Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Finger weg von meinem Portemonnaie

In Gelddingen unterscheiden sich unsere Kinder grundlegend von einander. Während Theo (9) Omas Geburtstagsscheine und sein Taschengeld gerne unmittelbar dem Wirtschaftskreislauf zurückführt und am liebsten für Schleich-Figuren oder Pokémon-Karten ausgibt (was auch mal ein eigenes Thema wäre), ist seine Schwester Frida ein Sparfuchs. Sie legt das Geld lieber auf die hohe Kante und hält es für größere Anschaffungen zusammen.

Taschengeld gibt es sonntags. Münzen und Scheine wandern dann immer, zumindest für kurze Zeit, in ihre Portemonnaies. Die Geldbörsen bewahren wir Eltern vertrauensvoll an einem sicheren Ort auf – wie eine Bank.

Neulich abends, meine Frau und unsere Tochter waren noch unterwegs, habe ich Pizza bestellt. Als der Bote an der Tür klingelte, griff ich zu meinem Portemonnaie, musst aber feststellen, dass ich absolut blank war. „Karte nehmen sie nicht, oder?“ fragte ich. „Nein, leider nur Bargeld“, antwortete der Pizzafahrer freundlich. Ich nickte und murmelte: „Mist. Ich glaube ich habe keins.“ In Gedanken ging ich die Möglichkeiten durch, wo im Haus noch Bargeld liegen könnte. Da fiel´s mir ein: Na klar, Frida ist flüssig. Ich ging zum Geheimversteck, holte ihre Geldbörse heraus und zählte ein paar Scheine ab. Gut fühlte ich mich nicht dabei. `Du stiehlst heimlich das Geld deiner siebenjährigen Tochter, du Unhold´, dachte ich kurz. Der Pragmatiker in mir aber gewann: `Es ist für die Gemeinschaft die beste Lösung. Hungern oder borgen? So!´ Entschlossen ging ich zur Tür, Theos Blick, misstrauisch und vorwurfsvoll zugleich, ignorierend und bezahlte den Pizzaboten mit dem Geld unserer Tochter.

Der Umgang mit Taschengeld ist Vertrauenssache – beiderseits.
Der Umgang mit Taschengeld ist Vertrauenssache – beiderseits.

„Papa, das Geld musst du Frida aber zurückgeben“, ermahnte mich Theo beim Tischdecken. „Aber klar gebe ich ihr das wieder. Normalerweise hätte ich sie direkt gefragt, aber sie ist ja nicht hier. Das war gerade ein absoluter Notfall.“

Am nächsten Tag ging ich zur Bank. Als Frida nachmittags aus der Schule zurück war, rief ich sie zu mir. Ich wollte alles ganz korrekt machen. „Gestern Abend hatten wir Pizza, wie du weißt.“ „Ja, ich hatte eine Margherita.“ „Richtig. Da ich selber kein Geld mehr im Haus hatte, bin ich an dein Portemonnaie gegangen…“ Weiter kam ich nicht. Frida riss mir die Geldbörse aus der Hand, zählte die Scheine und begann fürchterlich zu weinen. „Papa, du hast mir Geld weggenommen!“

Das saß. Ich, ihr leiblicher Vater, dem sie in allem blind vertraut, hatte sie hinterrücks bestohlen. Wie ein Ganove der verschlagensten Sorte kam ich mir vor. Aber es war ja Licht in Sicht. „Frida“, bemühte ich mich ruhig zu bleiben, „ich hatte selber kein Geld im Haus. Da musste ich deines nehmen, sonst hätten wir die Pizza nicht bezahlen können. Wenn Du dagewesen wärst, hätte ich Dich gefragt. Und außerdem will ich dir dein Geld jetzt zurückgeben“, versuchte ich es mit einem meiner Meinung nach extrem väterlichen Lächeln. Sie sah mich zweifelnd an.

„Gestern habe ich mir 45 Euro aus Deinem Portemonnaie genommen. Jetzt gebe ich Dir 50 Euro – und dazu noch ein paar Eurostücke. Du bekommst ja auch noch Taschengeld, das hast du schon seit ein paar Wochen nicht mehr bekommen.“ Das stimmte wirklich. Anders als ihr Bruder legt Frida noch keinen großen Wert darauf. Ich gab ihr das Geld mit einem Lächeln und erwartete, dass sich die Sache damit erledigt habe. Das war aber eine Fehleinschätzung.

Frida sah sich den Fünfzig-Euroschein an und fing augenblicklich wieder an zu weinen. „Das ist doch viel zu wenig“, schluchzte sie, „ich hatte doch viel mehr Geld!“ Es dauerte einen Moment, bis bei mir der Groschen fiel. Einen Zwanziger, zwei Zehner und einen Fünfer hatte ich mir genommen. Aus ihrer Sicht waren das vier bunte Scheine. Und jetzt wollte ich, der ich ihr diesen schönen bunten Strauß geraubt hatte, sie mit einem einzigen mickrigen Schein abspeisen, dazu noch in einem hässlichen Braun? Nee, Papa, so echt nicht!

„Aber jetzt hast du mehr Geld als vorher.“ Ich versuchte, mit Logik zu kommen. Aber es war zwecklos. Da ich keine 45 Euro in Scheinen hatte, musste ich mit dem töchterlichen Unmut leben. Ich versprach ihr die Scheine wieder zu wechseln, sobald ich wieder flüssig sei. Und ich erklärte ihr, dass Geldschein nicht Geldschein sei, jeder einzelne seinen Wert habe, der manchmal höher sei als mehrere andere Geldscheine zusammen.

Letztlich hat diese kleine dramatische Episode einiges Gutes: Ich habe gelernt, dass es Vertrauen nicht umsonst gibt. Frida hat es mir ziemlich übelgenommen, dass ich ungefragt an ihr Portemonnaie gegangen war. Allerdings fand sie es nach einigen Überlegungen dann doch ganz gut, dass ich es ihr gestanden habe. Ich hätte das Geld auch heimlich wieder zurücklegen können und uns beiden viel Ärger und Nerven erspart. Aber letztlich hat sich meine Erfahrung wieder bewahrheitet, dass es sich immer lohnt, in den Konflikt zu gehen, auch wenn es Streit gibt und Tränen fließen. Und sie auszufechten. Frida hat jetzt einen ganz guten Überblick über den Wert von Geldscheinen und Münzen gewonnen. Sie hat verstanden, dass der hässliche braune Fünfziger so viel wert ist wie zwei blaue Zwanziger und ein roter Zehner, obwohl die viel hübscher und auch mehr sind.

Falls ich wieder einmal nicht flüssig sein sollte, dürfte ich notfalls wieder an ihr Portemonnaie gehen. Ich habe sie gefragt. Aber wir versuchen das weitestgehend zu vermeiden. Auch bei der Pizza gibt es eine Veränderung. Die machen wir jetzt selber. Das spart Geld – und Nerven.