Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Zweisprachige Erziehung – der Migranten-Komplex

© ReutersSpätestens bei der Jobsuche sind Sprachkenntnisse Gold wert – wie hier bei einer Messe in Berlin.

Unsere Kinder sollen Polnisch lernen – das war meinem Mann und mir von Anfang an wichtig. Ich bin in Polen geboren, aber in Deutschland aufgewachsen, seit ich vier Jahre alt war. Bis heute habe ich Familie in Oberschlesien, und in meinem Elternhaus wurde immer deutsch-polnisches Durcheinander gesprochen, so dass ich zumindest die polnische Umgangssprache ganz gut beherrsche (einen Behördenbrief könnte ich nicht aufsetzen, aber die polnische Sprache hat einfach die allerbesten Flüche).

Auch unsere Kinder, so die Idee, sollten sich mit der Verwandtschaft verständigen können; außerdem beschert zweisprachige Erziehung dem Hirn des Kindes ja angeblich ein paar Extra-Synapsen. Dabei war klar, dass das Polnische mein Part sein würde. Mein Mann kann zwar mittlerweile „Bitte“, „Danke“ und – ganz wichtig – „Das war lecker, aber ich bin wirklich satt“ auf Polnisch sagen. Er hat sich mithilfe eines Reisewörterbuchs sogar „Diesen Zahn bitte nicht ziehen!“ beigebracht (man könne ja nie wissen), aber da hört es leider auf. Mir wiederum fiel es am Anfang überhaupt nicht schwer, mit Ben ausschließlich Polnisch zu sprechen, obwohl ich selbst auf Deutsch denke und träume. Das Tolle an der polnischen Sprache ist, dass man im Grunde alle Nomen verniedlichen kann, was überaus praktisch ist in der Kommunikation mit kleinen Kindern. Das ergibt dann übersetzt Wörter wie Sonnchen, Schmetterlingchen, Kaninchen-chen (Sie verstehen die Mechanik?) und so weiter, aber mit mehr Vielfalt bei den Endungen und mit viel schönerem Klang als im Deutschen, zumindest für Ohren, die das Slawische gewöhnt sind.

Dass die deutsche Sprache bei unserem Sohn dennoch die Hauptsprache werden würde, war gewollt und ist auch so gekommen. Ben lernte trotzdem sehr schnell, Polnisch zu verstehen. Er spricht es selbst kaum, kann aber ohne jede Verzögerung auf Deutsch antworten, wenn ich ihn auf Polnisch anspreche. Doch je komplexer seine deutschen Sätze und Fragen in den vergangenen Jahren wurden, desto kniffeliger wurde es für mich. Zum einen fehlten mir zunehmend die polnischen Vokabeln, um ihm angemessen auf Polnisch zu antworten, ich stammelte mir nur irgendetwas zurecht und sagte deshalb immer häufiger zu meinem Mann: „Erklär du ihm das schnell auf Deutsch.“ Das frustrierte mich wiederum schon bald, denn so sprach ich weniger mit meinem Kind, als ich wollte und gekonnt hätte – und es konnte ja nicht sein, dass Mama nur für das simple Heiteitei und Papa für die komplizierten Erläuterungen zuständig ist.

Diffuses Unwohlsein

Doch da war und ist bis heute noch etwas anderes. Dieses diffuse Unwohlsein, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin und sie in der Öffentlichkeit auf Polnisch anspreche. Kommt es mir so vor oder horchen viele Leute im Bus dann auf? Und wenn ja: Horchen sie auf, weil sie sich fragen, welche Sprache das ist oder weil es sie stört? Gucken sie interessiert oder gucken sie komisch? Fakt ist: In der Hauptstadt leben Menschen aus fast 200 Nationen, die Polen sind dabei nach den Türken die zweitgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe. Im Berliner Nahverkehr sind folglich ständig die unterschiedlichsten Sprachen zu hören – das macht Berlin ja so wunderbar. Ich selbst habe noch nie einen fiesen Kommentar bezüglich meiner Abstammung gehört (sondern „nur“ wegen meines unverschämt großen Kinderwagens, der den Gang blockiere) oder einen Blick vernommen, der zweifelsfrei das Sprechen einer „fremden“ Sprache missbilligte (unfreundlich gucken können viele Berliner auch ganz ohne Grund). Aber eine befreundete Mutter mit türkischen Wurzeln hat kürzlich in eben jenem Berlin etwas erlebt, das fassungslos macht: Sie fuhr mit ihren beiden Jungs im Bus, sprach mit ihnen Türkisch und bekam von einem Fahrgast zu hören, Leute wie sie gehörten „in die Gaskammer“. Ich war bei dieser Szene nicht dabei – ich hoffe, ich hätte vor Empörung den ganzen Bus zusammengeschrien und die Polizei gerufen.

Rechte, rassistische und antisemitische Übergriffe hätten in Berlin zuletzt zugenommen, gab die Opferberatungsstelle Reach Out vor kurzem bekannt – von 267 Fällen im Jahr 2017 auf 309 Fälle im Jahr 2018, mit Rassismus als häufigstem Motiv. Habe ich also bisher nur Glück gehabt – vielleicht, weil ich jederzeit zwischen den Sprachen wechseln kann und Rassisten, wenn es hart auf hart kommt, in akzentfreiem Deutsch anschnauzen könnte? Weil ich nach knapp 30 Jahren in diesem Land „deutsch genug“ bin, im Gegenzug zu den vielen Menschen, die noch nicht so lange hier leben und/oder die Sprache weniger gut beherrschen?

Das ist natürlich Quatsch. Und dennoch ertappe mich dabei, dass ich in Gesellschaft von Menschen, die ich nicht kenne, lieber auf Deutsch als auf Polnisch mit meinen Kindern spreche, obwohl ich Polnisch konsequent durchziehen müsste, um sie nicht zu verwirren. Oder dass ich zumindest immer mal etwas Deutsches einstreue, nach dem Motto: „Seht her, ich bin eine von euch, ich bin integriert.“ Als käme es dafür (allein) auf die Sprache an. Ich weiß auch, dass ich etwas leiser werde, wenn ich ins Polnische wechsle, beispielsweise am Telefon. Es ist etwas anderes, wenn ich von Freunden oder Bekannten umgeben bin, die die Sprache nicht verstehen – da spreche ich mit meinen Jungs direkt Deutsch, damit ich nicht für die anderen übersetzen muss. In der S-Bahn oder im Bus könnte es mir hingegen egal sein, ob ich verstanden werde oder nicht. Ist es aber nicht. So bin ich aufgewachsen: immer bedenken, was andere denken oder sagen könnten. Sich anpassen um jeden Preis; möglichst nicht als „fremd“ auffallen.

Minderwertigkeitskomplex, den man nicht mehr los wird

Was soll ich sagen, es hat funktioniert. Nur ist daraus offenbar ein Minderwertigkeitskomplex geworden, den ich nicht mehr abschütteln kann. Dabei wünsche ich mir, dass meine Kinder die Zweisprachigkeit als Bereicherung empfinden, nicht als etwas, was ihnen oder ihrer Mutter unangenehm ist. Ich will nicht, dass sie sich vor schiefen Blicken fürchten – ob begründet oder nicht. Ob sie Polnisch jemals wirklich gut können und ihnen das im Leben nützt, weiß ich nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihnen schadet. Deshalb versuche ich, an meinem Migranten-Komplex zu arbeiten und wieder mehr Polnisch zu sprechen, auch, wenn es unbequemer ist. Erst recht jetzt, da wir mit unserem Jüngsten Lukas (sechs Monate) eine Gelegenheit haben, noch mal neu anzufangen mit der Zweitsprache. Englisch kann schließlich heutzutage fast jeder – wer hingegen beherrscht schon eine Sprache, in der gefühlt 20 Konsonanten auf einen Vokal kommen? Außerdem gibt es nichts Schöneres, als wenn der große Sohn und sein Vater sich in den Ferien bei der polnischen Schnitzel-Oma (der Name ist Programm) die Bäuche vollschlagen und zu ihr sagen können: „Smakuje!“