Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Babysitter, verzweifelt gesucht

Gute Babysitter sind schwer zu finden – und schenken den Eltern Freiheit.

Wenn Paare zu Eltern werden, bedeutet das immer eine riesige Veränderung für die Partnerschaft. Kinder bestimmen viele Jahre unseren Tagesablauf und rauben uns einen großen Teil unserer Freiheit. Vor allem in den ersten Monaten und Jahren stellt ein Kind die Welt seiner Eltern auf den Kopf. Eine Zeit, in der ich wenig Verlangen verspürte, am Wochenende in High-Heels und Abendkleid zu schlüpfen um Sekt schlürfen zu gehen, da meine Energie nicht mal für Jeans, Turnschuhe und Kino ausgereicht hätte. In Ruhe duschen oder mit der Freundin ungestört einen Kaffee trinken bedeuten für viele Mütter mit kleinen Babys und Kleinkinder schon Luxus.

Dennoch kommt irgendwann der Moment, in dem man abends doch mal wieder vor die Tür gehen will. Zu zweit, als Paar. Wohl dem, der Großeltern in unmittelbarer Nähe wohnen hat, ein gutes Verhältnis zu ihnen pflegt und somit den idealen Babysitter besitzt. Uns fehlte damals beides: Entweder ich musste eine halbe Weltreise zu meiner Mutter antreten oder ich hätte über meinen Schatten springen und meine Schwiegereltern fragen müssen, zu denen die Beziehung viele Jahre schwierig war. Zudem empfand ich den Aufwand, meine Kinder mit Sack und Pack woanders hin zu karren und sie am nächsten Tag abholen zu müssen, unangemessen und lästig. Meine Kinder sollten in ihren eigenen Betten einschlafen und aufwachen. „Kennst du einen guten Babysitter“?“, fragte ich mich durch den Bekanntenkreis. „Nein, wir suchen auch. Wenn ihr einen findet, dann sagt mal Bescheid.“

Je kleiner die Kinder sind, desto schwieriger die Suche nach jemanden, dem man sein Kind anvertrauen möchte. Das Bauchgefühl muss stimmen, wenn ich eine fremde Person in mein Leben und in meine vier Wände lasse. Nichts kann Eltern den Abend so sehr verderben wie das ständige Kopfkino und die Sorge, dass es dem Nachwuchs gerade nicht gut gehen könnte. Meine Jüngste, Maya, war ein totales Mama-Kind, das nie von meiner Seite wich, fremdelte und sehr lange brauchte um aufzutauen. Die Hoffnung, für meine damals Dreijährige einen geeigneten Babysitter zu finden, hatte ich langsam aufgegeben. Ihre ältere Schwester Lara war in der Hinsicht immer schon pflegeleichter und offener und stellte nie ein Problem dar. Wir suchten aktiv, aber die Babysitter-Vermittlungen auf Onlineportalen überzeugten mich nicht. Mir fehlten im Vorfeld ein Bild und der persönliche Eindruck der Person, und ich hatte auch keine Lust, massenhaft Vorstellungsgespräche zu veranstalten.

Eines Tages holte ich Maya vom Kindergarten ab und wunderte mich. Maya saß im Abschlusskreis auf dem Schoß einer neuen, jungen Praktikantin. So schnell und innig ließ sie sich selten auf neue Bezugspersonen ein. Aber zu Katharina, der siebzehnjährigen Praktikantin, hatte sie sofort Vertrauen gefasst. Katharina strahlte eine angenehme Ruhe aus und wollte Erzieherin werden. Nach einiger Zeit sprach ich sie auf den Babysitter-Job an, und so kam sie zu einem ersten Probe-Nachmittag zu uns. Wir hatten sofort ein gutes Gefühl mit ihr. Ab diesem Zeitpunkt gönnte ich mir mit meinem Mann wieder mehr oder weniger regelmäßige Dates. Die Mädchen freuten sich immer sehr auf die Abende mit Katharina. Schon Tage vorher überlegten sie, welche Bücher sie mit ihr lesen, welchen Film sie mit ihr schauen und welche Spiele sie mit ihr spielen könnten.

Auch für meinen Mann und mich waren die Auszeiten etwas Besonderes, allein aus Kostengründen. Jede Stunde länger im Restaurant oder bei Freunden verteuerte den Abend, wenn das Babysitter-Taxameter lief. Deswegen – und auch aus Rücksicht auf Katharina und weil wir wegen der Kinder sowieso nie richtig ausschlafen konnten – zogen wir die Abende nie unnötig in die Länge. Und dann gab es da die Tage, an denen wir eigentlich keine Lust hatten, das Haus überhaupt zu verlassen. Ich erinnere mich an einen verregneten, kalten Novemberabend, den mein Mann und ich lieber im Jogger vor der Glotze verbracht hätten. Wir waren müde und lustlos, wollten Katharina aber nicht absagen. Schließlich hatte sie sich diesen Abend für uns freigehalten. Sie war immer zuverlässig und auf die Minute pünktlich, im Gegenzug wollten auch wir ihr eine gewisse Planungssicherheit bieten. Unter keinen Umständen wollten wir sie vergraulen. Aus lauter Not sahen mein Mann und ich uns im Kino einen Film an, den wir eigentlich gar nicht sehen wollten, und versuchten anschließend die Zeit im Auto totzuschlagen. Letztendlich fuhren wir nach Hause, entschuldigten uns zerknirscht für unsere vorzeitige Rückkehr und bezahlten entsprechend mehr.   

Erst nach dreizehn langen Jahren erlangten wir unsere Freiheit und Spontanität endlich wieder. Maya war neun, Lara fast dreizehn. Wir hatten Karten für ein Popkonzert, auf das ich mich schon ewig freute. Ich hatte verschwitzt, Katharina Bescheid zu geben, und ärgerte mich. Nun waren wir abhängig von ihrem Terminplan. Würde sie nicht können, müssten wir das Konzert abblasen oder uns andere kreative Wege suchen, die Kinder unterzubekommen. Vielleicht könnte die Nachbarin? Oder die Mädchen könnten bei ihren Freundinnen übernachten? Während ich laut nachdachte, verkündete Maja ganz nebenbei: „Ich kann mit Lara allein zu Hause bleiben.“ Hatte ich mich verhört? „Wirklich?“, fragte ich ein paarmal sicherheitshalber nach. Ich sagte ihr, dass wir vierzig Autominuten entfernt und während des Konzerts nicht erreichbar sein würden. Ich wollte auf jeden Fall mit offenen Karten spielen. Dies bedeutete eine Chance! Wenn dieser Abend funktionierte, würde sich unsere Freizeitgestaltung in Zukunft erheblich vereinfachen. Zwar hätte ich lieber klein angefangen, etwa mit einem Restaurantbesuch in der Nähe, schnell erreichbar für den Notfall, aber Mayas Angebot war einfach zu verlockend, als dass ich es hätte ausschlagen können. Außerdem war Katharina inzwischen längst mit ihrer Ausbildung fertig und arbeitete Vollzeit als Erzieherin. Uns war klar, dass sie nicht mehr ewig zu uns kommen würde.

Wir unternahmen alles, um die Premiere unseres Babysitter-freien Lebens so optimal wie möglich zu gestalten. Ich besorgte Popcorn, Chips, Gummibärchen, kaufte den Film auf DVD, den Maya immer schon einmal anschauen wollte und erlaubte den Mädchen so lange aufzubleiben, wie sie wollten. Ich gab von unterwegs Updates per Whatsapp: „Sind jetzt da und gleich nicht mehr erreichbar.“ Ich genoss das Konzert so sehr, dass ich vergaß mir Sorgen zu machen. Was sollte auch passieren? Maya war längst alt genug, um mit ihrer Schwester allein zu Hause zu bleiben. Nach dem Konzert, noch in der Schlange zur Garderobe, meldete ich mich sofort bei meinen Töchtern: „In einer dreiviertel Stunde sind wir zurück.“  Die Mädchen schickten Fotos, auf denen sie mit ihren Popcornschüsseln in der Hand vor dem Fernseher hockten. Sie hatten einen tollen Abend! Wir hatten einen tollen Abend! Alles war perfekt gelaufen.

Zuhause rechnete ich spaßeshalber die gesparten Betreuungskosten zusammen und freute mich. Jahrelang mussten wir auf Einladungen mit „Wir kommen gerne, vielleicht aber nur einer von uns, falls unsere Babysitterin nicht kann“, reagieren. Nun konnten wir einfach zusagen. Sogar spontane Spaziergänge mit anschließender Einkehr in den Biergarten wurden wieder möglich, selbst nach Einbruch der Dunkelheit. Maya blieb tagsüber auch ohne ihre Schwester alleine zu Hause. Wir rückten als Paar wieder zusammen. Waren nicht mehr nur Eltern.

Inzwischen sind meine Töchter elf und fünfzehn. Mein Mann und ich können das Haus allein verlassen, wann immer wir wollen. Zu Katharina pflege ich noch losen Kontakt, gratuliere ihr zum Geburtstag und schicke hin und wieder Fotos von den Mädchen. „Wahnsinn, wie groß die schon sind“, schreibt sie dann zurück. In diesem Sommer hat sie geheiratet. Sie im Brautkleid zu sehen war für mich sehr emotional. Ich erinnerte mich an die vielen Abende, an denen wir Katharina schlafend auf unserem Sofa vorfanden, begraben unter ihren Fachbüchern, geschlaucht von der Woche und der Lernerei. In all den Jahren hat sie uns nicht ein einziges Mal im Stich gelassen. Sie war ein Glücksfall. „Wenn du irgendwann mal einen Babysitter brauchst“, schrieb ich mit unseren Hochzeitswünschen, „dann melde dich. Lara und Maya übernehmen den Job gerne!“ Denn ich weiß, wie schwierig die Suche nach einer Person ist, der man mit gutem Gefühl sein Kind anvertrauen möchte.