Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

Lasst sie anziehen, was sie wollen

Nicht überall ist das Kleid das praktischste Kleidungsstück, aber ganz bestimmt auf dem Trampolin.

Endlich mal wieder ein „leichtes“ Thema ohne Homeschooling, Corona und Verzichte. Wobei, letzteres stimmt nicht ganz. Unsere Tochter Frieda verzichtet seit geraumer Zeit auf Hosen. Nein, das klingt zu positiv. Sie weigert sich vielmehr mit allem, was sie hat, Hosen zu tragen. Vor allem, wenn es in die Kita geht, muss es ein Kleid sein. Es haben sich schon Dramen abgespielt, wenn keins zur Hand war oder ich auf Leggins und Matschhose bestand, weil es mit der Kita-Gruppe in den herbstlichen Wald ging.

Nur an Wochenenden, wenn wir einen Wanderausflug machen, etwa in die Fränkische Schweiz, darf es eine Hose sein. Da hat sie inzwischen begriffen, dass es sich ohne Kleid einfach bequemer über Stock und Stein oder durchs Gebüsch laufen lässt.

In der Kita geht es aber weder über Stock noch Stein noch durchs Gebüsch. Darum wird gefälligst Kleid getragen, denkt sich unsere Tochter. Sie ist sechs Jahre alt. Seit vergangenem Sommer gehört sie zu den Großen in der Vorschulgruppe. Diese wird von einer Clique von fünf, sechs Mädchen dominiert. Eine davon ist Frieda. Sie spielen sehr viel zusammen.

Natürlich stehen in der Kita-Clique wie bei vielen Mädchen in dem Alter Barbies und Einhörner ganz hoch im Kurs und am allerhöchsten Anna und Elsa. Das sind die beiden Prinzessinnen aus den „Die Eiskönigin“ Filmen. Alle Mädchen in Friedas Clique können die Songs „Ich bin frei“ und „Zum ersten Mal seit Ewigkeiten“ auswendig mitsingen. Ich im Übrigen auch. Das ist aber nicht allein der Grund, warum Anna und Elsa für mich keine schlechten Idole sind. Beide haben starke Charaktere, sind moderne Frauen, die ihr Glück selber in die Hand nehmen und Probleme persönlich lösen. Die Männerfiguren im Film sind entweder Dumpfbacken oder Bösewichte. Das ist schon ein Fortschritt, früher haben die Prinzessinnen darauf gewartet, dass der Held sie rettet.

Anna und Elsa tragen, wie es sich für Prinzessinnen gehört, sehr auffällige Kleider. Und natürlich finden die Mädchen das wunderbar und eifern den beiden nach. Ich kann mich an drei oder vier Anna-und-Elsa-Partys in der Vor-Corona-Zeit erinnern. Je auffälliger die Kleider, desto besser. Allerdings sind diese Partys inzwischen auch einige Monate her. Trotzdem besteht Frieda weiter darauf, ein Kleid zu tragen, wenn es in die Kita geht. „Die anderen lachen mich sonst aus“, sagt sie. Anfangs habe ich das geglaubt, inzwischen habe ich meine Zweifel.

Neulich kam sie an einem kitafreien Tag die Treppe hinuntergelaufen. Sie trug eine Jeans mit roten Streifen an den Seiten. Ich war so überrascht, dass ich nicht auf ihre Mine achtete. „Wow!“ rief ich. „Eine Jeans, das sieht ja klasse aus. Warum trägst du die nicht öfter?“ Zu spät sah ich ihre schlechte Laune. „Hör auf, Papa! Das sieht gar nicht gut aus. Ich habe nur kein Kleid mehr, die sind alle in der Wäsche und jetzt muss ich diese doofe Hose…“ Die letzten Wörter musste ich raten, denn ihre Stimme ging über in wütendes Geschrei und dann folgte ein Tränenausbruch. Seitdem äußere ich mich bewusst so gut wie gar nicht mehr zu ihren Outfits. Wenn es mir gleich ist, ob sie Hose oder Kleid trägt, ist es ihr vielleicht auch egal.  

Vor ein paar Wochen bekam Frieda von einer Nachbarin eine ausrangierte Lederjacke (aus Kunstleder) geschenkt. So eine schwarze im Achtzigerjahre-Stil, wie sie Michael Jackson im Video von „Bad“ trug. Unsere Tochter war stolz wie Bolle und wollte das Stück unbedingt am nächsten Tag zur Kita anziehen. Da es draußen schneite und das Thermometer zehn Grad minus anzeigte, legten wir natürlich unser Veto ein. Bevor es zu einem neuen Drama kommen konnte, einigten wir uns auf einen Kompromiss: Frieda zog Winterjacke, Mütze, Schal und Handschuhe an, durfte die Lederjacke aber mitnehmen. Darunter trug sie – natürlich – ein Kleid.

Als ich sie neulich zur Kita brachte, achtete ich in Vorbereitung auf diesen Beitrag auf ihre Clique, also auf ihre Peer Group, und war erstaunt. Ein einziges Mädchen außer Frieda trug ein Kleid, alle anderen Strumpfhosen oder Leggins. Dass die anderen sie auslachten, wenn sie mit Hose zur Kita käme, halte ich für ein Gerücht. Vielmehr kann ich mir vorstellen, dass die anderen das ungewöhnlich fänden und sagen würden: „He Frieda, du trägst ja heute ausnahmsweise eine Hose.“ Diese Art von Aufmerksamkeit wäre ihr wahrscheinlich unangenehm.

Ich glaube, Frieda trägt ganz einfach gerne Kleider, lieber als andere Mädchen. Das ist ihr Ding. Sie spielt gerne Prinzessin. Aber genauso gerne hilft sie mir im Garten, bei Handwerksarbeiten und beim Kochen. Seit ein paar Tagen haben wir ein neues gemeinsames Ding: Wir bauen den Lego-Kran zusammen, den ihr großer Bruder zu Weihnachten bekommen hatte und der seitdem unbeachtet in seiner Verpackung herumstand. Ihr Bruder ist in gewisser Weise auch ein „Fashion Victim“: Bei ihm müssen Oberteil und Socken immer zueinander passen.  

Unsere Faustregel lautet: Solange kein Erfrierungstod droht oder sonst irgendwelche gesundheitlichen Schäden, können unsere Kinder anziehen, was sie wollen. Wenn die Klamotten farblich gewagt kombiniert sind, weisen wir unsere Kinder gelassen daraufhin, überlassen ihnen aber die Entscheidung. Mit Kleidung ist es genauso wie mit allen anderen Dingen im Leben: Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Da müssen wir vielleicht auch mal einen Schnupfen oder einen blöden Spruch in Kauf nehmen.