Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Die Stockbrot-Experience: Campen ist die beste Familientherapie

| 5 Lesermeinungen

© Picture AllianceBeim Camping gibt es keine Türen – das belebt die Familiendynamik ungemein.

Wohin sollte unser erster Kurztrip im Camping-Bus führen? Nach Bayern oder an die Ostsee? Nach Österreich oder – genau, in die Uckermark. Zugegeben, wir standen den angepriesenen Fähigkeiten unseres Zaubermobils noch skeptisch gegenüber und hatten schließlich 15 Jahre Zelterfahrung in den kalten Knochen. Also lieber mal nichts übertreiben, auf einem Campingplatz an einem schönen See, nur eine gute Stunde nördlich von Berlin, Freitag hin, Sonntag zurück, Exit-Strategie inklusive.

Dabei war der VW-Bus uns jetzt schon ans Herz gewachsen, und die Kinder wollten schon in der ersten Nacht, als wir damit zurück nach Berlin gekommen waren, darin schlafen. Im März. Auf einem Parkplatz im Prenzlauer Berg. Das war ihnen gerade noch auszureden, doch jetzt, im Mai, ist es für sie wirklich höchste Zeit, in die Saison zu starten. Beide Kinder erzählen von diesem Fahrzeug und haben es mehrfach gezeichnet. Durchaus verständlich: Wenn man so einen Bus einmal durch Kinderaugen betrachtet, dann ist er eine ausgepolsterte Erlebniswelt auf zwei Etagen. Unten kann man die Rückbank wahlweise zum Bett oder zur einer 45-Grad-Rutsche umklappen, im Kofferraum können sie sich hinter einer Klappe in einer Geheimkammer verstecken, die vorderen Sitze sind drehbar wie ein Spielplatz-Karussell und überall sind kleine Knöpfe, die entweder Lampen oder Musik oder die Heizung aktivieren. Über eine Luke im Dach können sie nach oben klettern, sich dort in Schlafsäcken verkriechen und, wenn sie einen Reißverschluss öffnen, von oben durch ein halbrundes Fenster die Welt beobachten. Ja, ich stimme den beiden zu: Es ist wirklich höchste Zeit aufzubrechen.

Campingbus mit Hochdach – gezeichnet von einem Siebenjährigen.

Ich muss gestehen, dass ich seit Jahren folgendes Bild im Kopf habe: Ich stehe an einem heißen Freitagmittag mit einem vollgepackten Bus vor der Grundschule, aus dem Autoradio läuft „Sun is shining“ von Bob Marley, die Kinder springen mir entgegen – und eine Stunde später sind wir am Ufer eines kühlen Sees und verbringen dort ein unbeschwertes Wochenende. Und nun muss ich sagen: Der Realitätsabgleich fällt gar nicht so schlecht aus. Gut, es ist leicht bewölkt und ich muss erst zur Kita fahren, dort Ludovika beinahe vom Spielplatz zerren, weil sie sich von ihren Freundinnen nicht trennen mag, dann muss ich mit der lamentierenden Tochter durch den zähfließenden Stadtverkehr zur Schule, suche dort 15 Minuten nach Johann, der sich irgendwo auf dem Sportplatz versteckt, und später stehen wir auf der Stadtautobahn im Stau. Im Radio läuft „Ich hab ne Tante in Marokko“. Aber dennoch: Am Nachmittag sind wir auf dem Campingplatz an einem See in der Uckermark. Die Sonne hat sich durchgesetzt, und wir springen alle zusammen mit Anlauf vom Steg ins Wasser.

Campingbus mit Hochdach – gezeichnet von einer Fünfjährigen.

Fast alle Großstadtfamilien haben früher oder später das Bedürfnis nach Natur, nach dem Duft des Waldes, morschem Holz, überreifen Pilzen, frisch gemähtem Gras, nach einem kühlen Morgen und Frühnebel, der zäh über einem See hängt, nach dem Glucksen, Rascheln und Quaken der unsichtbaren Tiere in einem Schilfgürtel, nach Eidechsen, die sich auf dunklen Steinen in der Sonne wärmen, nach Kleidungsstücken, die nach einem Lagerfeuer noch tagelang nach Rauch riechen, nach salzverkrusteter Haut und dreckverschmierten Füßchen – und nach feinem Sand, der, wenn man längst wieder zurück in der Zivilisation ist, aus Reisetaschen, Kinderschuhen und Buchseiten heraus rieselt. Und deswegen befinden sich Großstadtfamilien auf einer unentwegten Suche: nach Ferienhäusern oder Gartenparzellen, nach Pacht-Grundstücken, nach schönen Apartments im Grünen – oder eben nach Campingplätzen, die die Ausflucht mit Kindern auch erschwinglich machen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Campingbranche seit Jahren Rekorde vermeldet. Erst kürzlich teilte das Reiseportal camping.info mit, dass die Branche in den vergangenen zehn Jahren 42 Prozent Zuwachs verzeichnet habe. 2017 hätten die fast 3000 Campingplätze, die es Deutschland gibt, 31 Millionen Übernachtungen gezählt.

Aber Camping – das darf man bei all dem nicht vergessen – ist immer auch: Entbehrung. Für Erwachsene genauso wie für Kinder. Alles, was zuhause selbstverständlich ist, muss portioniert, reduziert oder gänzlich gestrichen werden. Es gibt keinen Fernseher und keinen Computer, keine Badewanne und nur ein begrenztes Repertoire an Spielsachen, Süßigkeiten, Kühlgetränken, Sommerkleidchen und Asterix-Heften. Und alles was wir brauchen, um drei schöne Tage zu verbringen, müssen wir uns erst erschaffen: ein Schlafzimmer, eine Küche, ein Esszimmer und eine Spielecke. Es ist wunderbar, denn wann hat man schon so ein ehrliches Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen? Die Kinder helfen sehr konzentriert dabei, das Hochdach aufzuklappen und Kissen, Schlafsäcke und Kuscheltiere auf der Liegefläche auszubreiten, die Stühle und den Tisch unter einer großen Fichte aufzustellen, den Campingkocher samt Gasflasche auf einem Beistelltisch zu plazieren und all ihre eingepackten Spielzeuge auf einer Decke vor dem Bus auszubreiten. Es ist genau dieses Miteinander, dieses gemeinsame Nachdenken (wie richten wir uns am besten ein?) dieses Lösen von Problemen (wie befestigen wir den Wasserkanister am Baum?), dieses vorausschauende Planen (wenn wir kein Holz sammeln und uns keine Stöcke schnitzen, gibt es abends kein Stockbrot am Lagerfeuer), das mehr zusammenschweißt als jedes Teambildungsseminar und jede Familientherapie. „Ich glaube, unser Haus ist fertig“, sagt Ludovika und betrachtet zufrieden das Ensemble. Als sie das sagt läuft – ha!, ein später Triumph – „Sun is shining“ im Autoradio.

Und alles andere verschweigen wir jetzt besser mal zugunsten dieser Huck-Finn-romantischen Welt, die goldgelb in der Abendsonne schimmert. Dass uns pünktlich mit der Dämmerung Mückenschwärme überfallen, dass es am Lagerfeuer empfindlich kalt ist, dass das Stockbrot (wie eigentlich immer) aus einer verbrannten Hülle und einem rohen Kern besteht, dass am nächsten Morgen das Nutella zu kalt zum Streichen ist. Und dass die Kinder dann doch immer wieder mal am iPad hängen – und den ganzen Entbehrungsgedanken und die damit verbundene Naturschwärmerei unerhörterweise unterlaufen.


5 Lesermeinungen

  1. eduardheindl sagt:

    Mit Fahrad noch näher am Abenteuer
    Ich kann dem nur zustimmen, wenn man die Chance hat die Tour mit dem Fahrrad mit Gepäckanhänger zu bewältigen, dann sind die Jungs auch richtig hungrig und alles schmeckt noch besser.

  2. dschaber sagt:

    Es gibt nichts Besseres als Camping!
    Danke für den schönen Artikel, der mir dabei hilft, mich durch die sechs Wochen bis zum eigenen Familiencamping durchzubeißen… Kochen auf dem offenen Feuer, Tagesrhythmus mit dem Sonnenstand, unkomplizierte Vergnügungen, unverkünstelte Existenz. Reduzierung der Bedürfnisse durch Eliminierung unnötigen Ballastes. Mehr Zeit zu Sein, im Hier und Jetzt – toll! Passiert mir nur beim Trekking oder Camping.

  3. perfekt57 sagt:

    Eventuell sind wir einem bislang noch unentdeckten oder unausgesprochenen Geheimnis auf der Spur? Di
    es eben sohäufig zu beobachtende Kinderverhalten wie zu Anfang des Artikels geschildert kann unter Umständen durchaus mit genetisch fixiert sein & bereits von Uhrzeiten als wir noch Jäger & Sammler der Savanne waren & regelmäßig weiter mussten in uns als Erbprogramm für die Jüngsten veranlagt sein – was lustvoll positiv besetzt ist weil es schon so in den Genen liegt muss keiner befehlen oder gegen ’schwierige Lebensabschnittsgefühle‘ s.u. durchsetzen.Solange die Kinder noch jung sind, sind auch die Eltern noch jung & zogen in der Savanne in der Tat regelmäßig weiter. Dann war es doch gut wenn die Kinder gerne in beschränkter Häuslichkeit zu Hause waren & jeweils vor Ort neu ‚auch spirituell‘ mit dazu halfen sich den Ort gemeinsam mit den Eltern anzueignen & sich drauf freuten & auch Lust hatten am neuen Ort Neues zu entdecken.Bei Indianern ist es dass der 42-Jährige Mann, kein Krieger mehr, dann die ca. 8 jährigen Jungs übernimmt und in weni

  4. perfekt57 sagt:

    Lektüre dazu eventuell
    ‚Sat Okh, Das Land der Salzfelsen‘

  5. perfekt57 sagt:

    was übersehen im vorigen Post noch als Möglichkeit wie von Anfang an
    vorgehabt zur Verdeutlichung anzufügen:

    Typischerweise ist es in den Savannenzeiten als sich unser genetisches Erbe gebildet & verfestigt hat wohl über Äönen so gewesen dass Krieger junge Männer von 20 22 24 26 28 Jahren waren & mit ihren vielleicht drei Jahre jüngeren Frauen eben im voll reproduktiven Alter. Einerseits mussten & wollten die sich selbst bewähren & auf eigene Art & Weise einen Platz im Leben erkämpfen, andererseits waren sie später doch Teil der grösseren Gemeinschaft & gegebenenfalls auch Erben.

    Bis dahin aber wollten die sich eventuell tatsächlich selbst etwas aufbauen wenn nicht ganz aus dem Nichts so doch aber immerhin aus ein paar Hochzeitsgeschenken zum Anfang – & dann passt dieses allgemein beobachtbare Verhalten des jungen Nachwuchses ‚zwischen wenig & mobil‘ – bis er eventuell acht oder zehn Jahre alt ist ‚und sich bald anderen Aufgaben widmen möchte in der Pubertät‘ – für den Beweis gibt’s demnächst den Nobe

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