Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Ohren zu und durch – die furchtbarsten Kinderlieder

Rolf Zukowski kennt wohl jedes Kind – und die Eltern.

Hier kann ich es ja sagen: Ich bin in den 80er- und 90er-Jahren mit der „volkstümlichen Hitparade im ZDF“ aufgewachsen, meine Eltern haben die Musikkassetten dazu insbesondere auf langen Autofahrten rauf und runter laufen lassen. Ich bin also, musikalisch gesehen, Kummer gewöhnt (und bis heute absolut textsicher bei Nummern wie „Über jedes Bacherl geht a Brückerl“).

Das kommt mir als Mutter zweier Kinder entgegen. Platte Reime, vorhersehbare Melodien und langweilige Akkorde bringen mich nicht so schnell auf die Palme wie etwa meinen Mann. Musikkassetten sind unserem Fünfjährigen freilich ebenso fremd wie Schlagerparaden im analogen Fernsehen. Dafür gibt es heute Kinderlieder-Abo-Kanäle auf Youtube und Kinderdisco-Playlists auf Amazon, abrufbar zu jeder Zeit und an jedem Ort. Jeder weiß, wie wertvoll Musik für die Entwicklung von Kindern ist. Aber ausgerechnet Kinderlieder sind oftmals furchtbarer als der flachste Schlager – musikalisch, textlich oder beides. Und wenn sie nicht furchtbar sind, hören wir sie so oft, bis wir sie furchtbar finden. Leider klafft die Wahrnehmung von Eltern und Kindern hier bisweilen weit auseinander.

Im Folgenden ein Versuch, die Ohrwürmer der vergangenen fünf Jahre zu kategorisieren.

1. Die grausamen Lieder

Es gibt Lieder, die sind über Generationen hinweg einfach nicht totzukriegen. Leider. Denn wenn man genauer hinhört, fragt man sich, ob zu Omas Zeiten einfach mehr Freude an Leid und Verderben war – und daran, Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen. Da schießt ein junger Jägersmann den armen Kuckuck tot, keiner weiß, warum (der Kuckuck am allerwenigsten). Oder: Zwei Kinder gehen im Wald verloren, kommen bei einer bösen Frau unter, dann das happy end: „Die Hexe musste braten / die Kinder gehen nach Haus‘.“ (Hier müsste man natürlich schon die literarische Vorlage anklagen, aber gruselige Märchen sind ein Thema für sich.) Auch der hungrige Fuchs muss im Angesicht der Flinte des Jägers die Gans wieder herausrücken, was bisweilen für Irritation sorgt („Mama, was ist denn rote Tinte?“, und: „Aber der Fuchs muss doch auch etwas essen!“).

Ebenfalls irritierend, mindestens für Eltern, ist diese gewisse Gottesfürchtigkeit, die einem in Kinderlieder-Classics immer wieder begegnet, gerade in den Abendstunden: „Morgen früh, wenn Gott will (und nur dann!)/ wirst du wieder geweckt!“ Oder: „Verschon uns, Gott, mit Strafen / und lass uns ruhig schlafen / und unsern kranken Nachbarn auch.“ Dabei haben wir Strafen doch verdient, denn: „Wir stolzen Menschenkinder / sind eitel, arme Sünder / und wissen gar nicht viel!“ Wenn das nicht für eine erholsame Nachtruhe sorgt.

Um nicht unfair zu sein: Es gibt auch neuere Lieder, die fetzen. Was macht der Schneider mit der Mi-Ma-Maus? „Er zieht ihr ab das Mausefell / Mi-Ma-Mausefell / er zieht ihr ab das Fell“ und näht sich einen Sack daraus. Derweil verschlingt der gefräßige Hai einen kleinen Fisch nach dem anderen. Immerhin, das Universum schlägt zurück, das Mahl bekommt dem Hai nicht gut. „’Ich hab so viele Fische in meinem Bauch! Ich könnte platzen!‘ / Und das tut er dann auch.“

2. Die sinnfreien Songs

„Ein Loch ist im Eimer, liebe Liese, liebe Liese / ein Loch ist im Eimer, liebe Liese, ein LOCH.“ Die meisten von Ihnen wissen, wie es weiter geht: Lieses Handlungsanweisungen an den lieben Heinrich machen deutlich, dass es sich mit beider Verstand ähnlich verhält wie mit dem Eimer. Am Ende sind wir alle da, wo wir am Anfang waren, und wir wollen Liese und Heinrich einfach mit einem Zehner zum nächsten Baumarkt schicken, dort gibt es Eimer in Hülle und Fülle. Eine Namensvetterin kommt übrigens auch in einem anderen Volkslied ganz groß heraus. „’Heut kommt der Hans zu mir‘ / freut sich die Lies“. Der Knackpunkt: „Ob er aber über Oberammergau / oder aber über Unterammergau / oder aber überhaupt nicht kommt / steht noch nicht fest.“ (Spoiler: Wir erfahren es bis zum Schluss nicht.)

Wenigstens haben die beiden obigen Lieder eine Art Handlung, was man von diesem hier nicht behaupten kann: „Aram sam sam/ Aram sam sam / Gulli gulli gulli gulli gulli / ram sam sam“. Oder verstehe ich die Botschaft nur nicht? Falls jemand eine Übersetzung oder Deutung zur Hand hat, bitte in die Kommentare schreiben, herzlichen Dank! Und dann sind da noch die Räder vom Bus, die drehen „sich im Kreis, sich im Kreis“, und das „stun-den-lang“. Damit nicht genug, die Wischer von eben jenem Bus machen „wisch-wusch-wisch“, und die Menschen im Bus machen „bla-bla-bla“, und auch dies: „stun-den-lang!“ Genauso fühlt sich dieses Lied auch an. Genau so!

3. Die pädagogischen Gassenhauer

Vermutlich fühlen sich viele Kinderlieder-Macher einer Art erzieherischem Auftrag verpflichtet, aber einer hat das perfektioniert: Rolf Zuckowski. Nicht zufällig hat er 2018 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse bekommen. Zuckowski ist ganz sicher ein großartiger Komponist und, was man so hört und liest, ein sympathischer Mann, dennoch schwanke ich bei seiner Musik je nach Tagesform zwischen liebevoller Nostalgie und Aggression. Denn in vielen seiner Lieder schwingt der belehrende Zeigefinger mit und sind Kinder stets so vernünftig und vorbildlich, dass es einen bisweilen in den Wahnsinn treibt.

Die Kinder in Zuckowskis Welt können rechts und links mühelos unterscheiden, denn sie haben natürlich geübt, fangen in ihrer Güte aber für Unwissende „nochmal von vorne an“. Sie erfreuen sich an den Jahreszeiten, ihren Mitmenschen, an der Schönheit der Natur, und sie wissen: „Mein Platz im Auto ist hinten/ Im Sitz lehn‘ ich mich zurück / Da hinten könnt ihr mich finden / und vor der Fahrt mach‘ ich KLICK.“ Noch lieber ist dem Nachwuchs aber, wenn der Papa (warum eigentlich nicht die Mama?) das Auto stehen lässt: „Lass uns jetzt nicht fahren / Ich hab‘ Lust, zu Fuß zu gehen / und Benzin zu sparen!“ Die einzige Verfehlung, die diese Goldstücke sich leisten, sind dreckige Finger in der Weihnachtsbäckerei. Aber nicht einmal das kann man ihnen übel nehmen, zumal sie uns in Erinnerung rufen: „Alle machen Fehler / Alle machen Fehler/ Keiner ist ein Supermann!“

4. Die Rettung

Ich könnte diese (selbstverständlich subjektive) Liste der musikalischen Grausamkeiten lange fortführen. Viele davon begleiten uns im Alltag trotzdem ständig. In dem Moment, in dem ich das hier schreibe, läuft im Hintergrund der „Sing-mit-mir-Kinderlieder-Maxi-Mix 12“, und Lukas (14 Monate) wippt dazu mit dem Windelpo. Glücklicherweise haben wir mittlerweile auch Musik für Kinder entdeckt, die auch Erwachsenen Spaß macht – beispielsweise gibt es recht erfrischende Neuauflagen bekannter Kinderlieder. Culcha Candela haben „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ neu interpretiert und bei der Gelegenheit ein paar wirklich ganz lustige Liedzeilen eingebaut. Der Rapper Chima hat eine lässig-mystische Version von „Hejo, spann den Wagen an“ aufgenommen, bei der beide Kinder mitgrooven. Daneben gibt es neuere Kompositionen, die den Familienalltag auf die Schippe nehmen: „Liebe Kinder, kommt ihr bitte!“ von der Band „Bummelkasten“ ist mein aktueller Ohrwurm. Unser Sohn Ben (5 Jahre) wiederum findet sich total wieder in Liedtexten wie diesem: „Der Reißverschluss, er geht nicht zu / Er geht nicht zu? / Er geht nicht zu! /Ich hab‘ alles versucht, doch er geht nicht zu! “ Und die Band „Deine Freunde“ hat pädagogisch wertvolle Tipps für die nicht ganz so vorbildlichen Kids („Wenn sie dich verhören, besser nix dazu sagen / Bleib bei deiner Story, egal, wie oft sie fragen“). Und nicht zuletzt bekommen wir alle drei – Mama, Papa, großer Sohn – regelmäßig Gänsehaut der wohligen Sorte bei den teilweise meisterhaften Soundtracks zu Disney-Krachern wie „Frozen“ oder „Vaiana“.

Auch bei diesen Positiv-Beispielen gilt: Nach dem 200. Mal Hören ist es vermutlich nicht mehr so unterhaltsam. Es kommt auf die Abwechslung an, und darauf, welchen Zweck die Musik im betreffenden Moment erfüllen soll. Ich finde: Nicht jedes (Kinder-)Lied muss bilden und erziehen, manchmal braucht man einfach nur etwas zum Wippen, Singen und Klatschen. Mein Mann und ich haben hier eine Art ausgleichende Playlist-Strategie entwickelt, die sich, wenn ich länger darüber nachdenke, ein bisschen wie „good cop, bad cop“ anfühlt: Er spielt den Kindern Händel vor (für die Hirnzellen) und ich Helene Fischer (für den Spaß). Aber Helene Fischer nur ganz, ganz selten. Eigentlich fast nie. Wirklich.