Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Sagt man. Das stimmt aber leider nicht immer. Meine älteste Tochter (12) zum Beispiel wartet seit einigen Tagen auf den Rückruf des örtlichen Forstamtes, aber das hat sich bisher nicht gemeldet. Dabei läuft uns die Zeit davon. Meine Tochter möchte nämlich den Girls’Day (am 28.3.!) im hiesigen Forst verbringen, einem Forstwirt bei der Arbeit zuschauen. Vor allem aber am Girls‘ Day nicht in die Schule müssen. Das wäre die schlimmste Option: Im Klassenzimmer Filmchen über die Arbeitswelt angucken, während die Mitschülerinnen tolle Sachen machen in irgendwelchen Agenturen, Handwerksbetrieben oder Unternehmen.
In die Arbeitswelt der eigenen Eltern reinschnuppern scheidet aus: Meine Frau fängt jetzt erst ihre neue Stelle an, und ich sitze nur am Computer und mache „Tippi-Tippi“ (wie unsere Jüngste meine Tätigkeit bezeichnet). Zu langweilig. Außerdem soll der Girls’Day ja vor allem Einblicke in technische oder naturwissenschaftliche Arbeitsfelder vermitteln, da wäre unsere Tochter bei uns ziemlich falsch. (MINT halten meine Frau und ich bestenfalls für eine Farbe oder eine Geschmacksrichtung bei dunkler Schokolade. Und ich bin ja schon froh, wenn das WLAN funktioniert.)
Zugegeben: Der Termin für den Girls’Day steht schon seit Monaten fest, die Infoblätter hatte ich, glaube ich, schon Anfang Januar in der Hand. Und mit etwas mehr elterlicher Unterstützung hätte meine Tochter wahrscheinlich jetzt keine Torschlusspanik. Außerdem gibt es da ja auch noch eine eigene Suchmaschine auf der Plattform des Girls’Day im Internet. Wir haben da gestern auch mal reingeschaut – es gab noch zwei offene Angebote in unserer Nähe: Schnuppertag bei der Bundeswehr (ab 15 Jahren) und Einblicke in das Arbeitsfeld einer Fachkraft für Lagerlogistik. Wir haben dann doch lieber noch bei unserem griechischen Lieblingsgastronom um die Ecke angefragt, ob unsere Zwölfjährige einen Tag in der Küche helfen kann. Leider ohne Erfolg.
Ich habe, ehrlich gesagt, ein sehr zwiespältiges Verhältnis zum Girls’Day.
Sicher, es gibt gute Gründe, Mädchen für sogenannte „Männerberufe“ zu interessieren und mit diesen blöden Rollenfestlegungen aufzuräumen. Ohnehin bin ich als Vater von drei Töchtern notwendigerweise Feminist. Und ich weiß auch, dass sich durch abwarten oder aussitzen noch nie etwas geändert hat in der Welt. Wenn ich mir nur vorstelle, meine irgendwann erwachsenen Töchter dürften nicht wählen gehen, ihr Vermögen nicht selbst verwalten, keiner beruflichen Tätigkeit oder keinem Studium nachgehen ohne Einwilligung eines Mannes, dürften nicht selbst bestimmen, wie sie leben möchten oder mit wem, dann steigt mein Blutdruck in gefährliche Höhen. Das alles klingt nach grauer Vorzeit und ist doch gar nicht so lange her. Wahrscheinlich hätte ich als Vater damals auch alles so hingenommen und meinen Töchtern erzählt, dass das eben so sei im Leben. Weil … warum auch immer.
Ich bin deshalb sehr dankbar für das, was schon erreicht worden ist bei der Gleichstellung, und ich bin den Frauen dankbar, die meinen Töchtern ein besseres Leben erkämpft haben, (und ich bin froh über jene Männer, die auf diese Frauen gehört haben). Aber das reicht mir nicht. Ich will nicht, dass wir unsere Töchter in einer Gesellschaft großziehen, in der Frauen pro Stunde immer noch 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Schon klar, das ist der „unbereinigte“ Verdienstunterschied, der „bereinigte“ fällt um einiges geringer aus. Aber was ist meinen Töchtern geholfen, wenn man beim Vergleichen nur das Einkommen von Betriebsleiterin und Betriebsleiter vergleicht – und nicht fragt, warum Frauen häufiger als Männer unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeiten verrichten, oder gar nicht erst in Berufen oder auf Positionen landen, die finanziell besser ausgestattet sind.
Das hat nichts mit ideologisch geprägter Gleichmacherei zu tun – sondern mit Chancengerechtigkeit, mit Freiheitsgraden. „Geld ist geprägte Freiheit“, sagte Dostojewski. Und so ist es. Da gibt es auch nichts zu romantisieren oder zu relativieren von wegen unterschiedlicher Qualifikationen oder Tätigkeiten: Wenn eine Gruppe tendenziell schlechter abschneidet beim Geld – so wie die Frauen – dann ist sie unfreier als andere. Als einer der Hauptgründe für den Gender Pay Gap wird immer wieder angeführt, dass Frauen häufiger in Branchen und Berufen arbeiten, in denen schlechter bezahlt wird, und Frauen seltener Führungspositionen erreichen.
Das alles scheint also für den Girls’Day zu sprechen: Macht Mädchen neugierig auf die besser bezahlten Männerjobs, dann löst sich das Problem schon. Doch was da als Lösung eines Gerechtigkeitsproblems verkauft wird, zielt in Wirklichkeit auf etwas ganz anderes: die Ausweitung des Arbeitskräftepotenzials in techniknahen Berufen. Das ist legitim, hat aber nichts mit Emanzipation zu tun.
Emanzipation hat immer mit der Zunahme von Freiheitsgraden zu tun, mit der Frage, ob ich die Wahl habe. Nicht das Madigmachen von „Frauenberufen“ macht Mädchen freier, sondern die Besserstellung der Wertigkeit ihrer Tätigkeiten. Die bessere Finanzierung bisher schlecht oder gar nicht bezahlter „Frauenberufe“ wäre so ein Schritt vorwärts – dann würden sich vielleicht auch mehr Männer dafür interessieren.
Und wer bei seinen Kindern Rollenklischees wirklich durchbrechen will, darf damit nicht bis zum ersten Girls‘ (oder Boys‘) Day in der 5. Klasse warten. Und sollte lieber Pippi Langstrumpf vorlesen als Prinzessin Lillifee. Girls’Day ist jeden Tag ab Geburt – oder gar nicht.
Im vergangenen Jahr war meine Tochter beim Girls’Day in einer sogenannten Software-Schmiede. Sie fand das toll, weil sie mit einem Virtual-Reality-Headset virtuelle Gegenstände durch einen virtuellen Raum bewegen konnte. Außerdem gab es ein Mittagessen in der Firmenkantine.
Den Tag beim Förster habe übrigens ich meiner Tochter vorgeschlagen, nachdem sie ihre Zielvorstellungen für den diesjährigen Girls’Day ungefähr so beschrieben hat: „Irgendwas mit Fotos oder Design oder Tieren oder Bedienen in einem Restaurant.“ Ich finde, Forstamt kommt irgendwie hin. Das Leben ist eben kein Ponyhof.