Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Was wir in der Pandemie als Familie gelernt haben

Ein Fall für die familiäre Mittagspause im Lockdown: ein TKKG-Hörspiel

Es hat 38 Jahre gedauert, bis ich die entscheidende Textzeile verstanden habe. „Karl lässt schnell die Fakten tanzen“, heißt es im ursprünglichen Titelsong der TKKG-Hörspielreihe. Aus Rechtsstreitigkeiten wurde er später durch das Lied mit der Zeile „TKKG, die Profis in spe“ ersetzt, genauso wie der Name Tarzan zu Tim getauscht wurde – nicht etwa, weil der Dschungelheld nicht als Vorbild für die Jugend taugte, sondern weil seine Verwendung gegen Trademark-Bestimmungen verstieß. Das weiß ich alles, weil Pandemie ist.

In fünfzehn Monaten Gesundheitskrise sortiert sich einiges neu. Und so ist das gemeinsame Hörspielhören beim Mittagessen während der Homeschooling-Wochen zu einem kleinen Ritual geworden. Jetzt finden wir irgendwann anders Zeit für die Folgen der jugendlichen Ermittlerbande, die in einer Großstadt lebt („eine Stadt, die so groß ist wie die unsere“, sagt der hauptberufliche Kommissar Emil Glockner an einer Stelle), deren Attribute klar auf München schließen lassen, und die auch zur Verbrechensbekämpfung im Umland ausschließlich mit dem „Drahtesel“ unterwegs sind.

In der Pandemie hat sich unsere Familie natürlich ein bisschen neu sortiert. Hatten wir das Gefühl, dass Familie und Kinder immer Priorität hatten, wie es die Bundesregierung als Parole ausgegeben hat? Das sind die zwei Themen, um die es in diesem Blogbeitrag gehen soll.

Gestern traf ich einen Sportsfreund. Wir alle waren merklich nicht in Form. Homeoffice hat Bewegungsarmut erzeugt. Ich wunderte mich, ihn zu sehen, denn vor Corona war er mit seiner Familie in eine andere Stadt in der Nähe gezogen. Nun war er offensichtlich wieder da. Nach unserer mehr oder weniger erfolgreichen Rückkehr auf den Hallenboden erzählte er über die Gründe. Es sei nicht leicht gewesen, am neuen Wohnort Anschluss zu finden. Nicht nur wegen Covid-19, aber auch deshalb. Einige Male sei die Familie zu Besuch in der Großstadt gewesen, die Kinder hätten immer Freunde getroffen, wenn sie auf Spielplätzen waren. Irgendwann reifte der Wunsch zurückzukommen.

Als eine der positiven Erfahrungen wertete er, dass die Familie einen neuen Rhythmus gefunden habe. Habe es früher immer geheißen, wegen der Kinder müsse man ganz schnell nach draußen, hätten die Begriffe „Chillen“ und „Gammeln“ nun eine Bedeutung bekommen. Halt so etwas wie unsere TKKG-Sessions – alle hören zu, können aber auch ein bisschen vor sich hinträumen, langsamer oder schneller essen als der Rest. Auch in anderen Dimensionen lässt sich das bei uns beobachten: Früher haben wir uns immer gefragt, wann eigentlich Comics und Bücher mal Zeit finden. Mit Covid-19 teilt sich ein Wochenend-Tag nicht mehr in eine Vormittagseinheit und eine Nachmittagseinheit, sondern lässt auch Müßiggang zu.

Wird das bleiben? Immerhin haben viele über diese Erfahrung auch schon nach dem ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr berichtet. Genauso wie sich Waldspaziergänge und Fahrradtouren als passable Alternativen zum Hallenbad und zur Schlittschuhbahn erwiesen. Aber etwas ist doch anders nach fünfzehn Monaten Pandemie. Viele Familien sind an ihre psychischen Grenzen gestoßen und sprechen das auch aus. So lange Zeit Kinder ruhig zu halten, die kaum Freunde, keinen Sport, wenig Abwechslung, Unterricht am Bildschirm und permanenten engen Austausch mit Eltern und Geschwistern hatten, dürfen sich Eltern ruhig als große Lebensleistung ans Revers heften. „Wer hätte gedacht, dass es schlecht für die Psyche ist, monatelang den Stress um 300 % zu erhöhen und den Spaß um 90 % zu reduzieren?“, schrieb kürzlich der Comiczeichner Krieg und Freitag (Tobias Vogel) auf Twitter.

Und dann ist da noch die politische Komponente. Während des ersten Lockdowns fielen Hunderttausende Familien von einem auf den anderen Tag (für viele der 15. auf den 16. März vergangenen Jahres) in eine völlig neue Lebenssituation: Eltern wurden Lehrer, Köchinnen, Erzieher und Homeoffice-Arbeiterinnen zur gleichen Zeit. Um bei Krieg und Freitag zu bleiben: Wie viel Erholung und Ausgleich brauchen sie jetzt eigentlich, um den um 300 Prozent erhöhten Stress und den um 90 Prozent reduzierten Spaß auszugleichen? Weiß das vielleicht eine gute Psychologin oder ein versierter Psychoanalytiker?

In der ersten Phase der Pandemie hatten viele noch Verständnis für eine Politik, die noch nie mit einer solche Situation konfrontiert war. Je länger sich die Krise hinzog, desto sichtbarer wurden strukturelle Defizite, die man sicherlich auch nicht vom einen auf den anderen Tag beheben kann. Doch woran sich die meisten Familien abarbeiten, ist die scheinbare Priorität für Kinder, die pausenlos deklamiert, aber nicht gelebt wurde. So etwa die Ignoranz gegenüber Kindern in ärmeren Stadtteilen, deren Hilfeinfrastruktur wegbrach und jetzt, da man mehr über die Risiken der Pandemie weiß, wieder etwas besser funktioniert. Doch dass immer etwa zwei Wochen, nachdem dringend notwendige Erleichterungen in den Schulen verkündet wurden, dieselben Erleichterungen auch für andere gesellschaftliche Bereiche verkündet wurden, ließ zumindest Zweifel an der Ehrlichkeit der Behauptung aufkommen, dass Kinder ganz oben stehen.

Wir haben mal wieder eine Etappe genommen. Immer mehr Menschen sind geimpft, die Inzidenzen so niedrig, dass das Leben allmählich wieder lebenswerter wird. Wir treffen Freunde beim Sport wieder, gehen mit angezogener Handbremse EM im bescheidenen Public Viewing schauen. Und wir haben einiges gelernt, von dem wir nicht gedacht hätten, dass wir es lernen. Es heißt nicht: „Karl ist schnell die Faktentasche.“ Es heißt auch nicht: „TKKK, die Profis im Spähen.“ Und man erfährt auch nie, was Sabine Lenz eigentlich dazu sagt, dass ihr Versicherungsheini so ein gemeiner Dieb ist. Ab Folge 50 steigen wir dann auf Die drei ??? um – aber die mit der Originalmusik von Bert Brac und Phil Moss, die eigentlich Carsten Bohn heißen und im früheren Leben mal der Drummer der besten deutschen Rockband Frumpy waren. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.