Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Lasst sie anziehen, was sie wollen

| 16 Lesermeinungen

Nicht überall ist das Kleid das praktischste Kleidungsstück, aber ganz bestimmt auf dem Trampolin.

Endlich mal wieder ein „leichtes“ Thema ohne Homeschooling, Corona und Verzichte. Wobei, letzteres stimmt nicht ganz. Unsere Tochter Frieda verzichtet seit geraumer Zeit auf Hosen. Nein, das klingt zu positiv. Sie weigert sich vielmehr mit allem, was sie hat, Hosen zu tragen. Vor allem, wenn es in die Kita geht, muss es ein Kleid sein. Es haben sich schon Dramen abgespielt, wenn keins zur Hand war oder ich auf Leggins und Matschhose bestand, weil es mit der Kita-Gruppe in den herbstlichen Wald ging.

Nur an Wochenenden, wenn wir einen Wanderausflug machen, etwa in die Fränkische Schweiz, darf es eine Hose sein. Da hat sie inzwischen begriffen, dass es sich ohne Kleid einfach bequemer über Stock und Stein oder durchs Gebüsch laufen lässt.

In der Kita geht es aber weder über Stock noch Stein noch durchs Gebüsch. Darum wird gefälligst Kleid getragen, denkt sich unsere Tochter. Sie ist sechs Jahre alt. Seit vergangenem Sommer gehört sie zu den Großen in der Vorschulgruppe. Diese wird von einer Clique von fünf, sechs Mädchen dominiert. Eine davon ist Frieda. Sie spielen sehr viel zusammen.

Natürlich stehen in der Kita-Clique wie bei vielen Mädchen in dem Alter Barbies und Einhörner ganz hoch im Kurs und am allerhöchsten Anna und Elsa. Das sind die beiden Prinzessinnen aus den „Die Eiskönigin“ Filmen. Alle Mädchen in Friedas Clique können die Songs „Ich bin frei“ und „Zum ersten Mal seit Ewigkeiten“ auswendig mitsingen. Ich im Übrigen auch. Das ist aber nicht allein der Grund, warum Anna und Elsa für mich keine schlechten Idole sind. Beide haben starke Charaktere, sind moderne Frauen, die ihr Glück selber in die Hand nehmen und Probleme persönlich lösen. Die Männerfiguren im Film sind entweder Dumpfbacken oder Bösewichte. Das ist schon ein Fortschritt, früher haben die Prinzessinnen darauf gewartet, dass der Held sie rettet.

Anna und Elsa tragen, wie es sich für Prinzessinnen gehört, sehr auffällige Kleider. Und natürlich finden die Mädchen das wunderbar und eifern den beiden nach. Ich kann mich an drei oder vier Anna-und-Elsa-Partys in der Vor-Corona-Zeit erinnern. Je auffälliger die Kleider, desto besser. Allerdings sind diese Partys inzwischen auch einige Monate her. Trotzdem besteht Frieda weiter darauf, ein Kleid zu tragen, wenn es in die Kita geht. „Die anderen lachen mich sonst aus“, sagt sie. Anfangs habe ich das geglaubt, inzwischen habe ich meine Zweifel.

Neulich kam sie an einem kitafreien Tag die Treppe hinuntergelaufen. Sie trug eine Jeans mit roten Streifen an den Seiten. Ich war so überrascht, dass ich nicht auf ihre Mine achtete. „Wow!“ rief ich. „Eine Jeans, das sieht ja klasse aus. Warum trägst du die nicht öfter?“ Zu spät sah ich ihre schlechte Laune. „Hör auf, Papa! Das sieht gar nicht gut aus. Ich habe nur kein Kleid mehr, die sind alle in der Wäsche und jetzt muss ich diese doofe Hose…“ Die letzten Wörter musste ich raten, denn ihre Stimme ging über in wütendes Geschrei und dann folgte ein Tränenausbruch. Seitdem äußere ich mich bewusst so gut wie gar nicht mehr zu ihren Outfits. Wenn es mir gleich ist, ob sie Hose oder Kleid trägt, ist es ihr vielleicht auch egal.  

Vor ein paar Wochen bekam Frieda von einer Nachbarin eine ausrangierte Lederjacke (aus Kunstleder) geschenkt. So eine schwarze im Achtzigerjahre-Stil, wie sie Michael Jackson im Video von „Bad“ trug. Unsere Tochter war stolz wie Bolle und wollte das Stück unbedingt am nächsten Tag zur Kita anziehen. Da es draußen schneite und das Thermometer zehn Grad minus anzeigte, legten wir natürlich unser Veto ein. Bevor es zu einem neuen Drama kommen konnte, einigten wir uns auf einen Kompromiss: Frieda zog Winterjacke, Mütze, Schal und Handschuhe an, durfte die Lederjacke aber mitnehmen. Darunter trug sie – natürlich – ein Kleid.

Als ich sie neulich zur Kita brachte, achtete ich in Vorbereitung auf diesen Beitrag auf ihre Clique, also auf ihre Peer Group, und war erstaunt. Ein einziges Mädchen außer Frieda trug ein Kleid, alle anderen Strumpfhosen oder Leggins. Dass die anderen sie auslachten, wenn sie mit Hose zur Kita käme, halte ich für ein Gerücht. Vielmehr kann ich mir vorstellen, dass die anderen das ungewöhnlich fänden und sagen würden: „He Frieda, du trägst ja heute ausnahmsweise eine Hose.“ Diese Art von Aufmerksamkeit wäre ihr wahrscheinlich unangenehm.

Ich glaube, Frieda trägt ganz einfach gerne Kleider, lieber als andere Mädchen. Das ist ihr Ding. Sie spielt gerne Prinzessin. Aber genauso gerne hilft sie mir im Garten, bei Handwerksarbeiten und beim Kochen. Seit ein paar Tagen haben wir ein neues gemeinsames Ding: Wir bauen den Lego-Kran zusammen, den ihr großer Bruder zu Weihnachten bekommen hatte und der seitdem unbeachtet in seiner Verpackung herumstand. Ihr Bruder ist in gewisser Weise auch ein „Fashion Victim“: Bei ihm müssen Oberteil und Socken immer zueinander passen.  

Unsere Faustregel lautet: Solange kein Erfrierungstod droht oder sonst irgendwelche gesundheitlichen Schäden, können unsere Kinder anziehen, was sie wollen. Wenn die Klamotten farblich gewagt kombiniert sind, weisen wir unsere Kinder gelassen daraufhin, überlassen ihnen aber die Entscheidung. Mit Kleidung ist es genauso wie mit allen anderen Dingen im Leben: Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Da müssen wir vielleicht auch mal einen Schnupfen oder einen blöden Spruch in Kauf nehmen.  


16 Lesermeinungen

  1. aj68 sagt:

    Barfuß im Winter ...
    … war bei uns nie ein Problem. Wurde es den Mädels mal zu kalt, haben sie freiwillig Schuhe angezogen. Jetzt im Teenie-Alter führen wir verstärkt Diskussionen über Hot-Pants und bauchfrei. Aber wir diskutieren viel und lassen sie machen. Wir sehen immer wieder, wie neben dem Radweg die Mitschülerinnen im Gebüsch verschwinden und nach wenigen Minuten mit vollkommen neuem Outfit wieder aufs Rad steigen. Verbieten bringt nichts. Die Junx und Mädels sind zu einfallsreich (waren wir früher auch). Es hilft nur reden, reden und reden. Und wenn es um das Thema „Cat-Calling“ geht, ist man direkt wieder im Gespräch …
    ich wünsche allen Eltern weiterhin gute Nerven und viel Verständnis,
    Andreas (WG mit 4 Mädels von 9 bis 18)

  2. Whiskeyjack sagt:

    Schöne neue Welt.
    „Die Männerfiguren im Film sind entweder Dumpfbacken oder Bösewichte. Das ist schon ein Fortschritt, früher haben die Prinzessinnen darauf gewartet, dass der Held sie rettet. “

    Ach was ist er schön dieser Fortschritt. Endlich kein „Sexismus“ mehr…

  3. Saffard_Lariak sagt:

    Konservative Werte für glückliche Kinder!
    „Die Männerfiguren im Film sind entweder Dumpfbacken oder Bösewichte. Das ist schon ein Fortschritt“
    Das ist auch der Grund, weshalb unsere Tochter solche Filme nicht sieht. Im König der Löwen, in Pocahontas, in Die Schöne und das Biest u.a. sind die weiblichen Charaktere kompetent, aber nicht zum Nachteil der männlichen Charaktere.

    Meine Tochter soll in dem Wissen aufwachsen, dass Männer gleichwertige Partner sind. Glaubt sie stattdessen, dass Männer Dumpfbacken und Bösewichte sind, erschaffe ich damit nur eine weitere beziehungsunfähige verbitterte Feministin. Und dafür liebe ich sie zu sehr.

    „„Eine Jeans, das sieht ja klasse aus. Warum trägst du die nicht öfter?““
    Wem genau ist denn damit ein geholfen, wenn Mädchen dazu ermutigt werden, sich nicht traditionell zu kleiden?

    „Ein einziges Mädchen außer Frieda trug ein Kleid, alle anderen Strumpfhosen oder Leggins“
    Also auch Stereotyp Feminin. Vielleicht gibt es ja doch Hoffnung für die Zukunft

    • Matthias Heinrich sagt:

      Lieber Leser, herzlichen Dank für Ihren Kommentar.
      Die Formulierung „Fortschritt“ ist an dieser Stelle etwas gewagt und vielleicht auch provokativ. Man(n) muss es aber auch nicht ganz so ernst sehen. Ich denke, wenn man sich die vielen Disney-Kinderfilme ansieht, kommen männliche Figuren nicht ganz so schlecht weg. Da können wir mit den Dumpfbacken und Bösewichtern bei Anna und Elsa leben. Der Schneemann Olaf ist im Übrigen weder blöd noch böse…
      Viele Grüße!

      M.H.

  4. berna.eva sagt:

    Klischee nach Klischee nach Klischee...
    und das auf Kosten minderjähriger Kinder.

    Meine Lieblingsstelle…

    „Die Männerfiguren im Film sind … Dumpfbacken oder Bösewichte.

    Das ist schon ein Fortschritt“

    Wirklich?

    Na, dann…

    • Matthias Heinrich sagt:

      Liebe Leserin, herzlichen Dank für Ihren Kommentar.
      Ich habe es oben schon geschrieben: Die Formulierung „Fortschritt“ ist zugegeben etwas gewagt und vielleicht auch provokativ. Man muss es aber auch nicht ganz so ernst sehen. Ich denke, wenn man sich die vielen Disney-Kinderfilme ansieht, kommen männliche Figuren nicht ganz so schlecht weg. Da können wir mit den Dumpfbacken und Bösewichtern bei Anna und Elsa leben. Der Schneemann Olaf ist im Übrigen weder blöd noch böse…
      Viele Grüße!

      M.H.

  5. Mango321 sagt:

    Ich bin frei ... endlich frei ...
    Oh man,
    es gibt so viel Mist in der Glotze. Da ist Frozen doch das kleinere Übel!

    Sollen sie lieber sehen, wie einer den anderen runterwirft um an die Macht zu kommen? Ernsthaft?

    Unsere Mädels sind übrigens auch im Kleid-Wahn. Ich denke nicht, das die Kombi Kleider und männliche Dumpfbacken sie zu Transgender, Homosexuellen oder Feministen macht.

    Wobei nichts als Beleidigung angedacht ist!

    • EMeinsX sagt:

      Liebes Mango 321-Wesen,
      Nur als kleiner Hinweis zur Verwendung von „man“, weil es hier falsch angewendet ist,
      „man“ ist ein Indefinitpronomen, das hier keine Anwendung finden kann. Lesen Sie bei Bedarf selbst nach.
      Manchmal wird „man“ fälschlicherweise als Interjektion verwendet, beispielsweise: „Man, bist du blöd!“ Richtig ist stattdessen: „Mann, bist du blöd“ (oder „Mensch, bist du blöd“).
      Auch wenn es manchen Wesen schwerfällt, „Mann“ zu schreiben oder zu sagen, so isses einfach. Dann halt Mensch verwenden, was hoffentlich unbelastet ist. Und ich denke nicht, dass (!) das zu schwer ist.
      Und Ihre Mädels mögen zu normalen Frauen heranwachsen!
      Mit besten Wünschen.

  6. berna.eva sagt:

    Danke für die Antwort, aber
    es wird nicht wirklich besser, lieber Matthias Heinrich.

    • Matthias Heinrich sagt:

      Ach, auch das werden wir überstehen, liebe Eva Berna. Ich wünsche einen schönen Abend!

  7. Mango321 sagt:

    Danke für den Hinweis EMeinsX
    Ich werde in Zukunft besser auf meine Sprache und Rechtschreibung achten! Erwischt 🙂

    Grüße
    Mango321-Wesen*

  8. JessicaLi sagt:

    So vieles auf der Goldwaage
    Wenn man Kinder hat, denkt man gezwungenermaßen viel darüber nach, wie man es richtig macht. Erziehung ist doch ein konstanter Trial&Error Prozess. Dass uns die Autor*innen von „schlaflos“ an ihrem teilhaben lassen, ist großartig. Mir bereitet es Freude, von anderen zu lesen, zu lernen und eben auch ‚mal den Kopf zu schütteln, weil ich ihre Herangehensweise seltsam finde.
    Ich frage mich, ob wir jede Formulierung auf die Goldwaage legen müssen. Man kann sich über „Fortschritt“ streiten oder wohlwollend herauslesen, dass starke Frauen in Disneyfilmen auch ‚mal ganz schön sind.
    Die richtige Formulierung zu finden, ist selten einfach und wer einen spannenden Text schreiben will, darf auch ‚mal überspitzen.
    Ich bin seit einem Jahr stumme Leserin und sage jetzt einmalig:

    Herzlichen Dank an die blogenden Eltern! 🙂

    • Matthias Heinrich sagt:

      Liebe Jessica Lietze,
      vielen lieben Dank für Ihren Kommentar. Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Das ist der Sinn dieses Blogs. Keiner von uns Autoren erhebt Anspruch auf Perfektion. Im Gegenteil: Unsere Leser*innen werden regelmäßig Zeugen, wie bei uns Dinge eben nicht funktioniern. Wir Blogger sind normale Eltern, die wie andere Eltern auch manchmal unsicher sind und Fehler machen. Im besten Fall denkt sich manche Mutter/mancher Vater beim Lesen unserer Texte: Ach, schau, der hat die Erfahrung auch gemacht und dann so reagiert. Ah, und die Mutter ist die Sache dann so angegangen. Mehr ist es gar nicht. Wir verstehen uns bei „Schlaflos“ als Gleichgesinnte, als Mitstreiter, als Leidensgenossen der Leserschaft.
      Wir sind Eltern. Macht uns das schon zu Experten?

      Vielen Dank und viele liebe Grüße

      Matthias Heinrich

  9. 00Bos11Kop22 sagt:

    Das Leben in Stereotypen
    Selbstverständlich dürfen wir keinem Mädchen verbieten sich so zu kleiden, wie wir es alle in der westlichen Welt gewohnt sind und dies auch erwarten.
    Die Industrie macht ebenso klare Ansagen und Vorgaben.
    Die gilt es zu erfüllen. Am liebsten in Pink und mit viel Blingbling.
    Wir ,,brauchen‘‘ Püppchen und Prinzessinnen.

    Doch was machen wir mit den Jungs?
    Die dürfen allenfalls blau. Dann ist Schluss mit lustig.
    Ein Junge im Rock oder gar im Kleid? Vielleicht wie die Mamma geschminkt?
    Das geht doch gar nicht.
    Man lese mal in eingängigen Foren, wie ,,locker‘‘ das gesehen wird.
    Jungs sind Kämpfer oder auch Fußballer.
    Das ist innovativ.

    Manches mal erscheint es mir, dass Bildung ganz viel aus Vorbehalten, Vorurteilen und wenig wissen wollen besteht.

    Und manches mal denke ich,dass nicht nur männliche, sondern auch weibliche Dumpfbackensichtweisen diese Welt regieren.

    Die Devise auch in 2021 lautet immer noch; es lebe der Stereotyp.

    • Matthias Heinrich sagt:

      Lieber Herr Bartholomaeus,
      vielen Dank für Ihren Kommentar. Unser Sohn hat bis vor kurzem einen weißen Fahrradhelm mit pinkfarbenen Sternen getragen. Den hatte er sich selbst ausgesucht und ihn mit Stolz getragen. Inzwischen ist der Helm zu klein, seine Schwester trägt ihn jetzt. Außerdem läuft er häufig mit knallbunten Zehennägel herum. Die lässt er sich von seiner Mutter bemalen, wenn die ihre eigenen lackiert. Mit diesen Zehen steht er auch auf dem Fußballplatz und ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens ein Tor pro Spiel macht. Sie sagen es, lebe der Stereotyp.

      Viele Grüße

      M.H.

  10. LuisK sagt:

    Im Kindergarten ist es schon ein Problem
    weil man nicht nachlegen kann, wenn es dann doch zu kalt wird, insbesondere bei Ausflügen. Die Erzieher wollen und können auch nicht allen Kinder Klamotten nachschleppen. Daheim, im Garten oder auf der Straße sollen sie an- oder ausziehen, was sie wollen. Wenn sie frieren, kommen sie schon – was aber selten passiert. Meistens turnen sie in T-Shirts und ohne Socken in den Schuhen durch die Gegend, während alle anderen Winterjacken, Schals und Mützen anhaben. Fällt schon auf, aber was solls.

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