Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Wie viel Job verträgt meine Familie?

Ein ausgeglichenes Nebeneinander gibt es zwischen Elternsein und Erwerbsarbeit höchst selten.
Ein derart ausgeglichenes Nebeneinander gibt es zwischen Elternsein und Erwerbsarbeit höchst selten.

„Ich brauche meine 100 Prozent im Job für mein Selbstverständnis“, sagt die Bekannte beim gemeinsamen Spazierengehen zu mir. „Ich will nicht so ’ne Teilzeitmuddi sein!“ Sie arbeitet momentan mit einem eineinhalb Jahre alten Kind wieder 80 Prozent. Ich arbeite 86 Prozent. Es geht nicht ums Geld. Ihr Satz trifft mich dennoch. Das Wort „Muddi“ verletzt mich dabei mehr als das Wort „Teilzeit“, denn ich bin eigentlich sehr zufrieden mit meiner Teilzeit, meinem Arbeitspensum und den zugehörigen Projektverantwortlichkeiten. Ich bin voll integriert im Team und kann meinen Sohn dennoch jeden Nachmittag von der Kita abholen. Und wenn wir ehrlich sind: 86 Prozent sind ja nicht einfach Vollzeit minus 14 Prozent; auch die sonst selbstverständlichen (unbezahlten) Überstunden fallen für mich jetzt einfach seltener an – und falls doch, kann ich einen Ausgleich nehmen. Mehr würde aber auch nicht gehen, da mache ich mir keine Illusionen, denn ich bin nun mal nicht nur Angestellte, sondern eben auch Mutter.  

Ich habe mich schon oft gefragt, warum ausgerechnet Mütter sich gegenseitig so kritisch beäugen und manchmal auch richtig fies sind – als wäre etwas falsch daran, gerne Zeit mit seinem Kind zu verbringen oder dafür beruflich zumindest zeitweise ein wenig kürzer zu treten.

Die Frage, wie viel wir als Eltern mit Kleinkind arbeiten möchten, beschäftigt meinen Mann und mich momentan sehr: Wir bekommen nämlich im Spätsommer unser zweites Baby, teilen uns die Elternzeit und möchten dann gerne beide wieder möglichst viel arbeiten gehen, weil wir unsere Jobs eben auch lieben. Doch seit mein Bauch runder und mein zweieinhalbjähriger Sohn ob der Veränderung entsprechend anhänglicher werden, bin ich mir nicht mehr so sicher, wie viel Job eine Eltern-Kind-Beziehung verträgt. „Ich hab dich so vermisst“, säuselt mir mein Sohn Max ins Ohr, als ich kurz auf der Toilette war. „Aber wann denn?“, frage ich. „Ich war doch immer da.“ „Einfach so“, sagt er mit seinem kleinen Kinderherz und schmiegt sich enger an mich. Seit er spürt, dass sich bei uns etwas verändert, gibt es wieder häufiger Tränen morgens an der Kita-Tür, nachts kommt er wieder öfter in mein Bett, und seine Kuscheleinheiten sind intensiv wie nie.

Kürzlich habe ich einen Text darüber gelesen, dass eine junge schweizerische Familie sich dazu entschieden hat, dass die Frau nicht arbeitet, sondern sich um die drei Kinder kümmert, was natürlich auch Arbeit ist, das wird jedem klar sein. „Ich bin eine Provokation für andere Frauen“, erzählte sie. Und dass sie sich sehr viele sehr übergriffige Sprüche für ihre Entscheidung für das angeblich traditionelle Familienmodell anhören müsse, das doch inzwischen eigentlich eher die Ausnahme geworden ist.

Ich bin weit davon entfernt (und mein Mann übrigens auch), unsere Jobs komplett an den Nagel hängen zu wollen. Aber wie diese Familie darüber berichtete, dass ihr Familienleben harmonisch, weitgehend stressfrei und irgendwie auf Augenhöhe stattfindet, das gab mir doch zu denken. Unser Leben funktioniert auch meistens ganz gut – aber es ist mit den täglichen Konflikten garniert, die es mit sich bringt, wenn nicht nur zwei Erwachsene funktionieren müssen, sondern auch das Kita-Kind pünktlich, satt und mit geputzten Zähnen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein muss. Wenn wir dann durch unseren Arbeitsalltag hetzen, um am Nachmittag ein Kind wieder in Empfang zu nehmen, das einen Tag erlebt hat, in den wir nur begrenzt Einblick erlangen können. Hatte es Frust, hat es uns vermisst, spielte es unbeschwert oder schluckte es seine Tränen hinunter? Es schnürt mir ein wenig die Kehle zu, ein so kleines Kind allein durch einen ganzen Tag zu schicken, natürlich nicht unbegleitet, aber eben ohne uns.

Seit Max auf der Welt ist, sind wir damit beschäftigt, die bestmögliche Betreuung für ihn zu organisieren. Wir haben ihn schon kurz nach seiner Geburt in diversen Kitas angemeldet, um dann letztlich doch erst acht Wochen vor Eingewöhnungsbeginn kurz nach seinem ersten Geburtstag eine Zusage zu bekommen. Bis dahin war das dumpfe Gefühl im Magen unser ständiger Begleiter: Wird alles klappen, wie wir es uns ausgemalt und mit unseren Arbeitgebern abgesprochen haben? Bekommen wir einen Vollzeitplatz? Wie lange dauert die Eingewöhnung? Im Sommer kommt Max in den Kindergarten – wieder nach einer (diesmal virtuellen) Odyssee durch die Betreuungsstätten der Umgebung und dem unsicheren Warten. Und für das neue Geschwisterchen haben wir jetzt schon nur zwei Optionen für einen Platz im nächsten Jahr angeboten bekommen: Mai oder Dezember – für Kind, Job und Familienleben natürlich ein immenser Unterschied.

Ich frage mich manchmal, ob das Leben mit Kindern immer zu einem so großen Teil daraus bestehen wird, sie „wegzuorganisieren“, ihren Alltag mit unseren Vorstellungen und Erwartungen bestmöglich in Einklang zu bringen – und dann doch manchmal nächtelang wach zu liegen und darüber zu grübeln, ob sich wohl alles fügen oder doch eher implodieren wird.

Das zurückliegende Jahr hat gezeigt, dass vieles möglich ist und wir als Eltern viel stärker sind, als wir vielleicht dachten. Wir schaffen Homeoffice und Lockdown, Notbetreuung und Krankheitsphasen. Doch die Frage ist: Ist dies das Leben, das wir uns vorstellen? Wären wir vielleicht doch glücklicher mit etwas weniger Programm, Orga-Punkten auf der To-do-Liste und Termin-Tetris?

Und die wesentlichste Frage ist: Wäre auch unser Leben besser, einfacher, harmonischer, konfliktfreier, wenn wir weniger arbeiten würden? Wären wir glücklicher – oder würden uns unsere Jobs nicht doch sehr fehlen? Wären unsere Kinder glücklicher – oder würden ihnen nicht auch ihre Freunde und Erfahrungen ohne uns fehlen? Unsere Wochenenden sind häufig noch anstrengender als die Wochentage, meine Schwester sagte immer, die Zeiten, in denen sie nicht arbeitete, waren besonders frustrierend, weil sie dann gerne alles perfekt gehabt hätte – und das mit fünf Kindern eben einfach nicht geht, selbst wenn sie nicht arbeitet. Hat sie selbst einen Ausgleich, ist sie gelassener.

„Die Zeit, in der die Kinder so klein sind, kommt nicht wieder“, höre ich in meinem Kopf. Doch ich weiß auch noch genau, wie sehr ich mich nach Max‘ Geburt darauf gefreut hatte, wieder arbeiten zu gehen. Wir werden es wohl – wie so vieles – auf uns zukommen lassen müssen, schauen, wie es sich schüttelt, und im Zweifel gegensteuern.

Der Mann meiner Bekannten ist mit seiner Vollzeit-100-Prozent-Partnerin im Moment übrigens schwer im Stress. Denn seit sie aufgestockt hat, ist er es, der das Kind von der Kita abholt und sich dann nach Feierabend noch einmal an den Schreibtisch setzt. Ob er vielleicht lieber ein Teilzeit-Vaddi wäre? Ich glaube, das hat ihn (noch) niemand gefragt.