Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Eine Puppe für einen Jungen?

© dpa-ZentralbildNa, wo liegt wohl das Mädchen? Links oder rechts?

Als unser kleiner Sohn neulich Geburtstag hatte, wünschten wir uns eine Puppe für ihn. Eine, die er in die Badewanne mitschleppen, der er ein Mützchen aufsetzen oder, wie kürzlich geschehen, der er eine Windel anziehen kann. Eine Puppe eben. Nichts Besonderes, eine normale, glatzköpfige Babypuppe.

Bei einer Person in unserem Umfeld zeigte sich jedoch ein gewisser Widerstand, dem Jungen eine Puppe zu schenken. Eine Puppe für einen Jungen? Müsse das sein? Warum denn – und überhaupt? Also vergaben wir den Schenkungsauftrag an eine andere Person, die damit kein Problem hatte. Zum Glück waren das in unserem Familien- und Bekanntenkreis alle anderen.

Wir waren überrascht über das Comeback solcherlei Geschlechterklischees. Was fürchten denn Menschen, die einem Jungen eine Puppe schenken? Dass er sofort und unwiderruflich zum Mädchen umfirmiert? Ein rosa Kleidchen ordert – und sich Spängchen in die Haare macht? Oder ein drittes, viertes oder achtes Geschlecht für sich entdeckt – und zum Transmenschen wird?

Es mag eine extreme Einzelmeinung gewesen sein, aber sie passt in die Zeit. Der Begriff „Gender“ ist ja derzeit so etwas wie ein Brandbeschleuniger für die lodernde Wut mancher Menschen. Er meint die gesellschaftlich geprägten Geschlechterrollen, nicht das biologische Geschlecht. In unserem Fall also zum Beispiel die Behauptung: Ein Junge spielt nicht mit einer Puppe, das ist Mädchenkram. Andere Beispiele: Ein Junge tanzt kein Ballett, das ist unmännlich. Oder trägt keine Ohrringe. Zeigt keine Gefühle. Weint nicht. Und ein Mädchen? Soll sich eher ums Häusliche kümmern, nicht zu viel Karriere machen. Nicht raufen und toben. Mädchen sind dafür fleißig und folgsam. Jungen eher praktisch veranlagt und schwächeln beim Lerneifer.

Zwar würden die wenigsten in unseren Breitengraden solche Sätze offen formulieren. Aber manche Erziehungsstile und vermittelten Werte speisen sich aus Glaubenssätzen, die ihren Urhebern mehr oder minder bewusst sind. Das aufzudecken ist die Aufgabe, die sich Anhänger von Gender Mainstreaming gestellt haben – sie stellen die kulturellen Rollenvorstellungen auf den Prüfstand. Kritiker werfen ihnen vor, dass sie das biologische Geschlecht bis zur Unkenntlichkeit dekonstruieren und damit kleinreden. Seitdem es Gender Mainstreaming in Universitäten und EU-Texte geschafft hat, ist ein regelrechter Kulturkampf zwischen Anhängern und Gegnern entstanden.

Zu Recht? Zu Unrecht? Tut mir leid, aber mit diesem Kampf ist diese kleine Kolumne überfordert. Und ich auch. Trotzdem, die Puppe gibt einen klitzekleinen Hinweis, was an Gender bedenkenswert ist – und was mir überdreht scheint.

Kennen Sie die Bewegung „Gender Creative Parenting“? Das sind Eltern, die ihr Kind geschlechtslos erziehen wollen. Das Kind ist biologisch Junge oder Mädchen, aber ihm sollen darüber hinaus die gesellschaftlichen Attribute, die als männlich oder weiblich gelten, in den ersten Lebensjahren erst einmal erspart bleiben. Es soll frei von Rollenklischees – und damit unbelastet – die ersten Schritte tun, das erste Wort sprechen und die ersten Freundschaften schließen. Das Babyzimmer bleibt also weiß, ein pinker oder blauer Anstrich muss warten.

Mir kommt das unheimlich konstruiert vor, zumal die Umsetzung wirklichkeitsfremd scheint. Kinder können relativ früh zwischen Männern und Frauen unterscheiden, die Geschlechterfrage ist für sie eine frühe Schublade, die die Wirklichkeit stabilisiert. Und, gerade bei Kindern nicht unwichtig, sondert man die Kleinsten damit nicht unnötig aus in einer Welt, die stark auf Geschlechterkategorien setzt?

Der Grundgedanke allerdings ist sympathisch. Die biologischen Unterschiede sind ohnehin da, sie sind nicht veränderbar. Und zu häufig nutzen manche sie dazu, Althergebrachtes zu zementieren und als alternativlos darzustellen. Künstlich betonen muss man sie nicht. Die sozialen Geschlechtszuschreibungen aber sind veränderbar – und deshalb kritikfähig. Sich als Eltern vorzunehmen, nicht jedes Klischee beim eigenen Nachwuchs mitzunehmen, kann so falsch nicht sein. Wenn die Gender-Debatte extremistisch geführt wird, würde ich mich allerdings gleich wieder gerne abmelden.

Die Puppe für den Jungen ist mein vorsichtiger Versuch eines Kompromisses auf dem Gender-Minenfeld. Im Kleinkindalter soll der Kleine eine möglichst breite Palette an Erfahrungen und auch mögliche Zuschreibungen kennenlernen. Schmalspurgänger, die ihm verordnen, wie er zu sein hat oder was er zu lassen hat, sind da nicht gefragt. Das gilt für beide Seiten – die Genderisten und die Genderhasser.

Zumal gesellschaftliche Stempel ohnehin volatil sind. Bei den Germanen galten lange Haare bei Männern als schick, während sie später in der aufkommenden Bürgerlichkeit als verpönt galten, um dann bei den Achtundsechzigern zum gegenkulturellen Symbolschnitt zu avancieren. Heute gilt die Farbe Rosa für Mädchen quasi als naturgegeben, was Unsinn ist. Schrecklich, wie viele junge Eltern darauf hereinfallen! Rosa war lange Zeit eher die Farbe von Jungen und Männern,  das „kleine Rot“ hatte den Ruf, ausgesprochen männlich zu sein, während Frauen Blau trugen. Mit dem Aufkommen der blauen Arbeiterkleidung wechselte die Farbgebung ins Gegenteil – und manche tun so, als sei das immer schon so gewesen. Oder haben Sie schon einmal Bilder aus dem Kaiserreich gesehen, auf denen die kleinen Jungs Kleidchen tragen?

Abseits dieser Äußerlichkeiten geht es um den Horizont möglicher sozialer Verhaltensnormen. Eine Puppe – gilt es sie nicht zu hegen und zu pflegen? Und, Achtung, rhetorische Frage: Sind das nicht alles Zuschreibungen, die vor allem für die späteren Mütter gelten? Wohl kaum, wenn ich mir meinen heutigen Alltag anschaue: Längst ist die Kinderbetreuung nicht nur Muttersache. Wenn eine Puppe also für die frühkindliche Horizonterweiterung gut ist, umso besser. Wenn sie einfach nur zum Spielen da ist, reicht das aber auch.