Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Was ich aus Pfannkuchen-Gate lerne

Wenn man selbst unter Strom steht, kann man nicht noch eine Tochter gebrauchen, die über das Essen nörgelt.

Ich klappe genervt meinen Laptop zu. Es war ein blöder Vormittag und ich habe wenig geschafft. Gleich werden meine Töchter nacheinander ihre Köpfe durch die Tür stecken und den von mir gehassten Satz von sich geben: „Hast du schon gekocht? Was gibt es denn?“ Ich habe noch nichts vorbereitet, eigentlich nicht einmal etwas geplant. Daher inspiziere ich den Kühlschrank, auf der Suche nach einer Idee für das Mittagessen. Irgendjemand hat es mit dem Eier-Kauf übertrieben – gleich zwei Zehner-Kartons stehen im Kühlschrank. Da ist sie, die Eingebung: Pfannkuchen. Ich versüße uns den Tag!   

Maya (13) isst ihren Pfannkuchen am liebsten mit Marmelade, Lara (17) mit Äpfeln. Äpfel haben wir zur Genüge vorrätig. Außerdem finde ich noch zwei Schalen Blaubeeren im Gemüsefach. Lara liebt Blaubeeren. Erleichtert, eine schnelle Lösung gefunden zu haben, schäle ich die Äpfel, wasche die Beeren ab und rühre eine riesige Schüssel Teig an. Maya strahlt: „Wie lecker!“ Sie beginnt am Esstisch mit den Hausaufgaben, während ich den ersten Pfannkuchen für sie backe.

Kurze Zeit später kommt Lara zwischen ihren nächsten Homeschooling-Konferenzen in die Küche: „Was gibt es heute?“, fragt sie. „Pfannkuchen“, erwidert Maya mit vollem Mund. Ich lächele meine Große zufrieden an: „Ich kann dir deinen mit Äpfeln oder Blaubeeren machen. Blaubeeren magst Du …“ Weiter komme ich nicht. Lara unterbricht mich wutentbrannt: „Mann, Mama! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich mich gesund ernähren will! Das kann ich doch nicht essen!“, kreischt sie. Dann flippt sie völlig aus und schimpft: „Was ist daran so verdammt schwer zu verstehen? Koch doch nicht immer so einen Mist! Echt! Was soll das denn?!“

Ich bin so baff, dass es mir die Sprache verschlägt. Mit offenem Mund starre ich sie an. Hä? Bevor ich mich sammeln und reagieren kann, ist Lara schon in den Flur abgerauscht, schlüpft in ihre dreckigen Sneakers, grabscht nach ihrer Jacke und öffnet die Haustür. „Immer muss man hier alles selbst machen. Ich gehe jetzt für mich etwas Anständiges einkaufen“, ruft sie im Hinausgehen und knallt lautstark die Haustür hinter sich zu.  Maya und ich schauen uns perplex an. „Was hat die denn jetzt schon wieder?“, sagt Maya nur kopfschüttelnd und grinst amüsiert. Mir ist nicht nach grinsen. Mir ist danach, etwas gegen die Wand zu feuern! Was für eine doofe Kuh! So viel Spaß macht mir das Kochen auch nicht, dass ich mich nun noch für meine hochgradig ungesunde Ernährung entschuldigen muss. Ich zetere los: „Acht Eier! Acht Eier habe ich da drin!“ „Blaubeeren! Extra für sie! Weil sie Blaubeeren so gerne mag!“ „Da meint man es gut.“ „Aber ich kann ja riechen, dass Madame heute ihren Gesundheitstrip fährt!“

Ich würde Pfannkuchen weder als ideales, kalorienarmes Mittagessen bezeichnen, noch beanspruche ich den Titel „Fünfsterne-Köchin“ für mich. Aber verdammt nochmal, ich gebe mir hier echt Mühe, jeden Mittag etwas Warmes für die Familie auf den Tisch zu bringen. Und seit wann sind Pfannkuchen ungesünder als die Pizza, die Chips, die Burger, die Gummibärchen, die Cola und die überzuckerten Energie-Drinks, die sich Lara ständig mit ihren Freundinnen vor dem Fernseher reinschiebt? Über den Billigwein im Tetra Pak und die anderen alkoholischen Getränke, die nach meinem Verständnis ebenfalls nicht auf einen Low-Carb-Ernährungsplan gehören, wollen wir gar nicht erst reden!

Wutentbrannt schnappe ich mir die heiße Pfanne und knalle sie mit Wucht in die Spüle. Fast schon will ich den restlichen Teig in die Spüle kippen, aber dann tut es mir um die acht Bio-Eier leid. Also hole ich eine Kuchenform und backe einen Apfelkuchen. Ich habe keine Lust mehr am Herd zu stehen und nach Fett zu stinken. Maya gibt derweil laute, genüssliche Töne von sich, um mich zu besänftigen. „Hm, schmeckt super.“ Wenigstens eine Tochter, der ich es noch recht machen kann und die milde mit mir umgeht. Die Zeiten, in denen Lara bei dem Satz „Heute gibt es Pfannkuchen“ entzückt durch das Haus hüpft und mich generell als „beste Mama der Welt“ bezeichnet, sind dagegen endgültig vorbei. Inzwischen wird alles, was ich mache, von ihr kritisch beäugt und bewertet und sehr oft als nicht akzeptabel eingestuft.  

Ich bin erwachsen und man erwartet von mir eine gewisse Souveränität. Ich sollte die Ausbrüche meiner Tochter nicht persönlich nehmen und ihr gelassen entgegentreten. Denn es ist ja so: Der gemeine Teenager ist ein einziger Widerspruch in sich. In einem Moment steht eine vernünftige, fast schon erwachsene Person vor uns, mit der wir uns auf Augenhöhe unterhalten können. Im nächsten Moment erlebt man, wie sich der Teenager, der einen inzwischen einen ganzen Kopf überragt, in ein bockiges Kleinkind zurückverwandelt und sich am liebsten strampelnd auf den Fußboden schmeißen würde, weil ihm etwas gegen den Strich geht.

Es gibt Tage, da steht Lara heulend und verzweifelt vor mir und behauptet, sie wäre mit den schlechtesten Genen der Welt ausgestattet. Alles an ihr wäre zu groß: die Nase, die Körpergröße, die Matheschwäche. An anderen Tagen ist lediglich eine Sache an ihr übermächtig groß: ihr Ego. Dann dreht sie sich zufrieden mit sich und der Welt vor dem Spiegel hin und her, gibt sich selbstgefällig, hochnäsig und besserwisserisch. Was an einem Tag gut ist, ist am nächsten schlecht. Lasse ich beim Einkaufen Süßigkeiten weg, weil Lara auf jegliches Junk-Food verzichten will, durchstöbert sie abends fieberhaft die Küchenschränke, um dann frustriert zu knurren, dass es in unserem Haus nie etwas Leckeres gebe.

Respektiert man ihre Privatsphäre, weil man nach dem Anklopfen an ihrer Zimmertür wiederholt ein genervtes „Was ist denn? Ich will meine Ruhe!“ entgegengeschmettert bekommen hat, baut sie sich kurz darauf eingeschnappt im Wohnzimmer vor uns auf und sagt: „Toll! Warum ruft mich denn keiner und fragt, ob ich den Film mitgucken will? Gehöre ich nicht mehr zur Familie, oder was?“

Für uns Eltern ist es nicht immer einfach, zu erahnen, ob man seinen Teenager gerade lieber in Ruhe lassen sollte oder ob er sich nach Nestwärme, Trost und Zuspruch sehnt. Eine Achterbahn der Gefühle – für beide Parteien, den Teenager und seine Eltern. Ich schaffe es nicht immer, mich auf die Stimmungsschwankungen meiner Töchter einzustellen. Und so ist es auch heute für mich, nach meinem eigenen, miesen Vormittag, mitten in der nervenaufreibenden Pandemie, praktisch unmöglich, humorvoll und schulterzuckend über Laras Ausbruch hinwegzusehen.  

Zwanzig Minuten später dreht sich das Schloss in der Haustür. „Habt ihr jetzt schon gegessen?“, flötet Lara und schlendert, als wäre nichts gewesen, in die Küche. Ich habe keine Ahnung, wo sie war und ob sie eingekauft hat. Es ist mir auch egal. Sie hat sich offensichtlich abreagiert. Aber ich bin immer noch sauer und gebe daher keine Antwort. „Wo sind denn die Pfannkuchen?“, fragt sie mit Blick auf den Herd und tut ganz lieb. Maya weist auf den Backofen: „Mama hat Apfelkuchen gebacken.“ Lara reißt entsetzt die Augen auf. „Ja, aber, was soll ich denn jetzt essen?“, stammelt sie und lässt sich frustriert auf den Stuhl fallen. Ich hole die Schüssel mit den Blaubeeren und knalle sie geräuchvoll vor ihr auf den Tisch: „Iss Blaubeeren. Fettfrei und gesund.“ Dann setze ich mich und fahre den Laptop wieder hoch. Mittagessen beendet.

Eltern sollten ihren Kindern gegenüber nicht nachtragend sein. Aber bei allem Verständnis für die Umbauarbeiten im Gehirn unserer Teenager: Auch wir Eltern würden uns hin und wieder gerne einfach auf den Boden schmeißen und mit den Fäusten trommeln, wenn sie sich so aufführen! Nach dem Pfannkuchen-Gate ziehe ich meine Konsequenzen und fahre den Küchen-Service für die gesamte Familie deutlich herunter. Lara steht nun sehr viel häufiger selbst am Herd und geht einkaufen. Auf ihre Frage: „Kochst du gleich?“ reagiere ich inzwischen mit einem Schulterzucken und antworte versnobt: „Mal sehen.“