Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Ferien for Future

Es müssen nicht immer die Seychellen sein – auch wenn die Kinder sich das so vorstellen.

Am letzten Schultag vor den Herbstferien kam unsere jüngste Tochter (6) merkwürdig wortkarg nach Hause. Das war in doppelter Hinsicht verwunderlich: Erstens sprudelt sie normalerweise schon an der Tür mit dem heraus, was sie so in der Schule erlebt hat. Und zweitens ist ja der letzte Schultag meist ein so erfreuliches Datum für Schulkinder, dass sich deren gute Laune auch in einem schwer zu bändigenden Redeschwall äußert. Normalerweise.

„Was ist denn los?“, fragte ich so einfühlsam, wie ich das neben meiner Beschäftigung mit zwei zu heißen Bratpfannen und einer Schüssel leicht verklumptem Pfannkuchenteig hinbekam. „Komm, sag schon!“ Ein Fehler, wie sich schnell herausstellte, solche Fragen stellt man nicht, wenn Essen auf dem Herd steht. Denn da brach es schon aus dem armen Kind heraus. Schluchzend berichtete unsere Tochter davon, dass sie heute im Abschlusskreis ihrer Klasse gar nicht erzählen konnte, was sie in den Herbstferien machen würde. „Ich weiß doch gar nicht“, stieß sie unter Tränen hervor, „ich weiß doch gar nicht, was wir machen!“

Gott sei Dank übernahm an dieser Stelle meine Frau die psychologische Nachsorge unserer stuhlkreisgeschädigten Tochter. Denn das Thema „Was machen wir eigentlich in den Schulferien?“ ist inzwischen ein rotes Tuch für mich. Ich schwanke da regelmäßig zwischen selbstgerechtem Moralismus, hedonistischem Anpassungswahn und zynischer Weltverachtung. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich Aussagen wie „Ich weiß doch gar nicht, was wir machen“ (plus Tränen) schnell als Vorwurf verstehe. Sollten fürsorgliche Eltern nicht mindestens ein Jahr vorher wissen, was sie mit ihrem schulpflichtigen Nachwuchs in den Herbst-, Weihnachts-, Winter-, Oster-, Pfingst- und Sommerferien anstellen? (Vor allem, falls sie verreisen möchten? Ich bin immer vollkommen entgeistert, wenn ich auf Eltern treffe, die tatsächlich jetzt schon die gesamte Urlaubsplanung des Folgejahres abgeschlossen haben.)

Unsere älteren Töchter wissen inzwischen in der Regel, dass ich bei diesem Thema eine kurze Zündschnur habe. Manchmal starten sie trotzdem einen Vorstoß, um das Terrain zu erkunden:
Älteste Tochter (12): „Übrigens fliegt [Name einer Mitschülerin] mit ihrer Familie in den Herbstferien nach Florida.“ Ich presse die Lippen zusammen, dann nuschle ich irgendwas von „Fridays for Future“ und bin wieder still. Da nimmt die Große den Ball wieder auf, nennt weitere Mitschüler-Namen und Herbstferien-Destinationen (Mallorca, London, Südafrika, Türkei), sie scheint sogar die väterliche Abscheu über die verbreitete Öko-Ignoranz zu teilen, um dann das Ganze mit einem unabsichtlich vergiftetem Trost zu beenden: „Man kann sich‘s ja auch zuhause schön machen.“

Das ist noch schlimmer als die Tränen der Jüngsten. Wenn die Großen ihre Urlaubsträume vorsorglich relativieren, um die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Eltern zu kaschieren. Und sich dafür sogar mit Klimaschutz-Argumenten munitionieren. Das kann doch nicht gesund sein.

Aber jetzt mal ernst: Wir haben als Familie in diesem Jahr schon eine fünfstündige Flugreise unternommen (Osterferien), wir sind 4000 Kilometer mit dem Auto in Urlaub gefahren (Sommerferien). Ich denke, das reicht. Wir haben unseren Ferien-Beitrag zur Klimaerwärmung geleistet. Jetzt sind mal andere dran. Für die Herbstferien haben meine Frau und ich uns vorgenommen, Ausflüge mit den Kindern zu machen („Nicht weiter als drei Stunden Fahrzeit!“), die Kinderzimmer aufzuhübschen, ins Kino zu gehen, rumzugammeln; vielleicht ins Schwimmbad, Videos gucken, Chips essen, Kuchen backen. Und so weiter. Wir werden auch eine Nacht im Hotel übernachten und die Wellness-Gäste aus der Hotelsauna vertreiben – das wird ein Spaß! Aber das ist natürlich alles nicht so griffig, dass man vor oder nach den Ferien in der Schule davon berichten könnte.

Machen wir uns nichts vor: Für die Kinder (so wie für die meisten Eltern auch) geht es bei Ferienaktivitäten oftmals um Geltungskonsum. Je nach Peergroup unterscheiden sich die Benchmarks – von Pauschalreise bis Freizeitpark, von Ferienhaus bis Segelboot, von City-Kurztrip bis Öko-Tourismus in Fernost. Ganz schick sind auch Freunde, die zufällig in San Francisco wohnen oder New York oder London oder auf Bali – das ist ja dann nicht schnöder Tourismus, sondern Beziehungspflege, für die man die Klimabilanz strapaziert.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich reise sehr gern. Ich mag‘s auch gern bequem und warm und sonnig. Auch für die Kinder und mit ihnen. Ich möchte gern, dass sie andere Länder und deren Menschen kennenlernen. Neues entdecken. Ich wage aber zu behaupten, dass die Mehrzahl der jetzt wieder Flughäfen verstopfenden Familien weder ihr Reiseland noch deren Menschen kennen lernen werden. Statt im herbstlich kühlen Deutschland wollen sie ihre Pixi-Bücher oder Harry Potter-Bände eben am warmen Strand lesen oder am Hotel-Pool. Wir karren also mit Millionen Tonnen CO2-Ausstoß Millionen von Menschen durch die Welt, die im Kopf dann doch nur zuhause bleiben. Deshalb wäre es sehr viel konsequenter, die klimakillenden Ferien zu bestreiken als den Schulunterricht, der sehr viel weniger ökologische Probleme bereitet.

Wären also die besten „Ferien for Future“ am besten gar keine? Stand heute ist diese Extremposition bei uns in der Familie nicht mehrheitsfähig, auch wenn ich ihr an manchen nervigen Ferientagen viel abgewinnen kann. Was also tun mit den 75 Ferientagen pro Schuljahr?

Die naheliegendste, einfachste und pädagogisch sinnvollste Lösung ist heute leider nicht mehr praktikabel: Morgens den eigenen Nachwuchs rausschicken zum Spielen mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft, „zum Mittag-/Abendessen seid ihr wieder da!“, die Kinder aber ansonsten in Ruhe lassen. Sie haben frei, aber keinen Anspruch auf ein Ferienbespaßungs-Programm. Wenn Eltern und Kinder Zeit und Laune haben, dann unternehmen sie auch etwas zusammen. Und einmal im Jahr gibt es einen Familienurlaub, vielleicht sogar eine Reise, bei der man ein anderes Land und andere Menschen kennen lernen kann. Wenn es sein muss, dann kann man da auch hinfliegen. Das wäre es dann aber auch mit dem Thema „Ferien“…

Man kann ja mal träumen. Leider funktioniert das so nicht mehr. Das fängt schon damit an, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr ohne Plan auf die Straße zum Spielen lassen. Außerdem übernehmen Kinder schnell die rastlose Erwartungshaltung, der sie in der Erwachsenenwelt begegnen („Was machen wir jetzt?“ „Denk dir doch endlich selbst was aus, Kind!“). Das alles führt dazu, dass Eltern doch irgendwann panisch erkennen, das schon wieder Schulferien sind und man noch schnell etwas Kindadäquates organisieren muss. Im Zweifel irgendwohin reisen, damit der Nachwuchs später was zu erzählen hat (siehe Stichwort „Geltungskonsum“ oben). Selbst wenn es gegen die eigenen ökologischen Vorsätze verstößt.

Manchmal findet die List der Vernunft dann doch Wege, um zum ökologischen Ziel zu kommen. Gleich bei unserem ersten gemeinsamen Filmabend in diesen Herbstferien setzte sich meine Frau mit ihrem Filmwunsch durch. „Der Zauber von Oz“ stieß zunächst nicht auf große Begeisterung bei den Kindern, aber schon bei der ersten Gesangseinlage von Judy Garland tanzten sie mit. Und am Schluss war ich auch sehr zufrieden, mit welcher Botschaft die kleine Dorothy im Film aus dem fernen Oz nach Kansas zurückkommt: „Es ist nirgendwo so schön wie daheim … Es ist nirgendwo so schön wie daheim … Es ist nirgendwo so schön wie daheim“, murmelt sie, als sie zu Bewusstsein kommt. Wenn das nicht hängen bleibt…