
Unser Sohn Ben geht in eine evangelische Kita. Das steht zumindest vorne dran (an der Kita, nicht am Kind). Ich weiß, dass die Kinder einmal im Monat gemeinsam in die Kirche gehen, dass sie in der Adventszeit Weihnachtslieder singen und im Eingangsbereich eine Krippe steht, aber viel mehr als das scheint es an frühkindlicher religiöser Prägung nicht zu geben. Das hat mich auch nie gestört, obwohl ich selbst christlich erzogen bin – zumal Ben lange Zeit kein besonderes Interesse an spirituellen Fragen zeigte.
Anfang vergangenen Jahres, Ben war drei Jahre alt, warf der Tod seiner polnischen Ur-Oma die ersten Fragen auf. Der „Klassiker“, dass sie in den Himmel zu Gott gekommen war, kam von uns Eltern wie auch den anderen Verwandten automatisch, und er nahm das ohne weitere Nachfragen hin. Doch mit der Zeit wurde ihm die Sache unheimlich, und wir hörten Aussagen wie: „Ich mag den Himmel nicht. Der ist mir zu hoch.“ Oder, abends vor dem Schlafengehen: „Ich habe Angst, dass Ur-Opa Paul aus dem Himmel herunterkommt.“ Wir lernten also: Himmel weglassen. Himmel ist nicht gut. Und beim vermeintlich unverfänglichen Thema Dinosaurier/Fossilien bekamen wir vor ein paar Monaten zu hören: „Müssen wir auch sterben, wie die Dinos?“
Und so war es irgendwie klar, dass uns das Überirdische an Weihnachten mit voller Breitseite treffen würde. Ben, mittlerweile vier Jahre alt, wollte wissen, wie das ist mit dem Himmel und dem Weihnachtsmann, äh, dem Nikolaus, äh, dem Christkind. „Wie sieht der Weihnachtsmann aus?“ Und: „Ist das Christkind ein Engel aus dem Himmel?“ Und: „Wie kommt das Christkind zu uns rein?“ Und: „Das Christkind war bestimmt schon da, weil, ich war heute sehr lieb!“ Allesamt weniger tiefsinnige als vielmehr praktische Fragen und Überlegungen, aber schon die brachten uns in Erklärungsnöte: Ja, WIE soll das Christkind reinkommen, wenn es – wie man regelmäßig beteuern muss, damit der Sohn beruhigt einschlafen kann – ganz bestimmt kein Einbrecher in unsere Wohnung schafft? Ist es so klein, dass es durch das gekippte Fenster passt? Wenn ja – wie kriegt es dann die Geschenke da durch? Und: Wenn das Christkind nur den lieben Kindern Geschenke bringt, dann sind die nicht so lieben ja traurig! GEMEIN!
Das Heikle ist, nicht nur an Weihnachten: Alles, was wir den Kindern erzählen, ist für sie erst einmal wahr. Und jede Antwort macht ein Bild im Kopf. Das weiß ich von mir selbst. Ich habe mir den Himmel als Kind sehr lange vorgestellt als einen Ort, an dem Menschen nackig auf übergroßen Laubblättern als Betten schlafen. So hatten meine Eltern mir das beschrieben, und diese Vorstellung fand ich damals sehr gemütlich (heute eher nicht so). Umgekehrt kann man das auch ganz schön vermasseln mit den Bildern und mit den Antworten allgemein. Ich kann mich erinnern, dass ich im Grundschulunterricht referiert habe, was mir ein Verwandter über den Krebstod eines befreundeten Kindes erzählt hatte: Es musste sterben, weil der liebe Gott es gerne bei sich im Himmel haben wollte – und weil es zu viel ferngesehen hatte (ein erzieherischer Komplettausfall, Sie schütteln zu Recht den Kopf). Mein Klassenlehrer sagte daraufhin: Das mit dem lieben Gott könne er unterschreiben, das mit dem Fernsehen nicht. Weitere Erläuterungen gab es aber nicht. Ich bin sicher, dass ich mich an diese Antwort deshalb so gut erinnern kann, weil es mich verstörte, dass der Lehrer dem widersprach, was ich von anderen Erwachsenen gelernt hatte. Irgendeiner von ihnen musste also Quatsch erzählen. Aber Erwachsene wussten doch alles…?
Eine der härtesten Nüsse am Elternsein ist für mich, dass es mich zwingt, mich mit mir selbst und meiner eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Um Werte und Botschaften zu vermitteln, müssen mein Mann und ich uns darüber im Klaren (und dann auch noch einig) sein: Was hat uns als Kindern Halt gegeben, was war und ist uns wichtig? Was glauben wir, und was wollen wir, dass die Kinder für wahr halten – wenn auch nur für die ersten Jahre? Denn dass Ben im Moment und noch für eine ganze Weile zumindest ein paar Orientierungspunkte, ein paar Skizzen für ein erstes Weltbild braucht, bevor er sein eigenes zeichnet, davon bin ich überzeugt. Nur: Braucht er dafür auch ein paar geflügelte Wesen, die Geschenke bringen? Braucht er dafür einen lieben, beschützenden Gott, oder gar einen strengen, strafenden?
Ich selbst habe lauter „absolute“, vermeintlich selbstverständliche Wahrheiten vermittelt bekommen: Man streitet nicht mit Lehrern, man läuft nicht einfach auf die Straße. Aber eben auch: Es gibt Gott. Es gibt ein Leben nach dem Tod. Es findet im Himmel statt, zumindest für die Guten, und deshalb sieht man da auch die Ur-Omas und die Ur-Opas wieder. Eine etwas melodramatische Großtante von mir sagte häufig mit bebender Stimme: „Wenn man an Gott glaubt und es gibt ihn gar nicht – das ist nicht schlimm. Aber wehe, man glaubt nicht – und es gibt ihn!“ Erst als ich älter wurde, stellte ich solche „Weisheiten“ in Frage. Ich war nicht enttäuscht darüber, dass man mich belogen oder sich mangels echten Wissens einfach Dinge ausgedacht hatte. Ich habe auch nicht gewütet, als ich herausfand, dass die Eltern die Geschenke bringen und nicht das Christkind – ich war eher stolz, als ich sie endlich überführt hatte. Ich fand einfach nach und nach meine eigenen Antworten, und reichlich neue Fragen.
Als Mutter stelle ich mir heute vor allem eine: Wie viel Glauben/Religion will und soll ich meinen Kindern vermitteln, um ihnen Nächstenliebe, Empathie, Toleranz, Zuversicht beizubringen? Und: Taugt Religion überhaupt dafür? Man muss kein Historiker sein, um das anzuzweifeln. Es reicht, Weltnachrichten zu schauen. Selbst die Pfarrerin in der Kirche sagte in ihrer Weihnachtspredigt sinngemäß: „Der Heiland ist geboren! Hurra! Aber es stimmt: Vom versprochenen Frieden sind wir bis heute weit entfernt… also: Beten wir! Für den Frieden!“ Wie soll ich meinem Kind überzeugend die frohe Botschaft erklären, wenn selbst die Profis es nicht vermögen?
Und dennoch: Irgendwie habe ich das Bedürfnis, Ben von Gott zu erzählen. Vermutlich, weil ich ein paar der Geschichten über ihn selbst nicht aufgeben will. Ich mag den Gedanken, meine Ur-Omas und Ur-Opas wiederzusehen. Oder den Gedanken, dass ich meine Kinder niemals für immer verlassen muss, Wissenschaft und Aufklärung hin oder her. Ich bin aber auf der Suche nach einer kindgerechten Version der Geschichte. Deshalb haben wir uns von der Oma im Herbst ein buntes Erklärbuch für Kinder zum Thema Bibel schenken lassen (an die deutschen und polnischen Kinderbibeln im Regal habe ich mich bislang nicht herangetraut) . Die Einleitung las sich vielversprechend: Vor tausenden von Jahren „hatten die Menschen ein anderes Wissen als heute. Sie glaubten, dass nur eine große Kraft wie Gott diese schöne Schöpfung zustande bringen konnte“. Das klang etwas weniger absolut, das gefiel mir. Beim Vorlesen kam ich bei der Sache mit Adam und Eva und der Schlange noch einigermaßen durch. Bei Kain und Abel formulierte ich bereits etwas um („Er ging mit Abel aufs Feld und… äh… schimpfte mit ihm“). Bei der Arche Noah kam ich vollends ins Schwimmen („Aber sie logen, betrogen und töteten einander, sodass Gott irgendwann beschloss, seine Schöpfung mit einer gewaltigen Überschwemmung wieder zu vernichten“). Komisch, kurze Zeit später verschwand das Buch… Und mir wurde klar: Es gibt keine kindgerechte Version von Gott – es sei denn, man lässt die Menschen weg.
Wir führen Ben aus diesem Grund bisher nicht aktiv an Glaube und Religion heran und hoffen, dass die ganz tiefgehenden Fragen noch eine Weile auf sich warten lassen. Und dann wird es hoffentlich auch okay sein, zu sagen: Kind, ich weiß wirklich nicht, ob es stimmt, aber ich möchte es gern glauben (nicht das mit dem Christkind, aber die guten, tröstlichen Sachen). Meine Schwester, die Erzieherin ist, hat mir einen Tipp gegeben: Nicht zu viele Bilder auf einmal in den Kopf pflanzen. Immer nur das beantworten, was das Kind wirklich wissen will, und erst ergänzen, wenn es Nachfragen stellt. Denn manchmal setzten Eltern zu wortreichen Erklärungen an, obwohl die Kinder mit einer knappen Antwort schon zufrieden seien. Wir versuchen also, uns kurz zu fassen. Und weil man sich bei allem Wissen oder Nichtwissen auf diese eine Sache ganz gut einigen kann (sofern man nicht gerade Atheist ist), halten wir es auf der Danksagungskarte für die Glückwünsche zu unserem zweiten Sohn kurz und pathetisch mit Martin Luther: „Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt.“
Titel eingeben
Alles zu seiner Zeit…
Mit 3-4-jährigen Kindern sollten wir beten und singen und die passenden Geschichten heraussuchen.
Selbst Jakob und seine Brüder oder Geschichten um König David wären in dem Alter zu früh.
Auch im weltlichen Bereich sollten wir 4-jährigen keine Mord- und Totschlag-Geschichten vorlesen.
Religiöse Erziehung im dem Alter könnte Selbstverständlichkeiten vermitteln und sollte sich nicht an den Intellekt richten.
Alles zu seiner Zeit eben. Es grüßt Axel Nachtigall
Titel eingeben
Schöner Beitrag, nur der Schlusssatz „Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt.“ erzeugte bei mir Bilder von gequälten, verletzten, unterernährten Kindern aus dem Jemen. Gott als Konzept ist unterkomplex. Weiss ich nix, dann schreibe ich „X“, das scheint mir die einzig sinnvoll erwachsene Art mit dem Thema Gott und Glauben umzugehen. Offenlassen, alles offenlassen, was nicht vernünftig erfahrbar ist.
Gott für Kinder?
Der Verfasserin zum Trost: Unser Reden von Gott ist immer menschlich. Das kann ja gar nicht anders sein. Etwas in Worte zu fassen, was schon immer da war und nicht an Raum und Zeit gebunden ist, kann nur sehr begrenzt angemessen sein. Geht uns genau so. Dem Kind sagen, dass Gott größer ist als unsere Bilder, ist ein Weg. Warten, bis das Kind dies versteht, ist nicht immer leicht. Also: die Frage nach Gott offen halten.
leonardo
Menschengerecht
Gott kennen zu lernen entspricht dem tiefen Bedürfnis des Menschen, – schließlich ist jeder Mensch von Gott geschaffen und geliebt.
Deshalb dürfen auch die Kinder – kindgerecht – Gott kennenlernen: „Da wurden Kinder zu ihm gebracht, dass er die Hände auf sie legte und betete. Die Jünger aber fuhren sie an. Aber Jesus sprach: Lasset die Kinder und wehret ihnen nicht, zu mir zu kommen; denn solchen gehört das Himmelreich. Und er legte die Hände auf sie und segnete sie.“
Kinder segnen, mit ihnen beten und singen, von Gottes Liebe sprechen, – der selbst als Kind zu uns Menschen gekommen ist. Das wäre kindgerecht.
"... um ihnen Nächstenliebe, Empathie, Toleranz, Zuversicht beizubringen?"
Glaube also nur ein Vehikel, das Gute zu fördern?
Nach Friedrich Schleiermacher (der letztes Jahr mit einer Sonderbriefmarke geehrt wurde) ist aber der christliche Glaube weder eine Moralvermittlungsanstalt, noch dafür zuständig uns die Welt zu erklären.
Vielmehr ist das Eigentliche die Begegnung zwischen Mensch und Gott, das Wahrnehmen der Offenbarung Gottes: „Das wahre Licht, das in die Welt gekommen ist und nun allen Menschen leuchtet, ist Er, der das Wort ist.“
(Siehe dazu: F. Schleiermacher, „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“)
Erschreckend wie Glaube den Verstand verbiegt.
Ich kenne Menschen, denen mit zunehmenden Zuwachs des Verstand irgendwann klar wurde, das das Christentum eine von Menschen gemachte Erfindung ist. Und dennoch konnten sie sich nie vollständig davon lösen, da ein in der Kindheit tief angelegter Kontrollmechanismus Schuldgefühle und Angst erzeugten. Zudem ist es auch ein Weg das Offensichtliche nicht wahr haben zu müssen. Scheinbar ist die Wahrnehmung des Tod als endgültiges Aus ohne Abrechnung und Bilanz von guten und schlechten Aktionen, für das Ego vieler Menschen nicht akzeptabel. Den Mechanismus dieses selbst replizierenden Gedankenvirus „Religion“ zu durchbrechen scheint für den immer noch eher primitiven Entwicklungsstatus des Menschen kaum möglich zu sein. Daher werden Sie, als infizierter Elternteil, die doch eher absurden religiösen Denkmechanismen, in ihren wehrlosen Nachwuchs weiterhin einprägen. Wie von ihnen beschrieben, mit Mutationen variiert, aber letztlich ohne Chance ihrer Kinder zur selbstbestimmten Entfalt
Richard Dawkins läßt grüßen
Ich denke, Sie machen es sich, wie Richard Dawkins, zu einfach.
Der strafende Gott ist wichtig für Kinder
Bei allem Respekt, dieser Text ist für mich ein typisches Beispiel für die larmoyante Selbst-Zentriertheit vieler Eltern in der heutigen Zeit, für die „Erziehung“, natürlich immer „kindgerechte“, zum Fetisch geworden ist. Früher haben Eltern auch gewusst, welche Bibelgeschichten für Dreijährige angemessen sind, ohne darüber pädagogische Theologie im Internet zu treiben. Deren Merkmal: Ausblenden vermeintlich verstörender Aspekte im Gottesbild der Bibel. Gerade Kinder haben einen Sinn für Gerechtigkeit, und darum kann nur ein auch strafender Gott konsequent für Kinder sein. Die Bibel zeichnet Gott nicht grundlos auch als einen Gott, vor dem man erschrecken muss, dessen Wege nicht nur unergründlich, sondern auch manchmal abgründig erscheinen. Wie sollen Kinder später im Leben angesichts von Leid auf Gott vertrauen, wenn sie in ihr Gottesbild nicht wenigstens in Ansätzen die „machtvolle, dreinschlagende Hand Gottes“ als Korrektiv zum immer liebenden Feelgood-Gott integrier
Keine kindgerechte Version von Gott
Man könnte es ja einfach mit der Wahrheit versuchen:
Es gibt Menschen, welche an einen ewigen Gott glauben, der Himmel und Erde und alles was darauf lebt, geschaffen hat und bewahrt,
es gibt Menschen, welche nicht glauben, daß es einen solchen Gott gibt,
und niemand weiß, wer Recht hat.
Elke
Ja, so habe ich in etwa vor 40 Jahren versucht, mit meiner dreij. Tochter zu reden. Ich dachte, so könnte ich wohl ausweichen, es offen lassen.
Nach kurzer Pause : Und was glaubst du, Mama? – Ausweichen geht nicht!
Irgentwie sagte ich wohl in etwa: Ich hab dich so lieb und möchte, dass für dich alles gut wird. Und denke und hoffe, dass es etwas gibt, das uns beschützt und das auch will.So stelle ich mir Gott vor.
Es gibt keinen Gott
Und das ist gut so. Kinder in die Irre zu führen ist unverantwortlich.
Gottesbild, die Theodizee und Vielschichtigkeit der Sprachbilder, 1
Die geschilderte Situation ist vermutlich typisch für heutige Eltern, die aus einem homogenen christlichen Umfeld (ggf. ländlich geprägt) in ein heterogenes, latent glaubensfeindliches urbanes Umfeld wechseln. Die eigenen religiösen Konflikte während des eigenen Heranwachsens wurden mit Pauschalantworten vom Tisch gewischt und stehen ungelöst oder unverarbeitet im Raum. Im neuen Umfeld ohne die alten Gewissheiten der vorangehenden Generation stellen sich nun die gleichen Fragen aus kleinen Mündern wieder, nur es fehlen die Antworten.
Die Stärke der Bibel liegt in der Vielschichtigkeit der sprachlichen Bilder. Sie sind in von der einfachsten kognitiven Ebene bis zur komplexen intellektuellen Betrachtungen mit persönlichem Gewinn interpretierbar.