Unser großer Sohn ist in der vergangenen Woche in den Kindergarten gekommen. Vielleicht waren wir aufgeregter als er, wie er die Umstellung von einer winzigen Krabbelstube für Unter-Dreijährige in einen Kindergarten mit fünf Gruppen und insgesamt hundert Kindern meistern würde, zu der auch noch ein Hort für Schulkinder gehört.
Mein Mann und ich lagen abends wach in den Betten, angespannt, als wenn wir selbst am nächsten Tag unseren ersten Arbeitstag oder ein wichtiges Gespräch hätten. Ist er reif genug? Oder doch noch zu jung? Wird er beim Abschied weinen? Gewöhnen sie ihn behutsam genug ein?
In den vergangenen Monaten kam er uns so groß vor, eindeutig der Krabbelstube entwachsen, wo die Einjährigen gerade auf wackeligen Beinen erste eigene Erkundungen anstellen. Max läuft wie ein Weltmeister, fährt Roller und Laufrad und klettert auf den Baum in unserem Garten. Mit ihm kann man inzwischen richtige Gespräche führen, Lego bauen und Kuchen backen. Längst schläft er durch, schneidet Autos aus Zeitschriften aus und hat erste Freundschaften geschlossen.
Doch jetzt, wo wir bald unser zweites Kind erwarten, kommt er mir auch wieder so klein vor. Zumindest noch lange nicht aus dem Gröbsten raus. „Ich bin auch ganz klein“, sagte er neulich selbst und kletterte dann in den Stubenwagen, der schon für seinen kleinen Bruder aufgebaut ist. Er kommt nachts ab und zu wieder zu mir ins Bett und stellt sich beim Puzzlen extra ungeschickt an, damit wir ihm helfen. „Du wirst immer mein erstes Baby sein, Max“, sage ich liebevoll, während ich ihn in der Babywiege streichle. „Aber für deinen Bruder wirst du der Große sein, du kannst ihm zeigen, wie du Fußball spielst, und ihm das Fläschchen geben, wenn du magst.“
Seit mein Bauch sichtbar größer geworden ist, haben wir Max erzählt, dass er ein Geschwisterchen bekommen wird. Er durfte den Bauch eincremen und dem Baby durch vorsichtiges Klopfen zeigen, dass er sich auf es freut. Nicht immer ist das ganz friedlich verlaufen. Ich habe auch Frauenarzt-Termine gehabt, an denen die Ärztin irritiert auf die roten Striemen schaute – Max hatte nach zärtlichem Streicheln mehrmals den Bauch gekratzt. Er hat mir gesagt, dass er sich darauf freut, wenn das Baby da ist, „weil du dann wieder mit mir rennen kannst“. Und er hatte eine Phase, in der er beim Einschlafen so fest den Bauch streichelte, dass er darüber selbst nicht mehr in den Schlaf fand.
Wir hatten schwierige Wochen in der Kita, in denen er sich nicht von mir trennen und nur auf meinen Arm wollte, und super Wochen, in denen er allen erzählte, das Baby werde „Papa“ heißen und er sei stolz, bald großer Bruder zu sein. Er wollte Geschichten von sich als Baby hören und Fotos sehen.
Etwa ein Jahr dauere es, bis das größere Kind sich an seine „Entthronung“ gewöhnt habe, habe ich gelesen, und ich finde dieses Wort wirklich abscheulich. Nicht nur, weil es impliziert, die Eltern hätten das Kind in seinem bisherigen Leben auf einen Thron gestellt, sondern weil es dem großen kleinen Kind auch eine verständliche emotionale Reaktion auf eine tiefgreifende Veränderung abspricht. Auch mit drei Jahren ist ein Kind noch sehr klein – auch wenn es Lego bauen und Kuchen mitbacken kann. Es hat alle Rechte, emotional zu reagieren. Ich kenne Eltern, die mit großen Geschenken, die angeblich das Neugeborene für das Geschwisterkind mitgebracht habe, die Wogen schon von Anfang an zu glätten versucht hatten. „Ich hätte lieber einen Hund gehabt, oder zumindest ein Feuerwehrauto“, soll schon meine große Schwester vor über vierzig Jahren meinen Eltern erklärt haben, als die mit der rotgesichtigen kleinen Schwester aus dem Krankenhaus kamen.
Wenn der Kleine plötzlich der Große sein soll, ist das ein Einschnitt, der Zeit braucht, für alle Beteiligten. Wir haben den Abschied von der Krabbelstube bewusst vor die Geburt des Babys gelegt, damit Max nicht zu viele Veränderungen gleichzeitig bewältigen muss. Zu Hause wird er der Große und weiterhin Mamas Baby sein, im Kindergarten wird er erst einmal wieder der Kleine sein. Aber auch der Große, der mutig auf Neues zugeht und sich bei den „wirklichen Großen“ ganz viel Spannendes abschauen darf.