Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

Freunde fürs Leben?

Ob man sich weiterhin trifft, wenn man Kinder hat, hängt auch davon ab, ob sich der Nachwuchs gut versteht.

„Beim vierten Treffen gleich in Jogginghose, das spricht für euch“, sagt Lottes Papa und reibt sich mit einem Handtuch die nassen Haare strubbelig. Unser erster Besuch bei Max’ neuer Kindergartenfreundin zu Hause und gleich großes Kino. Die Kinder toben durchs Haus, spielen Fangen und Verstecken und veranstalten einen Schrei-Contest. Mir ist unangenehm, dass Max mal wieder einen solchen Rambazamba veranstaltet, doch Lottes Eltern winken ab – „alles ganz normal“. Dann ab in den Garten im strömenden Regen, wo Lottes Papa die Kinder dankenswerterweise wieder einfängt als ein Gewitter losbricht. Er wechselt in trockene, bequeme Klamotten, holt dann für sich und meinen Mann ein Bier aus dem Kühlschrank und wir essen Pizza direkt aus dem Karton. Alles fühlt sich so vertraut und entspannt an als würden wir uns ewig kennen. Dabei sind es erst wenige Wochen.

Kinder katalysieren Kontakte. Und die Erfahrung einer bestimmten Lebensphase mit Schwangerschaft, Geburt, durchwachten Nächten, verheulten Tagen und verrotzten T-Shirts macht einen in gewisser Weise radikal. Man braucht Austausch in dieser Zeit, unbedingt. Gleichzeitig fühlt es sich an, als würde die japanische Aufräumexpertin Marie Kondo den Freundeskreis ausmisten. Zum Telefonieren mit alten Freunden fehlt die Ruhe und die Kraft, zum Verreisen auch meistens und dann ist da ja auch immer noch das Kind. Mit Freunden, die gerade nicht genau diese Lebensphase durchleben, fällt es manchmal schwer, gemeinsame Themen zu finden.

Wie gut tut es da, sich mit Menschen auszutauschen oder zusammenzutun, die genau in der gleichen Phase stecken. Die man beispielsweise im Rückbildungskurs oder Kinderturnen trifft und mit denen man sich direkt wieder für den Spielplatz verabredet. Denen man nicht erklären muss, warum es nach 17 Uhr schwierig ist, weil das Kind dann hungrig/müde/erschöpft ist, dass man, wenn das Kind schläft, selbst hungrig/müde/erschöpft ist, und dass man ab 21 Uhr die Stunden zählt, bis das Kind wieder aufwacht. Die samstags auch gerne schon um 9 Uhr was unternehmen wollen und zwar bei jedem Wetter, aber in Zoo, Museum oder sonst wo nicht zu langsam gehen, damit man in spätestens 90 Minuten fertig ist und eine Auszeit einlegen kann, weil das Kind sonst „drüber“ ist. Die nicht stur weiterreden und es als Störung empfinden, wenn ein Kind gerade Aufmerksamkeit braucht, sondern unterbrechen und ein Taschentuch reichen, wenn das Kleine einem gerade über die Schulter gespuckt oder das große vom Klettergerüst gefallen ist. Und die danach einfach weitererzählen, als sei man nie unterbrochen worden.

Freunde findet man im Studium, beim Sport – oder eben auf dem Spielplatz, je nach aktueller Lebenssituation. Der niederländische Soziologe Gerald Mollenhorst von der Universität Utrecht hat das erforscht und herausgefunden, dass der Freundeskreis sich je nach Lebensphase und biografischer Umgebung verändert. Geht man beispielsweise nicht mehr in den Volleyballverein, schlafen möglicherweise die Freundschaften mit den ehemaligen Teamkollegen ein – und neue kommen dazu. Mollenhorst konnte in seiner Studie belegen, dass etwa alle sieben Jahre die Hälfte eines Freundeskreises komplett „ausgetauscht“ wird.

Ich hatte schon immer viele Freunde und habe das große Glück, dass einige meiner engsten Freundinnen etwa gleichzeitig mit mir Kinder bekommen haben – wir bleiben also in der gleichen Lebensphase. Und doch merke auch ich, dass neue Freunde kommen und andere gehen. Einige Freundschaften, die ich kurz nach Max‘ Geburt geschlossenen habe, haben unseren Umzug ins Grüne nicht überstanden. Die neuen Bande waren nicht fest genug geknüpft für eine Fernfreundschaft. Mit anderen, die ebenfalls rausgezogen sind und jetzt im Nachbarort wohnen, bin ich fast täglich in Kontakt.

Seit die Kinder da sind, fällt es viel mehr ins Gewicht, dass sich auch die Partner und vor allem die Kinder miteinander verstehen. Max hat Temperament, keine Frage. Doch bei manchen Freunden haben wir schnell gemerkt, dass sie ihn eher in die Schublade „ungezogenes Monster“ packen. Vor allem die Freunde ohne Kinder, deren Wohnungen entsprechend filigran eingerichtet sind, aber auch Freunde mit ruhigen Sprösslingen. Kurzum: ein Nachmittag, an dem wir ständig unser Kind bremsen müssen oder es von anderen ermahnt wird, ist für keinen der Beteiligten schön. Einige unserer Freundschaften liegen auch weitgehend auf Eis, weil die Kinder keinen Draht zueinander finden und schon nach wenigen Minuten fragen, wann wir wieder nach Hause fahren. Das ist sehr schade. Mich mit Freundinnen allein zu treffen, gelingt natürlich viel seltener als vor den Kindern.

Neue Freundschaften entstehen, wo wir uns alle als Familie willkommen fühlen, wo unser Kind nicht stört und im besten Fall nicht mal auffällt, und niemand beleidigt ist, wenn wir vom Essen noch vor dem Nachtisch aufbrechen, weil Max plötzlich einen Wutanfall bekommt und sich nicht mehr beruhigen lässt. Er ist eben drei Jahre alt, schönstes Trotzalter. Eltern von gleichaltrigen oder etwas älteren Kindern sammeln dann schnell noch die verstreuten Spielzeuge ein oder bringen das Tütchen vom Kindergeburtstag ans Auto und reichen es durchs Fenster.

Jeffrey Hall, Kommunikationswissenschaftler an der University of Kansas, hat analysiert, dass Menschen rund 40 bis 60 Stunden brauchen, um eine unverbindliche Freundschaft aufzubauen, 80 bis 100 Stunden für eine echte Freundschaft. Richtig gut befreundet ist man den Forschern zufolge nach etwa 200 gemeinsamen Stunden. Manchmal fühlt es sich aber eben auch früher nach „mehr“ an.

Wie wertvoll es ist, auch die alten Bande zu pflegen, auch wenn es vielleicht anstrengend und aufwendig ist, haben wir am vergangenen Wochenende gemerkt. Ein guter Freund meines Mannes feierte seinen 40. Geburtstag und mietete dafür eine ganze Jugendherberge samt Außenanlage im Wald für ein ganzes Wochenende. Corona habe ihn demütig gemacht, sagte er in seiner Begrüßungsrede, dankbarer für scheinbar Selbstverständliches. Daher wolle er seine Lebensfreunde endlich einmal wieder länger um sich haben.

Wir sind zu diesem Fest gefahren, obwohl Lenny erst sechs Wochen alt ist und die Nacht dementsprechend unruhig für uns alle wurde. Doch als der eingeladene Musiker „Ein Kompliment“ von den Sportfreunden Stiller spielte („Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist…“) und mein Mann und sein Studienfreund sich fest in die Arme fielen, wusste ich: Genau das war der Platz, an dem wir gerade sein sollten. Bei unseren engsten Freunden. Denn sie sind nicht für eine Phase, sie sind fürs Leben. Und damit das Wertvollste überhaupt.