Ein Kindergeburtstag ist eine tolle Sache – für die Kinder. Für die Eltern bedeutet eine Feier bei aller Freude immer Stress. Man muss den Aufwand im Blick halten und hat – über das Kuchenbacken hinaus – eine Menge zu organisieren. Eine gute Vorbereitung ist (fast) alles. Aber es gibt Dinge, auf die haben Eltern keinen Einfluss. Das betrifft vor allem die Partygäste, wie meine Frau und ich jetzt feststellen durften.
Unsere Kinder haben eine Woche nacheinander Geburtstag. Mit Theo ging es los. Er ist zehn geworden. Nachdem seine Partys coronabedingt zweimal ins Wasser fielen, gingen wir in die Soccerhalle. Erst Kuchen, dann anderthalb Stunden Fußball spielen, zum Abschluss Pizza.
Dann eine Woche später war unsere Tochter Frida dran. Entgegen aller Vorschläge mit Trampolinhalle oder Indoor-Kletterwand wollte sie ihren achten Geburtstag partout zu Hause feiern. Das Programm stand schnell. Nach dem Begrüßungskuchen sollte es eine Schatzsuche geben, danach Disco im Keller und zum Abendessen Hot Dogs und Spaghetti.
An dieser Stelle dürfen Leserinnen und Leser gerne einen Tipp abgeben, welche der beiden Veranstaltungen – Soccerhalle oder Schatzsuche – eskalierte. Long Story short: Die Fußballer waren es nicht. Dabei hatte ich ziemlichen Respekt vor dem Geburtstagskick. Denn ich war allein mit zehn zehnjährigen Jungen. Darunter sehr starke Charaktere, die schnell mal sauer werden, wenn es nicht so läuft wie sie es gerne hätten – allen voran Theo selbst.
Diese Sorgen waren unbegründet. Das Geburtstagskind stellte zwei absolut gleichstarke Teams auf. Es ging heiß und laut zu, natürlich gab es ein paar Meinungsverschiedenheiten, und die mitgebrachten Kühlpacks kamen zwei-, dreimal zum Einsatz. Aber meine Aufgabe während der neunzig Minuten Spielzeit bestand im Grunde nur daran, den Eifer der Jungen alle Viertelstunde für die vorher vereinbarte Trinkpause zu unterbrechen. Zum Schluss durfte ich ein paar Minuten mitspielen, weil es in der riesigen Halle ziemlich kalt war. Darum musste ich intensiv betteln. Beim Pizzaessen wurde es nochmal laut und trubelig. Aber am Ende des Abends meldete ich meiner besorgten Frau: „Keine besonderen Vorkommnisse“.
Das gleiche Fazit erwartete ich, auch eine Woche später nach Fridas Party ziehen zu können. Ehrlich gesagt, hatte ich daran keinen Zweifel. Zumal meine Frau und ich die Sache dieses Mal gemeinsam in die Hand nahmen. Sie bereitete Kuchen, den zu findenden Schatz und die Disco vor. Ich erarbeitete in zwei Stunden konzentrierter Arbeit – wie ich unbescheiden feststellen möchte – eine ziemlich gute Schatzsuche. Diese führte uns quer durch unser Städtchen und letztlich zu einem Spielplatz, wo die Mädchen den Schatz unter Triumphgeheule aus seinem Laubversteck bergen sollten. So hatten wir uns das zumindest vorgestellt.
Schon beim Start der Schatzsuche hätten mir Zweifel kommen können. Während einige der Mädchen sich noch anzogen und nochmal aufs Klo gingen, stürmten die ersten drei schon los. Gut, da hätten wir eher eingreifen müssen. Während das Trio die rasch gefundene Schatzkarte jubelnd schwenkte, trotteten die letzten gerade aus dem Haus. „Stopp!“ rief ich. „Lasst uns bitte gemeinsam weitermachen, okay?“ Ich sah alle Köpfe nicken. „Gut. Wer liest den ersten Hinweis vor?“ Vier Mädchenhände von unterschiedlichen Besitzerinnen schossen in die Höhe. „Okay, hm, du fängst an“, sagte ich und zeigte auf einen rothaarigen Lockenkopf mit einem frechen, schlauen Gesicht. „Aber jede von euch darf einen Hinweis lesen. Ihr wechselt euch ab, ja?“ Wieder kollektives Nicken.
Der nächste Hinweis ließ sich wieder schnell finden, wieder von dem Trio der Ehrgeizigen. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, da hatte der Rotschopf den Zettel, den ich mit Kerzenwachs und Asche im Schweiße meines Angesichts auf „alt“ getrimmt hatte, schon ausgepackt. (Weil ihn eine Piratin vor über 300 Jahren auf der Flucht vor einem bösen Herzog versteckt hatte. Piraten in Franken? Sehen Sie es mir nach, liebe Historikerinnen und Historiker!) Jedenfalls hatte das rothaarige Mädchen den Hinweis schon vorgelesen, ehe ich „Schatzsuche“ sagen konnte. Das sorgte für Unmut. „Franzisca wollte doch lesen!“, warf mir ein Mädchen mit einem knallig pinken Stirnband vor. „Oh, tut mir leid. Franzisca darf den nächsten Tipp lesen, einverstanden? Wo ist sie denn?“ „Francisca weint, sie will nach Hause“, seufzte ein Mädchen mit einem dunkelbraunen Pferdeschwanz. „Oh, das muss aber nicht sein.“ „Ach, die heult doch immer“, bemerkte eine Kleine, Zierliche mit einer SpongeBob-Mütze gleichgültig.
Unsere Tochter war schon bei Francisca, die heftig schluchzte, und tröstete sie. Ich ging zu den beiden. Ich versprach Franzisca, dass sie den nächsten Hinweis ganz bestimmt vorlesen dürfe. Darum ging es aber nicht. „Lilly hat zu Franzisca gesagt, sie ist blöd, weil sie nie einen Hinweis findet“, berichtete meine Frida. „Wer ist Lilly?“ „Die Kleine da“, sagte Frida und zeigte auf Miss SpongeBob. „Die ist immer so gemein zu mir“, schluchzte Franziska und fing noch einmal heftig an zu weinen.
„Okay“, ich überlegte kurz. „Frida und Franzisca, ihr geht vor und ich gehe ganz hinten mit Lilly.“ Ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Von Lilly erfuhr ich, dass sie wie Franzisca auch nie einen Hinweis bei Schatzsuchen findet, dass das aber die einzige Ähnlichkeit zwischen den beiden sei. Sie möge sie halt einfach nicht. „Warum nicht?“ – „Ist einfach so.“ – „Hat sie dir was getan? Was stört dich denn?“ – „Ich finde sie blöd. Ich habe auch zu Frida gesagt, ich komme nur zu deinem Geburtstag, wenn Franzisca nicht an meinem Tisch sitzt und sie einen anderen Kuchen kriegt als ich!“ Oha.
Wir waren beim nächsten Hinweis angekommen. Dieses Mal hatte ein anderes Mädchen den Zettel entdeckt. Franzisca, die sich inzwischen wieder beruhigt hatte, wollte gerade mit dem Vorlesen starten, als plötzlich der freche Rotschopf zu weinen begann. „Was ist denn los?“ fragte meine Frau, ich war selbst zu verdutzt. „Ich habe noch nie einen Hinweis gefunden, noch nie! Darum finde ich Schatzsuchen auch so doof!“ Sie brach in Tränen aus. Meine Frau und ich schauten uns ratlos an. „Was ist denn hier los? Sollen wir´s abbrechen?“ Franzisca zog eine Schnute und lief weg, wieder Tränen. Lilly setzte sich schmollend auf eine Treppe und hielt sich die Ohren zu. Unsere Tochter, die einfach nur ihren Geburtstag feiern wollte, sah verzweifelt von einer zur anderen.
Meine Frau und ich sahen uns an, rissen uns zusammen und redeten auf die Mädchen ein, sich ihrerseits bitte auch zusammenzureißen. Frida habe sich so auf diese Feier gefreut. Irgendwie brachten wir die Schatzsuche zu Ende, auch die Disco und das Abendessen, aber der Tag war gelaufen. Große Eskalationen gab es keine mehr, die Streithennen gingen sich aus dem Weg. Richtige Geburtstagsstimmung kam zu Fridas Bedauern aber nicht mehr auf. Meine Frau und ich zählten die Minuten bis sechs Uhr, der vereinbarten Abholzeit, während wir stetig Nachschub an Hot Dogs, Spaghetti und Saft zum Geburtstagstisch schafften.
Endlich sechs Uhr, endlich klingelte es. Gleich drei Mütter standen vor der Tür und strahlten mich an. „Ich bin gespannt, was die Mädels hinterher zuhause erzählen“, hatte mir meine Frau zwischendurch zugeflüstert. Eigentlich ist mir so etwas Wurscht, aber ich wollte unser Erlebnis mit den Müttern teilen. Ich berichtete von der misslungenen Schatzsuche und den vielen Streitereien, die ich so noch nicht erlebt hatte. Die erste sagte: „Ich bin ehrlich gesagt erleichtert. Ich dachte, das sei nur bei uns so gewesen.“ Die zweite nickte verständnisvoll: „Das haben wir im letzten Jahr auch so erlebt, die eine gönnt der anderen nichts. Die haben sich heftig gezankt. Darum mache ich keine Schatzsuchen mehr. In diesem Jahr waren wir den ganzen Tag im Garten und haben gespielt. Unsere Tochter hat aber auch im August Geburtstag“, sagte sie und lächelte mir zu, was ich als Trost verstand. Die dritte Mutter sagte nichts, dafür flüsterte aber ihre Tochter, als sie ihr in die Arme fiel: „Da bist du ja endlich, Mama. Es war total doof. Ich will nach Hause!“
Eine halbe Stunde später waren alle Gäste fort. Frida war ins Spiel mit ihren Geschenken vertieft. Meine Frau und ich hielten den Schnaps in der Hand, auf den wir uns schon seit Stunden gefreut hatten. „Nie wieder zu Hause“, sagte ich feierlich. „Nie wieder. Prost, auf Frida und uns!“ In der WhatsApp-Gruppe teilten wir ein Bild der jubelnden Mädchen mit dem gefunden Schatz und bedankten uns für die tollen Geschenke. Am nächsten Morgen bekamen wir eine Antwort: „Vielen Dank für die tolle Party. Lilly hat es super gefallen.“