Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Schön kuschelig autoritär

Sohn und Vater, in harmonischer Eintracht. Aber wehe der Sand geht aus.

Jeder kennt die 1-2-3-Methode in der Kindererziehung. Stellt sich ein Kind bockig an, will es nicht, was Sie wollen, fordern Sie es weiter auf, die Apfelkitsche (gemeint ist der Rest eines Apfels, ein Wort aus meiner NRW-Heimat, in anderen Regionen gibt es dafür andere Bezeichnungen) dennoch in den Mülleimer zu bringen und nicht in der Sofaritze zu entsorgen. Bleibt es bei der Totalverweigerung, zählen Sie langsam und in Zeitlupe bis drei. Sollten Sie bei drei ankommen, ohne dass das Kind das sozial erwünschte Verhalten zeigt,  müssen Sie eine Konsequenz parat haben. Eine Strafe, die sich gewaschen hat. Sonst stehen Sie ziemlich dumm da – und das Kind lacht sich im Stillen kaputt.

Das ist mir neulich passiert. Im Anflug von „strenger Daddy“ zählte ich mich durch die drei Zahlen, und mein dreijähriger Sohn reagierte natürlich überhaupt nicht. Bei der Zahl drei angekommen, fiel mir auf, zugegebenermaßen etwas zu spät, dass ich eigentlich überhaupt nicht darüber nachgedacht hatte, welche Konsequenz aus seiner Blockade folgen sollte. Die pure Erzieher-Hölle. Hastig justierte ich nach und verkündete das harte Urteil, das meinem Sohn natürlich die Farbe aus dem Gesicht weichen ließ: „Dann heute kein Apfel mehr“. Das Weltgericht hatte gesprochen. Die abschreckende Wirkung dürfte sich in Grenzen gehalten haben, vermute ich.

Saublödes Urteil, dachte ich noch. Die Zweifel kamen im Moment der Urteilsverkündung. Warum gerade kein Apfel mehr? Der Junge isst gelegentlich zu viele Haribos, aber Äpfel? Da kann ich doch nur froh sein, wenn er genügend abbekommt. Mir wurde schlagartig bewusst, dass die ungeliebte 1-2-3-Methode ohnehin nur funktionieren kann, wenn man Ziele und Strategien definiert. Wer sich, wie ich, keine Konsequenzen ausgedacht hat oder sich unsicher ist, ob sich diese umsetzen lassen, vergisst die Erziehungsmethode am besten gleich wieder. Selbst der noch unausgebildete Intellekt eines Kleinkindes speichert Inkonsequenz unter der Rubrik Unglaubwürdigkeit ab.

Aber vielleicht muss ich noch den einen Schritt zurückgehen. Die 1-2-3-Methode war mir bis dato immer maximal unsympathisch. Ich hielt sie für autoritär, einen Kasernenhof-Ton dulde ich zuhause nicht, weder bei den Erwachsenen noch beim Kleinkind. Zumal mir solche Töne aus der Kindheit durchaus geläufig sind, wenn auch nicht im eigenen Elternhaus. Manche Elternteile meiner Freunde konnten sich innerhalb weniger Sekunden vom netten Onkel zum autoritären Übervater wandeln – und das war wenig angenehm und bis heute keine gute Erinnerung. Auch deshalb nicht, weil ich wohl damals nicht verstand, woher dieser plötzliche Wandel rührte. Die konkreten Fälle sind längst vergessen, aber solche Verhaltensmuster, Stimmungen und Töne bewahren sich ein Leben lang im Gedächtnis auf.

Vor wenigen Tagen führte ich ein Interview mit einer prominenten Sängerin, die plötzlich, als wir über Kindererziehung sprachen, die 1-2-3-Methode erwähnte. Als etwas Positives, das zwar nicht mehr so richtig modern sei, aber doch ungemein effektiv – und überhaupt, Kinder brauchten Regeln. Dem letzten Gedanken kann ich nur zustimmen, aber wie gesagt: Das autoritäre Gehabe früherer Generationen brauche ich auch nicht, da können sich noch so viele oftmals ältere Männer über „Kuschel-Väter“ und „Softy-Daddys“ lustig machen, das ist mir völlig egal: Autoritäre Verhaltensweisen prägen Kinder mehr als einem lieb sein kann. Erwachsene, die sich heute autoritär gebärden, sind häufig in ähnlichen Kontexten groß geworden. Wer nach einem starken Führer ruft, darf gerne mal in seiner Kindheit kramen, woher das wohl kommen mag. Für mich ist das kein möglicher Lebensentwurf, sondern schlicht ein Irrweg.

Aber zurück zum Kind: Was tun? Kann es gelingen, aus beiden Welten eine Synthese hinzubekommen, die die Nachteile autoritären Gehabes reduziert, die Vorteile einer klaren Regel-Erziehung fürs Kind aber beibehält? Damit die 1-2-3-Methode wirkt, sollten die Schritte und Konsequenzen nicht nur bedacht, sondern auch vernünftig erklärt werden. Bevor man zur Tat schreitet, könnten Sie dem Kind erklären, was Sie vorhaben – und welche Regeln gelten. Erklären Sie, dass Sie es nicht tolerieren, wenn die Apfelkitsche im Sofa landet, und dass da auch Diskussionen nichts nutzen. Dann erläutern Sie kurz, dass das Kind zwei Chancen hat, um das Verhalten zu ändern. Zählen Sie die eins, dann die zwei – erst wenn Sie genügend Chancen und Zeit gegeben haben, kommt die drei. Wenn Sie die Konsequenz schließlich ausgesprochen haben, gibt es keine Diskussionen mehr, keine Erklärungen oder Ablenkungen. Das spart Zeit und Energie – und ist vor allem eine klare Ansage.

Was bei der berühmten Apfelkitsche natürlich nicht gut funktioniert hat, ist die Frage der Konsequenz. Die muss gut beantwortet werden und am besten im Zusammenhang mit dem „Delikt“ stehen. Wenn es darum geht, den Apfelrest zu entsorgen, könnte eine wirksame Konsequenz sein, heute keine Gummibärchen mehr zu bekommen. Da hilft auch kein Zetern mehr! Ein Fernseh- oder Tabletverbot hingegen würde von Ihrem Kind mit Sicherheit mit einem „Warum?“ quittiert werden, und das nicht ganz zu unrecht. Und klar sein muss auch: Wir sprechen hier von Kindern jenseits des dritten oder vierten Lebensjahres, die einfache Zusammenhänge und logische Folgen verstehen können. Nach der Grundschule muss dann aber auch Schluss sein damit – denn sonst zeigt Ihnen der Teenager einen Vogel, auch das nicht zu unrecht: „Was will der Alte denn?“ Und geht dann aus dem Zimmer. Hätte ich genauso gemacht. Nur die Apfelkitsche wäre im Zimmer geblieben, möglicherweise sogar in der Sofaritze.