Vergangene Woche war plötzlich mein letzter Arbeitstag. Die letzten Wochen vor der Babypause waren nur so an mir vorbeigerauscht. Das große Kundenprojekt, in das ich mein ganzes Herzblut gesteckt hatte, übernehmen jetzt die Kollegen. Und ich sortiere Babyklamotten.
Jammert die etwa, fragen Sie? Nein, tut sie nicht. Aber ich definiere mich nun mal auch über meinen Beruf, er gehört zu mir. Die Aufgaben und die Menschen, denen man sich im Job stellt: Das macht etwas mit einem. Man wird gesehen, man wird gebraucht, und man wird bezahlt. Als Mutter (oder Vater) in Babypause bzw. Elternzeit wird man „nur“ noch gebraucht – freilich auf eine existenzielle Art und Weise. Anerkennung gibt es hier in einer ganz anderen Dimension. Es kommt etwas unfassbar großes Neues, aber es geht, zumindest temporär, auch etwas verloren. Daran musste ich mich auch vor und nach der Geburt meines ersten Sohnes erst gewöhnen.
Nun ist dieses mulmige Gefühl wieder da. Ich bin bestimmt schon aus dem E-Mail-Verteiler gelöscht, es meldet sich gar keiner mehr… Bin ich jetzt schon wieder weg vom Fenster? Der letzte Wiedereinstieg ins Berufsleben ist noch nicht lange her; kriege ich das noch einmal hin? Und wie sieht dieses Leben künftig aus, mit zwei Kindern? Fakt ist: Nach der Geburt von Ben vor fast vier Jahren bin ich nie in meinen alten Job in der Medienbranche zurückgekehrt; der Führungsposten, den ich mir kurze Zeit zuvor hart erarbeitet hatte, war futsch (was allerdings in erster Linie an unserem Umzug lag). In Berlin bin ich, in einem teilzeitkompatiblen Bereich der Kommunikation und ohne Führungsverantwortung, wieder eingestiegen, als Ben noch keine zwei Jahre alt war. Ich wollte wieder arbeiten, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ihn jeden Tag für acht Stunden und mehr abzugeben. Im Berater-Sprech nennt man es wohl „Downshifting“ – die Karriereleiter hinuntersteigen.
Musste das so kommen? Nein, ich hätte ja auch in Vollzeit wieder einsteigen und versuchen können, halbwegs nahtlos an die Elternzeit anzuknüpfen. Es gibt Mütter, die das tun – freiwillig oder unfreiwillig. Ich habe freiwillig darauf verzichtet. Mit wachsendem Babybauch wuchs mein Bedürfnis nach einer Auszeit von der Jagd nach dieser „Karriere“. Denn die brachte neben viel Freude und Bestätigung auch reichlich Frust, Selbstzweifel und Arbeitstage, die auch abends im Bett nicht endeten und im Kopf sowieso niemals.
Vielleicht hätte mich das ohne die Schwangerschaft irgendwann zermürbt, vielleicht auch nicht. Aber es kam mir gelegen, mich dieser neuen Aufgabe zu widmen, von der ich ahnte, dass sie größer ist als mein berufliches Ego. Ich habe also meine Karriere gegen mein Kind getauscht. Und auch wenn ich das nie bereut habe, fällt es schwer, das auszusprechen. Denn wahrscheinlich wirkt es in Zeiten der (längst nicht vollendeten) Emanzipation wie ein Verrat an jenen, die für sie kämpfen. Dabei bin ich auch Feministin! Aber ich werde mich nicht entschuldigen. Denn ich habe mich entschieden.
Ich will nicht behaupten, dass sich Kind und Karriere zwangsläufig gegenseitig ausschließen. Ich kenne Mütter in Führungspositionen, die auf Podien über New Work und Work-Life-Balance referieren; die ihre Arbeitgeber dafür preisen, dass sie dank neuster Technik heutzutage immer und von überall für sie arbeiten können. Die beim Lunch-Treffen mit den Kids noch kurz was in den Laptop hämmern, auf dem Spielplatz ein paar Mails beantworten, kleinen Moment noch, dann guck ich wieder, Schatz. Und die damit glücklich und zufrieden sind.
Ich habe das selbst ausprobiert und nach meiner Rückkehr ins Berufsleben, trotz Teilzeit und auch ohne Führungsposten, sehr viele Mails auf Spielplätzen beantwortet. Ich habe im Home Office mit einem Kunden telefoniert, während mein Kind neben mir auf die Dielen kotzte. Und festgestellt: Das tat meinem Sohn nicht gut, und mir auch nicht. Ich will keine Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenn das nichts anderes als die Summe und damit letztlich die Vermischung von beidem bedeutet. Denn mehr als 100 Prozent kann ich nicht geben, schon gar nicht für mehrere Sachen gleichzeitig. Muss man alles wollen, was man (unter großen Opfern) schaffen könnte?
So wie ich den Feminismus bzw. den Kampf für Emanzipation verstehe, geht es ihm um Wahlfreiheit – und nicht so sehr darum, wie das Ergebnis dieser Wahl ausfällt. In meinem Fall ist es eben zufällig das konservative Modell. Das eigentlich Schlimme ist doch aber, wenn es diese Wahlfreiheit nicht gibt. Wenn Eltern die Entscheidung, wie viel Beruf/Karriere und wie viel Familie sie sich „leisten“, nicht frei treffen können. Und das ist leider sehr, sehr oft so. Die alleinerziehende Mutter hat in der Regel keine andere Wahl, als schnell nach der Geburt und in Vollzeit wieder in den Job zurückzukehren. Das hat dann nichts mit Karriereambitionen, sondern mit purer Existenzangst zu tun. Frustrierend ist auch, wenn der Gehaltsunterschied zwischen den Eltern so groß ist, dass der schlechter bezahlte Elternteil – meist ist es die Frau – beruflich kürzer treten muss, weil die finanziellen Einbußen zu groß wären, wenn es der andere über längere Zeit täte.
Letzteres wäre übrigens auch bei uns der Fall. Mein Mann verdient um einiges besser als ich. Er hat sich zwar nie gegen den Ernährer-Part gesträubt – ehrlich gesagt wurde er aber auch schlicht nie gefragt, ob er es nicht lieber (zumindest zeitweise) umgekehrt hätte. Insofern war die Wahl, die wir getroffen haben, auch nicht völlig frei von äußeren Umständen. Allerdings wäre es bei uns mit großer Wahrscheinlichkeit selbst bei ähnlicher Bezahlung auf das Modell hinausgelaufen, das wir jetzt planen: Mein Mann nimmt zwei Vätermonate und etwas Urlaub, und für mich ist die Karriere erneut auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Weil es für uns beide – nicht nur für mich – so okay ist und wir uns gegenseitig unterstützen.
Das berufliche Ego ist derweil noch da. Es hält sich im Moment im Hintergrund. Früher oder später wird es sich wieder melden. Wenn mit den Kindern alles gut ist. Ob das dann in eine echte Karriere mündet oder einfach „nur“ in einen Job, der mir hilft, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen und nicht sehenden Auges in die Altersarmut zu rutschen, weiß ich nicht. Vorerst habe ich mit meinem Kind, bald mit zweien, den Job meines Lebens.