
Ein durchschnittliches Abendessen läuft bei uns ungefähr so ab: Mein Mann schmiert Ben (fünf Jahre) die Butterstulle, ich reiche Lukas (13 Monate) im Wechsel einen Löffel Brei und ein Frischkäse-Brot. Der Große will Milch, nein Wasser, nein Milch. Und bitte die linke Hälfte der Stulle mit Käse, die rechte mit Salami, auf keinen Fall andersherum! Mein Mann und ich schlingen zwischen diversen Hilfestellungen ein paar Happen von unserem eigenen Essen herunter. Wir setzen mehrfach dazu an, einander von unserem Tag zu erzählen, unterbrochen von Geplapper, Gesang oder Geschrei. Der Kleine schmeißt seine Trinklerntasse herunter und malt mit Frischkäse Kreise auf den Tisch. Dreht sich im Hochstuhl um die eigene Achse (ja, das geht), steht dann auf und reißt grinsend die Arme hoch. Ich fange ihn auf, bevor er sich fallen lassen kann – wir kennen das Spiel schon. Anschließend snackt er auf dem Boden noch den einen oder anderen Krümel, womöglich vom Vortag oder von dem davor, wer weiß das schon. Der Große hat zwischenzeitlich das Käsebrot aufgegessen, vom Salamibrot aber nur einmal abgebissen. „Ich bin satt!“ Ich schaue auf seinen Teller und dann fragend zu Papa. Papa winkt ab. „Gib her“, seufze ich und ziehe Bens Teller zu mir herüber. Die gute Bio-Salami!
Das gemeinsame Essen ist bei uns ein wichtiger Tagesordnungspunkt. Am Abendbrottisch sind wir nach einem mehr oder weniger chaotischen Tag voller Termine und Verpflichtungen wieder zusammen, und das ist etwas Wunderbares. Es ist aber auch eine kräftezehrende, manchmal frustrierende Angelegenheit, zumindest für uns Eltern. Am Ende sind die Kinder satt und halbwegs zufrieden, aber der Essplatz sieht aus wie ein Schlachtfeld, auf dem Teppich unter dem Tisch kleben irgendwelche festgetretenen Obst- oder Gemüsestückchen (warum liegt da eigentlich ein Teppich?), und ich sitze erschöpft vor einem Teller mit Essensresten und denke: „Das kann ich doch nicht wegschmeißen!“ Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen, ohne echte finanzielle Not, aber auch ohne Überfluss. Der Spruch: „Tu das weg, das schmeckt später nicht mehr!“ ist mir fremd. Wir wurden nicht zum Aufessen gezwungen, aber wenn etwas übrig blieb, kam es eben in den Kühlschrank. Das Mindesthaltbarkeitsdatum beeindruckt bei meinen Eltern zu Hause bis heute niemanden, Lebensmittel landen erst im Müll, wenn man den Schimmel schon sieht und/oder nicht wegschneiden kann. Wenn wir bei ihnen am Tisch sitzen, holt meine Mutter schon mal ihre Lunchbox heraus, sagt entschuldigend: „Hab‘ ich im Büro nicht geschafft“ und schmiert sich etwas Senf oder Sahnemeerrettich auf die durchgeweichte Stulle. „So schmeckt die noch super!“
Das geht mir dann doch manchmal etwas zu weit, aber im Grundsatz finde ich ihren bewussten bzw. sparsamen Umgang mit Essen vorbildlich und will das auch an meine Kinder weitergeben. Essen hat ja nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert. Und auch wenn ein Stück Käse oder Wurst heutzutage nicht viel kostet (was ein Skandal ist, insbesondere bei Fleisch), so ist es für mich trotzdem unmoralisch, es leichtfertig wegzuwerfen. Nur bringt mich das als Mutter fast jeden Tag an meine Grenzen. Was tun, wenn man zwei kleine Kinder hat, die das mit dem Hungergefühl und dem Appetit noch nicht so richtig heraus haben und für die Essen noch Experimentieren bedeutet?
Dabei ist das oben genannte Brotzeit-Beispiel noch harmlos, immerhin ist hinterher ein bisschen Nahrung in den Kindern drin. Oft genug gelingt das gar nicht erst – und zwar vor allem dann, wenn ich den Fehler mache, etwas zu kochen, das der Große noch nicht kennt. Schließlich soll man den Kindern Abwechslung bieten und neue Geschmackserlebnisse ermöglichen. Auffällig oft läuft das Ganze dann so ab: Ben nimmt (wenn er gut drauf ist) mit Enthusiasmus eine volle Gabel in den Mund, kaut erst energisch, dann immer langsamer, bis er schließlich innehält, den Mund aufmacht und Speisebrei durch seinen leicht geöffneten Mund quellen lässt, mit den vernuschelten Worten: „Daff fmeckt mir doff nifft.“ Und wer hält dann schnell die Hand hin? Richtig.
Es gibt zwei Dinge, die mir bei allem Frust als Reaktion nicht in den Sinn kommen würden. Zum einen, Sätze zu sagen wie „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!“ oder: „Wenn du nicht aufisst, gibt es schlechtes Wetter“ oder: „In Afrika verhungern Kinder!“ Mein Mann und ich sind uns einig, dass Essen niemals Zwang oder Druckmittel oder Machtdemonstration sein darf. Zum anderen werde ich aber auch nicht anfangen, Vollkornbrot zu Sternchen zu stanzen und Krokodile aus Salatgurken zu schnitzen, um das Thema Essen mit mehr Ästhetik und Entertainment aufzuladen. Ich weiß, es gibt kreative Eltern, die das mit viel Ehrgeiz und Begeisterung tun und anschließend Fotos beeindruckender Schul-Lunchboxen bei Instagram hochladen. Aber ich fluche ja schon, wenn ich für den Kindergeburtstag Obst-Käse-Spieße machen muss – nein, es gibt Opfer, die ich nicht bereit bin zu bringen.
Was also tue ich? Ich koche, je nach Tagesform, tapfer weiter neue Gerichte, kaufe immer mal neue Brotbeläge ein und freue mich, wenn es mir gelingt, die Jungs zu überzeugen, davon zumindest zu probieren. Wenn es dann heißt „schmeckt nicht“, ist das okay – nur Kommentare wie „bäh“ oder „eklig“ sind am Tisch nicht erlaubt. Und dann gibt es Tage, an denen koche ich einfach Spaghetti mit Butter und Salz, weil mir die Energie für Aufwändigeres fehlt und wir uns darauf immer einigen können. Es soll sogar vorgekommen sein, dass es mehrere Tage hintereinander Spaghetti gab… Wenn mich das schlechte Gewissen packt, denke ich daran, was mir meine Schwiegermutter vor Jahren erzählt hat: Mein Mann hat sich als Kind wochenlang auf eigenen expliziten Wunsch nur von Bratkartoffeln ernährt, und es ist trotzdem etwas aus ihm geworden (und kochen kann er auch, besser als ich).
Auch was das Thema Reste angeht, mache ich mir keine Illusionen: Es ist unmöglich, Lebensmittelverschwendung komplett zu vermeiden. Bei undefinierbarer Matschepampe, die bereits einmal durch den Kauapparat des Kindes durch ist, fällt einem das Entsorgen auch nicht so schwer. Weil ich es aber nur schwer ertragen kann, unangerührtes Essen in den Mülleimer zu kippen, esse ich oftmals einfach die Reste meiner Kinder auf, obwohl ich schon satt bin und ihr Essen vielleicht gar nicht mag (wobei Gläschenbrei mitunter besser schmeckt, als man vermuten würde!) und meine Schwangerschafts-Kilos so ganz bestimmt nicht loswerde. Oder aber, was noch schlimmer ist: Ich stelle die Reste in den Kühlschrank, um sie dort so lange zu „vergessen“, bis sie nicht mehr gut sind und mir nichts anderes übrig bleibt, als sie wegzuwerfen.
Es ist beim Essen wie auch sonst im Familienleben: Ein bisschen Selbstbetrug ist immer dabei. Die meisten Eltern kennen ihn, diesen ewigen inneren Kampf zwischen „Das müsste man ganz anders machen“ und „Es GEHT aber (gerade) nicht anders“. Am Ende des Tages geht es um die Schonung von Ressourcen – auch die der eigenen. Wenn am Esstisch also die Kinder gewinnen, muss und kann ich damit leben. Mein Trost ist mein heimliches guilty pleasure: Der Herrscher über den Nachtisch und die Süßigkeitenbox bin ich. Und die Kinder gehen abends mitunter echt früh ins Bett.
Ist das jetzt hier ZEIT online?
Ist das jetzt hier ZEIT online, wo man fuer antiautoritaeren Firlefanz und elterliche Betroffenheitsrhetorik so lange eine Lanze bricht, bis man dann im naechsten Schritt dazu uebergeht, Kinder als CO2 Gefahr ganz aechten zu wollen?
Ich bin gespannt, was da hier noch auf mich zukommt an Erziehungstipps (des Lesers)
Auweia
Mit Verlaub – aber in welchem Jahrhundert sind Sie denn hängen geblieben? Was wäre für Sie denn angemessener? Die „gute, alte“ Rute? Persönlich darf ich Sie beruhigen: wir haben 4 Kinder mit solch „antiautoritärem Firlefanz“ groß gezogen. Alle sind wohl geratene, tolle Menschen, die mitten im Leben stehen. Und Ihnen ganz sicher noch einiges über Dinge wie gute Erziehung, Anstand und Respekt beibringen können.
In Meiner Kindheit habe ich das anders in Erinnerung
Das was auf den Tisch kam, war das Essen. Das konnte ich essen oder nicht. Schmeckte es mir nicht, gab es keine Alternative, sondern die Worte: dann hast du keinen Hunger. Dann konnte ich hungrig ins Bett gehen. Bin ich manchmal auch. bei meinen zwei jüngeren Geschwistern dasselbe. Unsere Eltern, die Kriegsgeneration, wussten sehr wohl um den Wert von Lebensmitteln, da wurde so schnell nicht weggeworfen. Schlechte Stellen wurden ausgeschnitten, der Rest gegessen. Das wurde damals wohl flächendeckend so angewandt, jedenfalls kann ich mich kaum an dicke Kinder erinnern. Die dicken Kinder wurden auch gehänselt, das war sicher nicht nett, aber so war die Zeit. Und die waren nicht so dick wie die, die ich heute oft sehe, mit ebenso dicken Müttern. Auf jeden Fall lebten wir damals wohl ziemlich nachhaltig, das hat mich auch geprägt, vergleichbar den Eltern der Autorin. Auch ich werfe selten was weg. Meine Empfehlung an die Autorin: Den Nachwuchs einfach mal hungrig ins Bett gehen lassen
Schwer erträglich, diese Art Selbstbespiegelung...
…Bei so einer Grundhaltung gegenüber Kindern, empfehle ich Katzen, die sind immer sauber und „nerven“ nie. Oder Hunde, denen kann man Befehle erteilen, dann kuschen sie.
Essen wegwerfen ist das Ergebnis falscher Disposition
Fängt beim Einkauf an. Man braucht keine Vorräte mehr. Da hilft die Politik des leeren Kühlschranks. Und wenn man so mäklige Kinder erzogen hat, sollte man das Angebot drastisch reduzieren: Ganz wenig auf den Tisch stellen. dann wird schon der Wunsch nach Nachlieferung kommen. Das Kind wird nicht verhungern. (Mütterlichen Fütterungsinstinkt unterdrücken Das Überangebot führt zur Missachtung des täglichen Brotes.
Mehr Selbständigkeit
Ich bin der Meinung, Kindern muss nicht immer neues und außergewöhnliche Zusammensetzungen von Speisen hingestellt werden.
Nur weil die Auswahl heutzutage vielfältiger ist, bedeutet dies doch nicht, alles ausprobieren zu müssen. Kinder nehmen sich was sie brauchen und es fehlt ihnen an Nichts, wenn man öfters das Gleiche kocht oder eben dies, öfters abwandelt.
Was mir aber gleich zu Anfang auffiel. Warum kann sich der 5jährige seine Schnitte nicht alleine schmieren und belegen? Wichtig finde ich ebenfalls Selbständigkeit zu erlernen und auch selbständig nehmen zu können, was man möchte. Mit fünf längst Zeit.
Nur Mut
Herrje, ich verstehe wirklich nicht, warum Menschen ohne aktuellen !!! Bezug zur Lebenswelt mit Kindern einen Familienblog lesen? War denn früher wirklich alles besser?
Ich bin selbst berufstätig mit 3 Kindern und sage, nur Mut zur Abwechslung auf dem Tisch, es wird leichter! Ich hatte irgendwann keine Lust mehr auf „Pasta bianco“ und habe wieder das gekocht, was den Eltern schmeckt, da ich gern koche. Wenn es einem von 5 mal nicht schmeckt (was nicht unrealistisch ist), gibt es Brot. Aber es lohnt sich dran zu bleiben, unsere Kinder essen gern deftig bei der Oma, viel Gemüse und international zu Hause und wenn sie Hunger haben sogar das Schulessen. Gegen die Schwangerschaftskilos hilft, (leckere) Reste portionsweise einzufrieren, statt sie irgendwie doch noch aufzuessen :-). Weggeworfen wird bei uns wenig, irgendetwas kann man auch aus Resten noch zaubern.
Das gemeinsame Abendessen, der Austausch, die Familienzeit ist uns aber immer wichtiger, als das schöne Wetter am näch
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Aus meiner Sicht ist das Wegwerfen der Reste einfach die andere Seite der Medaille, wenn man Kinder nicht zum Aufessen zwingt. Man kann also wählen: Kinder gewaltfrei erziehen, dann muss man mit Resten leben und sie wegwerfen, wenn man sie nicht selbst in sich hinein stopfen möchte. Oder man erzieht mit Gewalt: du musst das jetzt Aufessen, dann gibt’s auch keine Reste. Ich akzeptiere lieber, Reste wegzuwerfen für einen begrenzten Zeitraum, als Kinder zum aufessen zu zwingen. Ich habe viel weggeworfen in der Kleinkindzeit, unsere Kinderfrau aus der Kriegsgeneration konnte das schlecht ertragen. Heute mit größeren Kindern hat es sich eingependelt und wir werfen kaum Lebensmittel weg.
Männer mit Erfahrung???
Warum stänkert hier eigentlich die gesammelte Mannschaft der Großvätergeneration rum und will mitreden? Übt lieber an Euren Enkeln, wie es ist, das erste Mal im Leben ein Kind zu wickeln (Erziehungstipp speziell für Herrn Müller).
Sollte ich in meiner Charakteristik der Herren falsch liegen, entschuldige ich mich, wundere mich aber in dem Fall über deren mangelnden Realitätssinn.
Alte weiße Männer?
Da schildert eine Mutter – lebensnah und selbstironisch – den Alltag mit ihrem Nachwuchs. Durchaus angenehm zu lesen. Und was passiert? Vier Herren meinen, ihren Senf dazugeben zu müssen. Sie machen auf mich den Eindruck verbissener alter weißer Männer, die nicht mehr können, als über die modernen Zeiten meckern – schade! (Cecilia hat recht – „herrje“!)
PS: ich hörte gestern von einem alten weißen Mann, der von einer Osteuropäerin gepflegt wird. Wenn sie ihm sein Essen kocht, darf es kein Hackfleisch sein, kein Huhn, kein Fisch; Gemüse schon gar nicht. Nur Koteletts – die lappenartig über den Tellerrand hängen sollen. Ist da vielleicht in der Erziehung was schiefgelaufen – damals, vor sieben Jahrzehnten?