Als Kind ging ich lieber zum Zahnarzt als zum Friseur. Was auch mit meinem Friseur zu tun hatte. Seine Kunstlederweste, der Kamm in der Brusttasche, die schweren Friseurstühle, die man mit einem langen Pedal hochbocken konnte, das unvorteilhafte Licht, und die vielen Dauerwellenfrauen, die, leicht lila gefärbt, aussahen wie Margot Honecker, haben mir den Friseurbesuch wohl grundsätzlich und bis heute madig gemacht. Obwohl ich mittlerweile der Hölle des Dorffriseurs entronnen bin und mich bei stylischen und sündhaft teuren Großstadtmaestros verunstalten lasse, ist der Rest Unbehagen geblieben.
Die Jahrzehnte sind vergangen. Als Vater merkt man nun, dass man dem Kindheitstrauma nicht für alle Ewigkeit entkommen kann. Mit Elias bin ich neulich zu einem Friseur gegangen, der lustige Sitzfiguren im Salon hat und einen Fernseher mit DVD-Player, damit die Kleinen hocken bleiben, während ihnen der klassische Pottschnitt verpasst wird. Natürlich weinte er trotzdem, er ist eben noch ein Kleinkind und weiß nicht, was der Mann mit der großen Schere vorhat. Dieser Friseur war aber okay, weil er einigermaßen einfühlsam ist, preislich stimmt (9 Euro für Kinder), Geschreie erträgt und sozusagen einpreist – und ansonsten nicht nervt. Der Kleine saß bei mir auf dem Schoß, was ihn sich schnell beruhigen ließ. So sehe ich das: Schnipp und Schnapp und wieder weg!
Nun bekam ich an einem Tag ein gewichtiges Problem: Dieser Friseurladen war geschlossen. Also irrte ich mit dem Kleinen durch unseren Wohnort auf der Suche nach einem kinderfreundlichen und preisgünstigen Friseur, der eine gewisse Mindestqualität erfüllt. Das war schwierig. Nicht, weil es nicht genügend gegeben hätte, aber drei Absagen musste ich mir einhandeln. In zwei Fällen war der Wille der Friseurin, einem Kind die Haare zu schneiden, gelinde gesagt, suboptimal ausgeprägt. Vielleicht zu laut, zu wenig lukrativ. Stattdessen saßen in beiden Fällen zu bester Nachmittagsstunde zwei betagte Damen in den Friseurstühlen, die das Rundumwohlfühlprogramm genossen – inklusive Kopfmassage und Spachtel-Kosmetik.
Dann wurde ich fündig, endlich. Zwar ein Friseur ohne Kinderstühle, dafür aber mit Umhang mit lustigen kleinen Comicfigürchen, einem vernünftigen Preis (10 Euro) und – wichtigstes Qualitätsmerkmal – zwei Kindern nebst Müttern, die sich bereits in den Fängen der Friseurmeisterin befanden. Also ging ich hinein, wie üblich im geringeren Preissegment war ein Termin nicht nötig, alles unproblematisch – so dachte ich. Doch dann geschah die ästhetische Vollkatastrophe, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
Die Friseurin war komplett ahnungslos. Ich dachte, einen Kinderkopf zu frisieren, sei keine große Kunst, weit gefehlt. Sie schnitt und schnitt und schnitt und schnitt, und es sah immer schlimmer, schlimmer und schlimmer aus. Um den einen fehlerhaften Schnitt zu begradigen, schnitt sie ein zweites, drittes, viertes Mal, die Haare purzelten, und der kleine langhaarige Bombenleger geriet immer mehr zum blonden deutschen Jungen, wie ihn sich manche Kreise am rechten Rand nur so wünschen würden.
Als ich Einhalt gebot, war es zu spät. Mein Zwischenruf sorgte jedoch immerhin dafür, dass sich die Ladeninhaberin zu einer Kurzintervention aufgerufen fühlte. Mit dem Rasierer rückte sie den stumpfigen Resten am Kopf zu Leibe, machte daraus wieder etwas halbwegs Ansehnliches, wenn auch viel zu kurz. Meine Oma hätte gesagt: ein schöner Jungenhaarschnitt. Ich sage: schrecklich! Die schöne Langhaarfriseur war erst einmal dahin und mein Vertrauen in die Friseure wieder in den Grundfesten erschüttert.
Ich hätte das Geld zurückverlangen sollen, so geistesgegenwärtig allerdings war ich – der um Schadensbegrenzung bemühte Vater – nicht. Zumal, mir graute vor der Rückkehr nach Hause, wenn die zweifellos empörte Mutter mir statt der Friseurin den Kopf waschen würde, garantiert ohne Wellnessfaktor. Also schickte ich ihr vorab ein Whatsapp-Bildchen, natürlich in schmeichelhafter Perspektive. Friseurbesuche jedenfalls, das ist meine Lektion, bleiben selbst für Kinder eine gefährliche Angelegenheit. Und gruselig: Wie inkompetent kann man sein, wenn man diesen Beruf gelernt hat?