen meine Ansprueche an ein Mensagericht (macht satt, abwechslungsreich, halbwegs gesund, schmeckt mindestens annehmbar) einfach nicht mit den ihren ueberein, aber die Forderung hochwertiger, dafuer weniger kann ich einfach ueberhaupt nicht unterschreiben.
Den Teil sich ueber die Auswahl der Gerichte Gedanken zu machen, kann ich allerdings unterschreiben – es gibt doch leider wohl ueberall einige Gerichte, auf die man eher verzichten koennte, oder durch leichte Anpassungen massiv verbessern koennte. Da ist auf jeden Fall noch etwas moeglich.
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Lieber Martin R.,
Sättigungsbeilage und Sättigungsbeilage sind zwei paar Schuhe. Die Kritik galt zuerst einmal der völlig uninspirierten, faden, unschönen Beilage, die nur füllt und sonst keine Bedeutung hat. Die Kritik daran verweist auf den ersten Zweig möglicher Verbesserungen, nämlich die Vermeidung von Fehlern und ein höheres Engagement bei der Zubereitung.
Andererseits kann und sollte die Entwicklung auch im Messbereich in Richtung eines veränderten Ess- und Genußverständnisses gehen, das nicht nur Automatismen bedient, sondern ein wenig mehr mitten in der Gesellschaft steht. Dazu gehört mehr Sensibilität, ein Essen, das dazu paßt und wesentlich mehr als heute üblich geschmacklich interessant ist. Alle Erfahrungen in dieser Richtung sind so, daß das bewusstere Essen (so es sich denn lohnt) die Menge reduziert und durchaus nicht automatisch zu schnell wiederkehrendem Hunger führt. Ein solcher kulinarischer Paradigmenwechsel wäre eigentlich an Hochschulen gut aufgehoben, weil dort die Leute studieren, die später verantwortliche Posten innehaben werden. – Wie dem auch sei: man wird sehen, wie sich die Sache weiter entwickelt. Vielleicht finden wir Vorbilder (die Rückmeldungen deuten das an), vielleicht gelingt es ja auch irgendwo, neue Ideen zu realisieren.