Meine Tochter ist happy. Ihre festsitzende Zahnspange ist Vergangenheit. Über Unverständnis und Einsicht, Qual und Konsequenz – und die Entscheidung, nicht noch einmal acht Monate dranzuhängen.
Gesundes Zahnfleisch und weiße Zähne, ohne Defekte und Fehlstellungen, sind mehr als ein Schönheitsideal. Die Zähne beeinflussen die Gesundheit unseres gesamten Körpers – und das Selbstbewusstsein. Das alles hat man längst erkannt, die Aufklärung ist groß. Schon in der Kita kommt der Zahnarzt, um die Zähne aller Kinder unter die Lupe zu nehmen.
Denn manche Eltern nehmen es trotz Aufklärung nicht so genau mit der Mundhygiene ihrer Kinder – nach dem Motto: „Die Milchzähne sind nicht wichtig, sie fallen ja eh aus.“ In Laras Kindergartengruppe mussten einem Jungen zahlreiche Kronen eingesetzt werden, weil der Großteil seiner Milchzähne stark kariös und zerstört war. Die Erzieherin setzte sich mit Nachdruck dafür ein, dass der Junge behandelt wurde.
Kinder haben anfänglich keinen Einfluss auf ihre Zahnpflege. Das ist ab dem ersten Milchzahn Aufgabe der Eltern und der bricht bei Babys in der Regel zwischen dem vierten und siebten Monat durch. Ich weiß noch, wie süß ich es fand, als Maja (heute 15) auf meinem Schoß saß, auf meinem Finger nuckelte und ich die Spitze ihres ersten unteren Schneidezahns spürte.
Ein paar winzige Frontzähnchen zu putzen bedeutet keinen Aufwand. Es wird erst schwieriger, wenn sich der Mund füllt. Übermüdete Kleinkinder verspüren häufig keine Lust auf die tägliche Prozedur und mögen es nicht, wenn man ihnen im Mund rumfummelt.
Wir waren streng und taten alles, um unseren Töchtern die Zahnpflege schmackhaft zu machen, zu erklären und zu erleichtern. Einige Bücher halfen uns: „Mein erstes Zahnputzbuch“; „Jakob und seine Zahnbürste“; „Karius und Baktus“. Besonders letztere Geschichte mochten meine Töchter gerne, so alt sie auch war.
Wir gingen regelmäßig zum Kinderzahnarzt, ließen die Fissuren versiegeln, benutzten Zahnseide, hingen lustige Spiegel im Bad in Kinderhöhe auf, kauften kleine Sanduhren und elektrische Zahnbürsten mit ihren Lieblings-Disneymotiven. Wir putzen so lange nach, bis die Kinder motorisch weit genug waren. Heute gibt es etliche Apps, um die Zahnputzzeit für Kinder kurzweilig und effektiv zu gestalten.
In gesunde Kindergebisse haben wir einiges investiert. Die gesetzliche Krankenkasse übernimmt, zum Beispiel, nur die Versiegelung der letzten beiden bleibenden Backenzähne. Sind weitere tiefe Fissuren auf den vorderen Zähnen vorhanden, empfehlen viele Zahnärzte, sie vorsorglich ebenfalls zu versiegeln. Die Kosten von etwa zwanzig Euro pro Zahn waren für uns zur Prophylaxe tragbar. Aber der richtig große Kostenfaktor stand noch an! Ich rede hier nicht von der Zahnfee, die war bescheiden und gab sich mit ein oder zwei Euro zufrieden, die sie in unserem Namen unter das Kissen legte. Ich rede von der kieferorthopädischen Behandlung.
Lara (18) bekam mit vierzehn Jahren eine festsitzende Zahnspange. Sie ging alle sechs Wochen zu ihren Kontroll-Terminen, trug die verordneten Gummis mal mehr, mal weniger fleißig, aber dann doch ausreichend genug, um die Behandlung erfolgreich abzuschließen. Ein- oder zweimal musste ein Bracket repariert werden. Nach gut zwei Jahren kam die Spange raus. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.
Nun trägt sie einen Draht, einen Retainer, hinter den Zähnen und zusätzlich nachts eine lose Zahnspange, um den Behandlungserfolg nicht zu gefährden. Da Laras Behandlung nach Tabelle der kieferorthopädischen Indikationsgruppe (KIG) notwendig war, trug die gesetzliche Krankenkasse zunächst 80 Prozent der Kosten. Die anderen 20 Prozent muss der Versicherte generell vorstrecken. Sie werden nach erfolgreichem Abschluss erstattet.
Einige Positionen waren Privatleistung. Was über das Leistungsangebot der Krankenkassen hinausging, belief sich immerhin auf einen vierstelligen Betrag. So entschieden wir uns für Keramik-Brackets statt Metall im Frontzahnbereich. Auf diesen rein optischen Luxus hätten wir natürlich verzichten können. Andere Dinge wiederum wurden vom Kieferorthopäden unbedingt angeraten, wie eine Funktionsanalyse (Überprüfung der anatomischen Strukturen des Kiefergelenks).
Als Eltern will man das Beste für sein Kind, man googelt, liest sich ein und versucht, durch den orthopädischen Dschungel durchzusteigen. Aber allen Bemühungen zum Trotz, ist es kaum möglich, Expertenwissen aufzubauen. Und so bleibt einem nichts anderes übrig, als dem gewählten Arzt und seinem guten Ruf zu vertrauen. Dennoch sollte man im Hinterkopf behalten, dass jede Praxis wirtschaftlich und gewinnbringend arbeiten muss und dass die meisten Ärzte wissen, wie man verkauft.
Bei meiner jüngeren Tochter Maya zeichnete sich früh ab, dass sie um eine Zahnkorrektur nicht herumkommen würde. Bei ihr sprang die private Zusatzversicherung ein, was mehr Spielraum und bessere Leistungen bedeutete. Die Behandlung gestaltete sich von Anfang an viel schwieriger als bei Lara. Im ersten Konzept, das uns der Kieferorthopäde präsentierte, schlug er ein Herbstscharnier vor. „Nach ein paar Wochen stört die Kinder das nicht mehr“, erzählte er im Plauderton, als er bemerkte, wie ich bei dem Wort „Scharnier“ zusammengezuckt war.
Es sieht tatsächlich genauso aus, wie man es sich vorstellt. Maya saß stumm daneben und verstand sowieso nur Bahnhof. Auch ich hatte Mühe, all die Informationen und Fachbegriffe zu verarbeiten. Ich entschied für meine Tochter, den alternativen, längeren Weg zu gehen, ohne Scharnier. Maya bekam eine lose Spange und anschließend die festsitzende.
Leider kam die Festsitzende nicht ohne Zusatzapparaturen und einen dicken Klotz hinter den Frontzähnen im Oberkiefer aus. Eine Metallkonstruktion bedeckte ihren Gaumen und schränkte sie beim Sprechen anfangs sehr ein. Das Lispeln bekam sie mit Übung in den Griff, aber insgesamt war es doch recht voll in ihrem Mund.
Maya klagte häufig über Schmerzen. Mal löste sich das Teil hinter den Frontzähnen, dann bohrte sich der Zahnspangendraht ins Zahnfleisch oder in die Backe. Etliche Male besuchten wir im Notfall die Praxis, fast schon mit Ansage immer dann, wenn ein paar Tage vorher ein neuer Bogen eingezogen worden war. Eine Zeit lang sollte sie gleich mehrere Gummis pro Seite tragen und fühlte sich mit der Fummelei überfordert.
Maya gewöhnte sich das Frühstücken ab, trank morgens nur noch. „Meinst du, ich habe vor der Schule Lust und Zeit, mir stundenlang alles mühselig aus den ganzen Teilen herauszupulen? Außerdem tun mir die Zähne von den Gummis weh“, erhielt ich als Antwort, wenn ich deswegen schimpfte. Essen fing an, lästig zu werden. Es war ihr unangenehm, vor Freunden oder Fremden zu essen, weil sich die Speisereste überall festsetzten.
Da sie von Natur aus sehr schlank ist, habe ich das als großes Stigma empfunden. Sie tat mir leid, und ich war genervt von den Notfallterminen, die uns regelmäßig zu den ungünstigsten Zeiten in den Alltag grätschten. Maya versuchte irgendwann, die Defekte und Schmerzen hinzunehmen. „Es geht schon“, sagte sie an einem Freitagmorgen zu mir, als sie zum Schulpraktikum fuhr. Nach zwei Stunden rief sie weinend an, dass sie nicht essen könne und starke Schmerzen habe. Ich erwischte gerade noch jemanden vor dem Wochenende in der Praxis, holte Maya ab und fuhr sie zum Arzt.
Vor Urlauben waren wir nervös. Würden wir zwei Wochen ohne Zahnspangen-Zwischenfälle hinkommen? Ich ließ mir zeigen, wie ich im Notfall die Konstruktion im Oberkiefer herausschrauben konnte. Als das Ding endlich rauskam, wurde es ein wenig besser. Die Unlust am Essen in Gesellschaft blieb, die herauspicksenden Drähte und Defekte auch. „Es ist schwierig bei ihr“, entschuldigte sich der Arzt. Für Fotos schloss meine Tochter den Mund, sie fühlte sich unwohl.
Umso freudiger erwartete meine Tochter dann vor ein paar Wochen den nächsten Termin, zu dem ich sie begleiten sollte. Es waren Abdrücke für neue Modelle genommen worden. Man hatte ihr angekündigt, dass die Spange herauskäme. Zappelig nahm meine Tochter im Behandlungsstuhl Platz. Dann die kalte Dusche: Der Kieferorthopäde schlug vor, die Spange etwa acht weitere Monate zu tragen: „Sehen Sie das hier? Das würde ich gerne noch korrigieren. Aber es ist Ihre Entscheidung, wir können die Spange auch herausnehmen.“
Er demonstrierte mir anhand des letzten Gipsmodels die „Fehlstellung“. Ich sah gar nichts. Nicht, weil ich dem Arzt nicht glaubte, sondern weil ich mit den Augen eines Laien und vor allen Dingen den Augen einer Mutter sah. Und die sahen in erster Linie eine todunglückliche Jugendliche. Wir waren mit der Entscheidung überfordert und überrumpelt. Erst einmal stimmten wir zu. Kaum war das geschehen, wurde wieder etwas hinter die Frontzähne geklebt und Maya sollte neue Gummis tragen.
„Jetzt lispele ich schon wieder mit dem Ding“, maulte sie frustriert, als wir aus der Praxis traten. Ich hatte genug! Nach ein paar Wochen entschied ich gemeinsam mit Maya, die Spange doch herausnehmen zu lassen. Auch, weil sie die Gummis inzwischen verweigerte. Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden, keine Ahnung, ob es noch besser hätte werden können. Maya ist in erster Linie froh, dass sie wieder ohne Nachdenken essen kann und die Wunde in ihrer Backe verheilt, denn zum Schluss war schon wieder etwas an der Spange kaputtgegangen.
Gesunde, schöne und gerade Zähne haben in vielerlei Hinsicht ihren Preis, aber er muss angemessen und tragbar bleiben – für Eltern und Kind.