Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Eltern, die auf Smartphones starren

| 15 Lesermeinungen

© Picture AllianceNicht auszuschließen, dass dieses Kind missbilligend auf das Smartphone seiner Mutter blickt

Kennen Sie sie auch? Diese modernen Mütter und Väter, die alle Hände voll damit zu tun haben, sich um all ihre Babys gleichzeitig zu kümmern: um ihr Kind und um ihr Smartphone. Eine Hand am Buggy, eine Hand am Display, verpassen sie vor lauter Tipperei die Grünphase an der Ampel. Im Supermarkt versperren sie mit ihrem Einkaufswagen den Gang, weil sie ihre Nachrichten checken, während sich ihr Kleinkind unbemerkt auf den Weg zum Süßigkeitenregal macht. Und auf dem Spielplatz hört man sie, den Blick auf das Handy gerichtet, auf „Mama, guck mal!“ immer erst mit Verzögerung antworten, oder mit: „Warte Schatz, gleich!“

Also, ich kenne diese Eltern. Wir gehören dazu, wenn Sie so wollen. Denn wir haben Kinder, und wir haben Smartphones. Wir benutzen sie häufig, auch im Beisein von Ben (4) und Lukas (zwei Monate). Und die oben beschriebenen Szenen sind zwar übertrieben, aber es ist nicht total abwegig zu glauben, dass sich die eine oder andere durchaus schon mal so ähnlich abgespielt haben könnte. Und nun – Feuer frei? Schließlich warnen Studienautoren und Medienpädagogen, dass mobile Telefone die Eltern-Kind-Beziehung störten und bei Kindern zu Verhaltensauffälligkeiten führten. Frustriert sei der Nachwuchs ob der fehlenden Aufmerksamkeit der „Smartphone-Eltern“, hyperaktiv und neige zu Wutanfällen, berichteten Forscher im amerikanischen Fachmagazin „Pedriatic Research“. In Hamburg hat kürzlich gar ein Siebenjähriger eine Kinderdemo gegen den nervigen Handykonsum von Eltern organisiert.

Das ist alles überaus beunruhigend. Ich fühlte mich beim Lesen der Studie, natürlich auf dem Handy, gleich ertappt und für einen Moment schuldig. Denn mein Mann und ich sind allein schon aus beruflichen Gründen ausgiebige Handynutzer, und zumindest an Wutanfällen herrscht bei uns zu Hause in letzter Zeit kein Mangel (wie Sie hier nachlesen können). Aber mit denen hätten wir ganz sicher auch ohne Smartphones zu kämpfen. Das vermeintlich unheilbringende Gerät komplett aus unserem Alltag zu verbannen, ist für uns jedenfalls nicht die richtige Lösung. Für mich ist das Smartphone längst nicht nur Telefon, sondern unter anderem auch Notizblock, Zeitung, Kochbuch, Terminkalender, Wecker, Fitnesscoach (zumindest habe ich die App dafür), Einkaufszettel, Supermarkt und Nachschlagewerk. Theoretisch könnte es sogar die Heizung hochdrehen, kurz bevor wir nach Hause kommen, oder das Licht ausmachen, wenn wir es mal wieder vergessen haben. Nur hapert es praktisch noch an der smarten Haustechnik dafür. Kurzum: Das Smartphone kann bei vielen Dingen des Alltags behilflich sein – gerade bei solchen, die oft im Familienleben anfallen und teilweise viel Mühe machen oder Zeit fressen. Gut möglich also, dass ich im Supermarkt mit meinem Einkaufswagen den Gang versperre, weil ich gerade durch meinen Einkaufszettel scrolle oder schnell noch mal google, welche Zutaten ich für das Abendessen brauche. Ist das verwerflich? (Ich komme natürlich noch am Süßigkeitenregal vorbei, und dort wartet Ben dann wahrscheinlich mit bettelndem Blick, aber ansonsten völlig unschuldig.)

Es gibt aber eine Sache, für die ich dem Smartphone noch dankbarer bin als für die Einkaufshilfe: Es ermöglicht, die Welt mit Kindern ganz anders zu erklären und zu erleben als früher. Klar sollte man den Kleinen ihre Fragen möglichst mit eigenen Worten beantworten, mit ihnen Bücher anschauen, zum Erkunden der Natur mit ihnen in den Wald gehen, reisen etc.. Das tun wir auch, soweit möglich. Aber mithilfe des Smartphones können wir Ben auch zeigen, wie eine Rakete startet, ein Gewitter entsteht und unsere Straße aus dem Weltall aussieht. Wenn wir auf eine Frage keine Antwort wissen, können wir es schnell nachschlagen und lernen nicht selten selbst noch dazu (es soll Ehemänner geben, die Stunden damit zubringen, bei Wikipedia auf „Zufälliger Artikel“ zu klicken). Und wenn Ben der entfernt lebenden Tante sein neues Piratenschiff zeigen will, kann er das per Smartphone-Videoschalte tun. Ganz zu schweigen von den unzähligen Schnappschüssen, über die Oma und Opa aus der Ferne fast in Echtzeit an Bens Erlebnissen teilhaben (und sich in unsere Erziehung einmischen) können. All das wäre ohne Smartphone und Internet nicht möglich.

Noch ein Punkt zur Verteidigung des Smartphones als Familienmitglied: Mein Handy ist auch Auszeit, bewusste Ablenkung, Zerstreuung. Alles Dinge, die vermeintlich nicht nötig sind – und dennoch so elementar, gerade wenn man kürzlich ein Kind bekommen hat und dadurch in Sachen Freizeitgestaltung und Erwachsenenunterhaltung vorübergehend ziemlich limitiert ist. Ein Beispiel: Es gibt wenig Einsameres, als nachts um drei in gedämpftem Licht dem Saugen und Schmatzen eines hungrigen Säuglings zuzuhören. Das Smartphone hält mich in dieser Zeit wach und verbindet mich mit der Welt da draußen, während das schlaftrunkene Baby ohnehin keinen gesteigerten Wert auf Blickkontakt legt. Freilich könnte ich auch zu einem Buch greifen; wenn Sie zu jenen Menschen gehören, die in jeder freien Minute den Dostojewski zücken – herzlichen Glückwunsch. Ich für meinen Teil lese nachts um drei manchmal politische Analysen, manchmal Klatschgeschichten (und könnte mir Dostojewski jederzeit aufs Handy laden), oder ich beantworte Whatsapp-Nachrichten. Und habe das auch schon oft auf dem Spielplatz getan. Sandburgen sind etwas ganz Tolles, aber ich bin der Meinung, dass ich mein Kind nicht gleich fürs Leben versaue, wenn ich nicht auch noch bei seiner vierten Sandburg in Begeisterungsstürme und Lobeshymnen ausbreche, sondern zwischenzeitlich etwas lese oder schreibe.

Ja, es ist mir auch schon passiert, dass ich so vertieft in mein Handy war, dass ich meinem Sohn nicht sofort geantwortet habe, wenn er etwas zu mir sagte – wobei ich bisher noch immer unterscheiden konnte, ob es eine Wortmeldung der Sorte „Guck mal kurz“ oder „Ich brauche dich jetzt dringend“ war. Aber mein Mann und ich sind uns einig: Ben zeigt bislang keine Anzeichen für ein Aufmerksamkeitsdefizit, und das Neugeborene kann sich ebenfalls (noch) nicht beschweren. Manchmal habe ich eher das Gefühl, das Gegenteil ist der Fall: Oft genug kreist mein ganzes Denken und Tun nur noch um die Kinder. Hat Lukas heute schon in die Windel gemacht? Was hat Ben da für einen roten Fleck am Ohr? Holst du ihn von der Kita ab oder ich? Fahr mal schnell rechts ran, der Große muss kotzen. Es muss erlaubt sein, mich inmitten des täglichen Wahnsinns weiterhin auch um die Welt um mich herum zu interessieren. Und auch wenn es verrückt klingt: Manchmal können einen gerade Tiervideos, Low-Carb-Rezepte und Modesünden der Stars davor bewahren, verrückt zu werden.


15 Lesermeinungen

  1. Soljankus sagt:

    Den Unterschied begreifen
    Es gibt einen großen Unterschied zwischen sich von einem Smartphone vereinnahmen zu lassen (und das dann wortreich als Rückzug ins Ich zu kaschieren) und dem sich dem eigenen Kind jederzeit bedingungslos Zuwenden. Ja, auch zum ..zigsten Mal staunen, wenn die Sandburg fertig ist.
    Kinder haben ein hochsensibles Gespür dafür, ob sie wirklich wichtig oder nur Beiwerk sind (auch phasenweise).
    Die Quittung wird deutlich ausfallen.

  2. Georggg sagt:

    Totalüberwachung akzeptieren?
    Mit jeder Benutzung des Smartphones geben Sie, teilweise privateste, Informationen über sich und Ihre Kinder preis. Alles wird gespeicht! Dank KI kann man aus Ihren Daten schließen, wie oft Ihr Kind in der Nacht trinkt. Darf auch ich Ihnen beim stillen zuschauen?

    • mimotomo sagt:

      Man ist niemals allein...
      …auch nicht mit dem Kind. Ist doch das, was man will, oder?? O-je, ich muss mich mit mir selber oder mit einem geistig (noch) unterlegenem Kind beschäftigen, das halte ich keine 30 Sekunden aus. (festgestellte Durchschnittszeit bis das Handy gezückt wird).

  3. mimotomo sagt:

    Tja... Ob es dem Kind schadet...
    ist eher die untergeordnete Frage. Die Kinder sind von der Natur her sehr robust und können auch unter widrigeren Umständen ihren Lebensweg finden. Vielleicht wird man in 20 Jahren, wenn sie die Eltern nur noch per Mixed-Reality-Brille (eher nicht) ansehen, das beantworten können. Größer ist die Frage, ob man sich selber nicht viele Situationen und Chancen nimmt, das Kind in besonderen Augenblicken zu sehen. Man kann – wie auch beim Autofahren, da aber anders – viel verpassen. Schwupps, war der Augenblick weg und man hat allerhöchsten die künstlich gestellte Situation per Handy-Foto. Pech gehabt. Dafür hat man aber dem eigenen Zwangshandlung (psychologisch Tick) nachgegeben, irgendeinem nebensächlichen Blödsinn mit einer weiteren Nebensächlichkeit zu antworten. Wieder einmal teilt man, dass man auf dem Spielplatz ist und Ben so schön spielt, obwohl man gar nicht da ist.

  4. mh59 sagt:

    Titel eingeben
    Neulich im Supermarkt: In der Schlange vor der Kasse steht als Nr. 5 eine Person, die pausenlos auf ein Smartphone guckt. Die Kunden vor dieser Person werden nach und nach abgefertigt. Die Lücke zwischen den Abgefertigten und der smartphonenen Person wird immer länger. Keiner sagt ein Wort. Jetzt ist die smarte Person mit dem Phone an der Reihe und erschrickt, der virtuellen Welt entrückt, mit offenen Mund. Sie entpackt nun flugs Ihren sehr vollen Einkaufswagen – was sie ja längst hätte erledigen können, wenn sie kein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom in Bezug auf die nicht-virtuelle Welt hätte. Die anderen Kunden sind immer noch, gut erzogen, sehr duldsam – oder bedauern die Person. Wenn man das da oben liest, wäre ich im Supermarkt lieber der 4. Kunde vor dem 5. Die Kassenhersteller werden sich etwas einfallen lassen müssen, um die Sorte 5, die zunimmt, sensibel in die Organisation einzubinden. Wie wäre es mit einem Rollsteig wie zuweilen vor den Skiliften – nur viel länger.

  5. Oekooekonom sagt:

    Mobiles Telefon? Solch einen Unfug braucht unsereins nicht. Kostet Geld und Lebenszeit
    Wenn ich die vielen Leute sehe, wie die im ÖPNV ständig diese Dinger vor der Nase haben, auf den Fußwegen damit rumlaufen, sogar beim Fahrradfahren die Dinger anstarren … , da wird mir übel.

    Ich nenne das die Mobilbildtelefonitis, die neue Volkskrankheit.

    Das Schlimmste ist aber, daß die Menschen, die die Nutzen einer kompletten Überwachung unterliegen. Und das ist etwas, was mir gar nicht gefällt.
    Keinen Polizisten oder Juristen geht es was an wo unsereins zu welchem Zeitpunkt war.

  6. OliverDuesseldorf sagt:

    Wie die Eltern, so (später) die Kinder...
    „Und die oben beschriebenen Szenen sind zwar übertrieben…“ – nein, sind sie nicht. Tagtäglich zu beobachten, wenn man mit offenen Augen umhergeht und nicht gerade selbst auf sein Handy starrt. Wo das Baby früher eine lächelnde Mami sah, wenn aus aus dem Kinderwagen nach oben schaute, sieht es heute oft genug die Rückseite eines Smartphones.

    Da verwundert es nicht, wenn die Kids schon sehr früh in Abhängigkeit von diesen Geräten geraten. Es ist dann aber auch schwer; wie will ich dem Kind später glaubhaft vermitteln, daß es „zu viel“ an irgendeinem Gadget hängt, wenn ich es selbst anders vorlebe.

    „Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“ – frei nach Karl Valentin…

    • PolitDenker sagt:

      Danke
      „Wo das Baby früher eine lächelnde Mami sah, wenn aus aus dem Kinderwagen nach oben schaute, sieht es heute oft genug die Rückseite eines Smartphones.“ 🙂 besser kann man es nicht bildlich formulieren

  7. oskartheo sagt:

    Die zahlenmäßige Übermacht
    aus der Gruppe der Handynutzer hat was Beängstigendes, weil sehr viele ureigene menschliche Eigenschaften, wie direkte Zuneigung, Takt, Benehmen, Kommunikation etc. verloren gehen, die besonders während der Wachstumsphase des Kleinkindes von enormer Bedeutung sind. Es sind leider immer mehr Mütter zu beobachten, die im Banne ihres Handys unter Strom zu stehen scheinen, ihre Umwelt total vergessen und dabei die wichtigen Sprech- und Blickkontakte zu ihren Kindern sträflich vernachlässigen. Man sollte sich dann auch nicht wundern, wenn sich daraus kalte, kontaktarme Charaktere entwickeln, falls die Bezeichnung Charakter nicht schon zu hoch gegriffen ist.

  8. neucriro sagt:

    ... man kann es sich auch schönreden.
    Ich wage mal zu bezweifeln, wie viel Bob mit seinen 4 Jahren begreift, was eine Rakete ist, wenn er auf dem Schirm was kleines sich bewegendes sieht. Abgesehen davon, dass er dann regelmäßig erlebt: „Mama schaut immer erst in einen Kasten, bevor sie mir eine Antwort gibt“. Und „wie ein Gewitter entsteht“, na viel Spaß bei der kindgemäßen Erklärung per Smartphone. Kurz: Ich halte das für den etwas hilflosen Versuch, die eigene Sucht schönzureden. Interessant ist, dass das Pendel gerade beginnt, umzuschlagen, in der NYTimes war kürzlich ein Artikel, der das beschreibt, einfach mal nach „silicon valley nannies are phone police for kids“ suchen…

  9. pkanazawa sagt:

    ... dem hier Geäußerten kann man sich nur anschließen
    Schönreden ist die eine Sache. Kind als Stress die andere. Natürlich können Kinder nerven bzw. tun es. Zugespitzt: Will man das nicht gerade? Wozu hat man sonst die Kleinen? Wenn die Autorin so auf ihr Wohlbefinden bedacht, wäre vielleicht ein Kind ausreichend… Na, im Ernst: Wie heißt es doch immer, die Kleinen werden so schnell groß. Anstatt dann in Zukunft ewige Bestände an Fotos durchzuscrollen, sind lebhafte (analoge) Erinnerungen allemal mehr wert. Denn die Zeit mit den Kindern lässt sich nicht uploaden und später nutzen.

  10. heiro17 sagt:

    Die Spätfolgen sind abzusehen.
    Das Baby oder Kleinkind starrt mit großen Augen auf die Mutter. Die ignoriert das einfach und starrt wie besessen auf ihr Smartphone. Häufig auch auf dem Weg von der Tagesbetreuung nach Hause. Wie soll sich unter diesen Umständen eine liebevolle und stabile Beziehung entwickeln. Sie mag mich nicht, sie schaut mich nie an.

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