„Schau dir mal diesen fiesen Pickel hier an“, sagt Maya (13) und zeigt auf ein Pickelchen an ihrer Nase. „Kann ich toppen“, sage ich und drücke auf die dicke, hochrote und schmerzende Beule an meinem Kinn. Hormone können einen ganz schön piesacken. Mal sind Östrogene, Testosteron und Progesteron im Einklang miteinander, dann sind von dem einen zu viel und von dem anderen zu wenig vorhanden. Die Hormone tanzen gerne Samba, leider nicht immer im Takt. Anscheinend freuen sie sich, wenn wir durch ihre Unausgewogenheit reizbar, manchmal regelrecht aggressiv und unberechenbar werden. An manchen Tagen kochen sie so hoch, dass sie uns in hochemotionale und weinerliche rohe Eier verwandeln. Das gilt für meine Töchter und auch für mich.
Bei Laras Geburt war ich 32 Jahre alt (sie ist heute 17), bei Mayas 35. Schon damals habe ich durchgerechnet, dass Lara einige Monate nach meinem 50. Geburtstag volljährig wird. Wie krass, dachte ich, das werden emotionale Tage, an denen ich sicher ein paar Tränen vergießen werde: Freudentränen, aber auch Tränen des Aufbruchs und Umbruchs. Lara wird dann fast die schlimmste Pubertätsphase hinter sich haben, mutmaßte ich weiter, Maya wird mittendrin stecken und ich werde wahrscheinlich geradewegs in die Wechseljahre galoppieren – die Pubertät in einer Rolle rückwärts. Hilfe! Hormonhölle! Mein armer Mann! Da kann er sich ja in ein paar Jahren warm anziehen mit uns drei Mädchen. Und 50! Mein Gott! Was für eine Zahl! Das ist uralt!
Nun müsste man meinen, dass ich genug Zeit hatte, mich mit diesen Gedanken anzufreunden. Und überhaupt, in einer Beziehung ist das Leben absolut gerecht: Niemand kann sich dem Alterungsprozess entziehen. Ich finde es dennoch unfair, dass Frau diesen Hormonschwankungs-Mist immer und immer wieder durchmachen muss: Pubertät, PMS, Hormonschübe während und nach der Schwangerschaft und alles, was sonst noch zum weiblichen Dasein dazugehört. Das krönende Finale bilden die Wechseljahre, die ich mit dem Verlust meiner Fruchtbarkeit, Weiblichkeit und Attraktivität verbinde. Adieu Stringtanga und Knackpopo, willkommen Tena Lady Pants und Elefantenhintern. Hitzewallungen und Herzklopfen, die leider nicht auf hoffnungslose Verliebtheit zurückzuführen sind, kommen on top. Da muss man nichts schönreden.
Als wäre die Aussicht auf all das nicht schlimm genug, wird mir gleichzeitig im Theaterstück meiner Kinder nach und nach die Hauptrolle entzogen. Von der Nebenrolle ist es dann nicht mehr weit bis zur Zweitbesetzung. Sicher, ich werde nie ganz von ihrer Bühne verschwinden. Ich bleibe immer eine Mutter. Aber die Ansprüche an mein Spiel werden stetig anspruchsloser. Meine Töchter können sich selbständig waschen, anziehen, essen, backen, den Blu-ray-Player bedienen und ihre Termine selbst organisieren. Wir spielen nun öfter mit vertauschten Rollen: Meine Töchter erinnern ihre immer vergesslicher werdende Mutter daran, dass sie den Herd noch ausmachen muss und die Schlüssel nicht vergessen soll. Sie verraten ihr, wo sie das Auto geparkt und wohin sie ihre Brille verlegt hat, wie man mit der App richtig umgeht und wie man den Namen der Sängerin Billie Eilish korrekt ausspricht.
Ich kann mir ein Handtuch und Wechselklamotten griffbereit neben mein Bett deponieren, damit ich es nachts einfacher habe, wenn ich in meiner eigenen Brühe aufwache. Ich kann weniger Alkohol trinken und mehr Sport treiben, mich gesünder ernähren und mir angewöhnen, morgens sehr sorgfältig im Spiegel zu prüfen, ob mir nicht über Nacht wieder eines dieser fiesen, langen schwarzen Ziegenhaare am Kinn gewachsen ist.
Ich kann mir die positiven Seiten des Älterwerdens ins Gedächtnis rufen und mich daran erfreuen, dass meine Kinder „aus dem Gröbsten raus sind“ und mein Mann und ich das Mehr an Freiheit genießen können. Ich kann mich zu neuen Ufern aufmachen. Beruflich noch einmal richtig durchstarten. Fernreisen ohne Kinder und außerhalb der Schulferien planen. Die Fortbildung machen, die ich immer schon einmal machen wollte. Eine neue Sprache lernen. Alles super! Soweit die verlockend klingende Theorie. Aber mein hormongesteuertes Gemüt macht mir hier einen Strich durch die Rechnung.
Ich erinnere mich sehr genau an den Babyblues ein paar Tage nach Mayas Geburt vor dreizehn Jahren. Diese furchtbaren Tage, an denen sich wie aus dem Nichts die Schleuse öffnet und die Tränen fließen, obwohl man doch eigentlich die glücklichste Person mit dem hübschesten Baby der Welt sein müsste. Damals hat mich eine Hebamme im Krankenhaus lächelnd getröstet und gemeint, Heulen gehöre dazu und wäre eine ganz normale Reaktion auf den Hormonabfall nach der Geburt.
Ob ich sie mal anrufen soll? Es gibt Momente, in denen ich etwas Trost wahnsinnig gut gebrauchen könnte, wenn meine Hormone im Keller sind. An manchen Tagen reicht es aus, an unserem alten Kindergarten vorbeizugehen, um in den Babyblues 3.0 zu verfallen. Es ist das kleine, blonde Mädchen im Sommerkleid, das mit ihrer Mittdreißiger-Mutter Sandkuchen auf dem Spielplatz backt. Es ist das junge Pärchen, das lächelnd den Kinderwagen ihres Babys schiebt, während der ältere Sohn auf dem Laufrad daneben fährt. In diesen Momenten schießen sie ein, die Bilder in meinem Kopf, die mich so furchtbar melancholisch stimmen. Dann sehe ich in dem kleinen, blonden Mädchen im Sommerkleid meine Maya, die zärtlich ihre kleine Hand in meine schiebt. Dann sehe ich Lara, wie sie mit ihrem 10-Zoll Laufrad waghalsig den steilen Berg heruntersaust und meinen Mann, der ihr erschreckt hinterher hechtet.
Dass die Pubertät, in der sich die Kinder von ihrer Kindheit und ihren Eltern abnabeln, ausgerechnet in die Wechseljahre der Mutter fällt, ist in vielen Familien so und unserer immer späteren Mutterschaft geschuldet. Manchmal fange ich wieder an zu rechnen: Wenn Maya so alt ist wie ich damals bei ihrer Geburt, habe ich die 70 überschritten. Werde ich dann fit und aktiv genug sein, um meine Enkelkinder in vollen Zügen genießen zu können? Meine Nachbarin, die nur ein paar Jahre älter ist als ich, wurde dieses Jahr zum ersten Mal Oma. Sie ist sehr früh Mutter geworden, was damals für sie nicht einfach war, wie sie erzählt. Wenn man sie mit ihrem Enkelsohn auf der Straße trifft, leuchten ihre Augen. Sie hat nun eine neue Rolle im Spiel des Lebens.
Meine Hormone tanzen gerade einen langsam auslaufenden, traurigen Walzer, während die meiner Töchter einen feurigen Mambo auf Parkett legen. Damit muss ich umgehen. Einen Vorteil hat es allerdings, dass sich die Pubertät meiner Töchter mit meinen Wechseljahren überschneidet: Ich habe Verständnis für Mayas und Laras Stimmungsschwankungen und kann mir, wann immer ich will, Mayas Pickelcreme ausleihen.