Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Elternhilfe, das geliebte und gehasste Ehrenamt

Ohne Begleitung von Eltern undenkbar: Schulklasse auf Waldexkursion
Ohne Begleitung von Eltern undenkbar: Schulklasse auf Waldexkursion

Mayas Klassenlehrerin möchte zum Ende des Schuljahres zwei Wandertage durchführen. Man sucht Fahrdienstwillige für den einen und Begleiteltern für den anderen Tag. Ich führe ein Zwiegespräch mit meinem Gewissen:

Du weißt schon, dass du gerade vor den Sommerferien in Arbeit schwimmst und es dir eigentlich nicht leisten kannst, nun auch noch den Ausflug zu begleiten oder Taxi zu spielen?“ 

Irgendjemand muss es doch machen, und rein theoretisch geht es ja mit ein bisschen hier und da schieben.“

„Sollen doch die anderen.“

„Aber man kann sich nicht drauf verlassen, dass es andere machen. Du weißt selbst, wie schwierig sich das oft gestaltet.“

„Das kann nicht dein Problem sein. Erinnerst du dich an Mayas letzten Ausflug in der Grundschule? Du musstest sogar die Busfahrkarte selbst bezahlen. Muss ich dich daran erinnern, wie sehr du dich geärgert hast?“

Ja, ich erinnere mich. Die Busfahrkarte war eigentlich nicht das Problem. Sie hat mich nicht arm gemacht. Die Busfahrkarte steht für mich als symbolisches Warnmal, damit ich meine Hilfe nicht allzu leichtfertig anbiete. Ehrenämter sind undankbare Ämter, für die man keinen Dank erwarten kann und auch nicht darf. Dennoch war bei mir irgendwann der Moment erreicht, an dem ich mich ausgenutzt fühlte. An besagtem Grundschulausflug, zu dem ich mich als Begleitperson bereiterklärt hatte, fragte ich Mayas Lehrerin nebenbei, wer denn nun eigentlich die ganzen Koffer am Zielort ausladen würde: Die Abschlussfahrt der vierten Klasse sollte in einer nahegelegenen Jugendherberge stattfinden. Man hatte beschlossen, mit den Kindern in öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen und die Koffer von „bereitwilligen Eltern“ zur Jugendherberge transportieren zu lassen.

„Bereitwillig“ stellte wie üblich ein Problem dar. Mein Mann bot seinen großen Transportwagen an. Da er erst kurz zuvor einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte, musste beim Ausladen Hilfe her. Mayas Lehrerin antwortete mir auf meine Frage lapidar, ich solle mich in der Klasse umhören, denn ich wäre sicher gut vernetzt. Anscheinend hatten mein Mann und ich wie selbstverständlich die weitere Organisation gewonnen. In diesem Moment wurde die Busfahrkarte für mich zum Symbol. Nicht einmal 2,10 Euro aus der Klassenkasse oder eine Tasse Kaffee (es war kalt) war mein Einsatz an diesem Tag wert gewesen. Wer am Ende die dreißig Koffer in der Jugendherberge auslud? Mein Mann mit seinem Bandscheibenvorfall, die Klassenlehrerin, ihr Sohn und ich.

Maya und Lara besuchten eine städtische Grundschule, die ich vom sozialen Gefüge her als bunt bezeichnen würde. Besonders die Elternabende von Laras Klasse waren schlecht besuchte Veranstaltungen. Es meldeten sich nur einzelne und immer dieselben Eltern, wenn es mal wieder hieß: „Wir können den Ausflug nur mit Elternhilfe durchführen, sonst muss er ausfallen.“  Ich engagierte mich ehrenamtlich in der Schülerbücherei, half Erstklässlern beim Lesenlernen und trug mich brav ein, wenn für Schulfeste Kaffee- und Kuchenspenden oder Helfer für die Cafeteria gesucht wurden. Ich ging als Elternbegleitung ins Theater. Ich backte Weihnachtsplätzchen, säuberte Tische, verbrannte mir die Finger am Backblech, putzte den dreckigen Boden und hatte danach oft keine Lust mehr, mit meinen eigenen Kindern zu Hause zu backen. Ich blockte mir Vormittage für das Fahrradtraining und die Radfahrprüfung („Wir haben zu wenig bereitwillige Eltern, die das Radfahrtraining und die Prüfung begleiten wollen. Wir müssen es sonst leider komplett ausfallen lassen. Kann denn wirklich niemand?“) um legte mich mit aufmüpfigen, rotzfrechen Grundschulkindern an, die weder das Radtraining noch mich ernstnehmen wollten.

Im Kindergarten habe ich noch voller Elan und Enthusiasmus „Hier“ gerufen. Ich fand es schön, wenn für meine Kinder und ihre Gruppe die Waldwoche anstand. Es ist für die Kinder, habe ich in Momenten des Zögerns gedacht und mich in die Fahrdienstliste eingetragen. Es hatte wenig Zweck zu hoffen, dass sich die Liste von alleine füllt, um dann „Och, jetzt fahren ja schon so viele, dann werde ich nicht mehr gebraucht„, zu sagen.

Ich lud meinen Wagen mit einer Horde quirliger Kindergartenkinder voll, chauffierte sie in den Wald und holte sie wieder ab. Die Kinder stiegen nachmittags müde und zufrieden in mein Auto ein und strampelten mit den matschigen Gummistiefeln gegen meine Sitze. Die Waldwoche wurde bei jeder Witterung durchgezogen. Härtet ab, da war ich ganz dabei! Nur einmal, als sich morgens ein Unwetter ankündigte und der Himmel sich bereits dunkel zuzog, fragte ich, ob es nicht vielleicht Sinn hätte, den Tag abzublasen. „Ach was, das wird schon“, beruhigte die Erzieherin, um keine zwei Stunden später den Notstand auszurufen. Ein Unwetter hatte sich zusammengebraut, es regnete Hunde, und die Kindergartengruppe steckte völlig durchnässt im Wald fest. „Wie gut, dass wir Sie erreichen. Können Sie kommen und so viele Kinder wie möglich abholen? Und bringen sie Handtücher und große Müllbeutel für die matschigen Klamotten mit!“

Ich ließ alles stehen und liegen und eilte zur Hilfe. Ich zog den Kindern im Auto die matschigen Hosen aus, stopfte das nasse Zeug in die Müllbeutel und versuchte mit Handtüchern, die völlig durchnässten und durchgefrorenen Körper warm zu bekommen. Mein Scheibenwischer kämpfte gegen die Sintflut. Mit Herzklopfen und ohne Sicht fuhr ich die überflutete Straße entlang. Was würden die Eltern sagen, wenn ich nun einen Unfall bauen würde? Sicher nicht: „Ach, das macht doch nichts, dass Karl jetzt im Krankenhaus liegt. Der Unfall war ja nicht Ihre Schuld. Sie sind doch haftpflichtversichert? Kommen Sie, ich helfe Ihnen heute Nachmittag noch schnell den Wagen von innen sauberzumachen.“ Als wäre das nicht schlimm genug, jammerte plötzlich ein Mädchen von der Rückbank: „Ich muss so nötig Pipi.“ Meine Frage, ob sie es wirklich nicht aushalten könne, verneinte sie vehement und heulte, dass sie gleich in die Hose machen müsste.  Da bei Kindern solche Aussagen selten leere Drohungen, sondern nackten Fakten sind, hielt ich an und wagte mich in den Monsun. Ich nahm das Mädchen, das sich schon vorher bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte, auf den Arm und hielt sie am Seitenstreifen schwebend über dem Boden ab. Anschließend setzte ich klatschnass meine Fahrt fort und lieferte die Fracht im Kindergarten ab. Dort kassierte ich ein herzlich und ehrlich gemeintes Dankeschön von den Erziehern und fuhr mit meiner eigenen Tochter nach Hause, um sie in die heiße Badewanne zu stecken.

Die meisten Einsätze im Kindergarten (außer die Fahr- und Einkaufsdienste) verbinde ich heute dennoch mit schönen Erinnerungen: Weihnachtsbasteln auf viel zu kleinen Kindergartenstühlen, mit einer befreundeten Mutter angeschickert den Glühweinausschank beim Martinszumzug übernehmen, Spaß auf dem Osterbasar mit den anderen Eltern haben, die im Kindergarten – zumindest bei den schönen Aktionen – noch kräftig mithalfen. In unserer Grundschule suchte man diese Elterngattung mit der Lupe. Es waren immer dieselben wenigen Leute, die sich angesprochen fühlten, Schichten im Büro umlegten, extra Urlaub nahmen oder sich mit ihrem Neugeborenen in die Schulbücherei hockten, um nicht nur für das eigene Kind, sondern auch für fremde Kinder da zu sein. Für die Kinder „der anderen“.

Um es nicht zu vergessen: Lara hatte eine phantastische Klassenlehrerin, die unsere Elternarbeit sehr wertgeschätzt hat. Und ich verstehe gleichzeitig den Frust, den Mayas Lehrerin sicher oft schob. Es ist ermüdend und frustrierend, immer und immer wieder um Hilfe betteln zu müssen. Auf dem Gymnasium meiner Töchter halten sich die ehrenamtlichen Tätigkeiten in Grenzen, aber die Elternabende sind gut besucht – ein Gradmesser. Es haben sich schon einige Freiwillige gefunden, zumindest für den Fahrdienst. Und irgendwie werden mein Mann oder ich ebenfalls eine Tour hinkriegen.

An dieser Stelle möchte ich allen Eltern und Großeltern, die sich für Kinder engagieren, sei es im Kindergarten, privat, in der Schule oder in einem wohltätigen Verein, für ihren Einsatz und die vielen geschenkten Stunden Lebenszeit danken, falls es sonst keiner honoriert. Schön, dass Sie nicht denken: „Sollen doch die anderen“.