Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

Mehr Zeit für mich. Nur für mich.

Ich will hier raus. Immer wieder mal. Und das ist kein Fluchtreflex, sondern eher ein guter Vorsatz für das neue Jahr. Raus aus der Doppelrolle, in der ich mich oft gefangen fühle. Zum einen als Managerin auf dem aufsteigenden Karrierepfad, zum anderen nicht weniger als Hausfrau und Mutter, zumindest in meiner gefühlten Wirklichkeit.

In einer alten Fernsehwerbung, ich weiß nicht mehr für welches Produkt, strahlt eine gutaussehende Blondine in die Kamera und sagt in einer fiktiven Vorstellungsrunde, sie sei erfolgreiche Managerin eines kleinen Familienunternehmens. Gemeint war die Organisation ihres Familienalltags. Platt, aber irgendwie auch ziemlich zutreffend. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Rolle als Mutter und Hausfrau nicht weniger wertvoll und vor allem intensiv ist und die berufliche Seite durchaus kompensiert. Bei mir prallen beide Seiten aufeinander.

Ein Blick aus dem Fenster, ein Blick in die Ferne oder nach vorne
Ein Blick aus dem Fenster, ein Blick in die Ferne oder nach vorne

Der Weihnachtsbaum steht in der Ecke zwischen der Vitrine und der Terrassentür. Er sieht immer noch schön aus. Mein Mann und meine Tochter haben ihn Mitte Dezember in einem kleinen Weihnachtsbaumwäldchen ausgesucht und selbst geschlagen. Gestern nun hatte mein Mann die Idee, ihn abzuschmücken und zu entsorgen, weil er Weihnachten allmählich leid sei. Aber ich möchte den Baum noch ein paar Tage behalten. Vielleicht, weil er mich an die entspannten Weihnachtsfeiertage erinnert.

Draußen strahlt die Sonne. Sofort fallen mir die striemigen Fenster auf. Sie müssten dringend geputzt werden. Keine Zeit – und eigentlich auch keine Lust.

Morgen kommt schon wieder der nächste Besuch. Meine Schwägerin und ihre Mädchen wollen die letzten Ferientage bei uns genießen. Einfach mal raus aus dem Alltag, sagte sie. Bis gestern hatten wir über Silvester Besuch von Freunden aus Hamburg. Auch sie haben Ferien und brauchten mal einen Tapetenwechsel. Es war schön, aber vier Tage können eine lange Zeit sein.

Kochen, einkaufen, Spülmaschine ein- und ausräumen, die Kinder x-mal auffordern, ihre Zimmer aufzuräumen, Betten beziehen, Wäsche waschen, Staub saugen: das volle, normale Programm. Eigentlich haben mein Mann und ich jemanden, der einmal die Woche kommt und uns daheim hilft. Anders in den Weihnachtsferien, weil – man ahnt es – unsere Haushaltshilfe über die Feiertage einen Tapetenwechsel brauchte. Es sei ihr von Herzen gegönnt.

Die Waschmaschine läuft ohne Unterbrechung, erst Handtücher, dann das Bettzeug. Mein Mann muss noch einen Auftrag erledigen, den er schon längst fertig haben wollte. Die Kinder (Paul, 11, und Leni, 9) bekommen am Nachmittag Besuch von Freunden und räumen – nach endgültiger Androhung, diese Spielverabredungen sonst wieder abzusagen – endlich ihre Zimmer auf. Danach müssen sie etwas für die Schule machen, das hatten wir so für die letzte Ferienwoche vereinbart. Sie müssen den verpassten Stoff aus den beiden Krankheitswochen Mitte Dezember aufholen. So steht noch Englisch lernen mit Paul und Mathe mit Leni auf dem Programm. Da mein Mann sich in seinem Arbeitszimmer verkrochen hat, bleibt das an mir – mal wieder. Einkaufen müssen wir auch noch heute, mal sehen, wer das erledigt. Im Zweifel ich.

Es keimt wieder Frust in mir auf. Eigentlich wollte ich die Ferien auch für mich nutzen, mal abschalten von meinem stressigen Job-Alltag, Kraft und Energie für alle anstehenden Herausforderungen tanken, die neuen und die altbekannten.

Mein Mann und ich leben die umgekehrte Rollenverteilung: Ich arbeite in Vollzeit in Führungsposition in einem DAX-Konzern, mein Mann ist selbständig und kann sich seine Zeit freier einteilen. Damit ist er auch für viele Aufgaben in unserem Familienalltag zuständig. Zumindest in der Theorie. Eigentlich kriegen wir die Aufgabenverteilung und das auch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis immer noch eher ungewöhnliche (und für viele auch unverständliche) Rollenmodell gut hin. Aber heute ist wieder so ein Tag, an dem ich hadere: Warum kriegen es Männer in der Hauptverdiener-Rolle eigentlich besser hin, sich nicht auch noch zu Hause für alles und jeden verantwortlich zu fühlen?

Darf ich mich denn überhaupt beklagen? Die Weihnachtsfeiertage waren doch so wunderbar entspannt. Wir haben gemeinsam Filme geschaut, sind gewandert, haben Sport gemacht, gespielt, gut gegessen und viel gelesen, sind alle vier gut runtergekommen. Das scheint mir gerade schon wieder sehr weit weg. Anstehende Veränderungen werfen ihre Schatten voraus und befeuern meinen Frust.

Ich werde in diesem neuen Jahr befördert und übernehme in wenigen Wochen eine neue Abteilung. Die Größe meines Teams verdoppelt sich, ebenso meine Verantwortung für das Unternehmen. Natürlich ist das toll, ich möchte das alles, habe mich bewusst dafür entschieden. Ich habe dafür gekämpft, mich durchgebissen und enorm viel gearbeitet, auch schon, als die Kinder noch sehr klein waren. Trotzdem frage ich mich zwischendurch immer wieder: Ist es das wert? Gleich habe ich den völlig verständnislosen Blick meiner Studienfreundinnen vor Augen, wenn ich bei unseren seltenen Treffen von meinem beruflichen Alltagswahnsinn erzähle. Sie sind alle ebenso gut ausgebildet, haben lange studiert, sind zum Teil ebenfalls promoviert worden. Alle arbeiten heute ausnahmslos in Teilzeit. Sie leben die klassische Rollenverteilung, obwohl sie mindestens die gleichen Karrierechancen gehabt hätten wie ihre Ehemänner.

So stelle ich mir unweigerlich die aufkeimende Frage: Müsste ich nicht mehr für die Kinder da sein? Müsste ich sie nicht mehr unterstützen, mehr auf sie eingehen, statt so oft genervt zu sein? Hätten sie nicht mehr Gelassenheit verdient, mehr Anerkennung? Beide sind „gut gelungen“, wie man so schön sagt. Alle beide haben unseren Umzug wegen meines Jobwechsels vor fünf Jahren gut verarbeitet. Beide haben neue Freunde gefunden und kommen in der Schule klar, gehen ihren Hobbys nach und sind nach meinem subjektiven Urteil gute Menschen.

Vielleicht sollte ich gar nicht mehr verlangen. Aber was ist mit mir? Schon jetzt fühle ich mich oft getrieben, mir fällt es schwer, Zeit für eigene Bedürfnisse zu nehmen und diese auch einzufordern. Wie soll es dann erst werden, wenn die berufliche Seite noch herausfordernder wird? Wie sieht die Gleichung der Aufgabenverteilung zwischen meinem Mann und mir dann aus, wenn sie sich doch heute schon so oft für mich ungleich anfühlt?

„Mama, wo sind meine Torwarthandschuhe?“ Der Ruf meines Sohnes reißt mich aus meinen Gedanken. Wie so oft bin ich seine erste Ansprechperson, obwohl sein Vater direkt neben ihm steht. Er hat sich gerade aus dem Arbeitszimmer gestohlen, um sich einen Kaffee zu holen. Ich erwische mich dabei, wie ich ihn beneide, dass er arbeiten muss. Sofort schäme ich mich für diesen Gedanken.

Allein: Das Hadern ändert nichts. Ich möchte nach vorne schauen. Ich habe mir, da bin ich altmodisch, ein paar Vorsätze gemacht. Ambitioniert, aber nicht unrealistisch. Es sind keine vagen Formulierungen wie „ich muss mehr Sport machen“ oder „mich gesünder ernähren“, sondern konkret ausformulierte Ziele, die messbar sind und abgearbeitet werden können. Dabei stehe ich im Mittelpunkt.

Ein Vorsatz ist, dass ich mir dieses Jahr bewusst Auszeiten gönne. Die erste beginnt am Donnerstag, da setze ich mich allein in den Zug, um ein langes Wochenende in Berlin zu verbringen. Ich werde Freundinnen treffen und einen Coach, die mich bei meinem nächsten beruflichen Schritt begleiten soll. Ich habe ein Hotel gebucht, um mich um nichts kümmern zu müssen. Ich werde in die Sauna gehen, Sport machen, viel spazierengehen und vielleicht eine Ausstellung besuchen. Ich freue mich darauf und pfeife auf mein Gewissen! Um das muss sich sonst mein Coach kümmern. Schließlich braucht der Mensch auch mal einen Tapetenwechsel.